eic kyf msh nnz uhz tv nt
Mo, 15:10 Uhr
29.05.2017
Schüler und Eltern wollen in Erfurt demonstrieren

Das System läuft auf Verschleiß

Der Lehrermangel an den Schulen des Landes wird mehr und mehr zum akuten Problem. Schon jetzt fällt mehr und mehr Unterricht aus, Besserung ist nicht in Sicht. Kommenden Donnerstag wollen Gewerkschaften, Schüler und Eltern in Erfurt demonstrieren, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Auch in Ellrich bereitete man sich heute auf den Ausflug in die Landeshauptstadt vor...

Lehrermangel in Thüringen - auch Ellricher wollen demonstrieren (Foto: Angelo Glashagel) Lehrermangel in Thüringen - auch Ellricher wollen demonstrieren (Foto: Angelo Glashagel)

Insgesamt 13 mal mussten Carola Böck und ihre Kollegen den Stundenplan im vergangenen Jahr umschreiben. Einzelne Lehrer sind schon lange ausgefallen, werden verbliebene Lehrkräfte kurzfristig krank, dann wackelt das ganze System. "Wir verwalten den Mangel und versuchen ihn sinnvoll zu verteilen", sagt Schulleiterin Böck, das System arbeite auf Verschleiß, nach und nach brechen der Schule die Lehrerinnen und Lehrer weg.

Anzeige symplr
Schule heute, dass ist nicht nur klassischer Unterricht. Die Inklusion benachteiligter Kinder, die bis dato das Förderschulsystem übernimmt, fällt zunehmend den regulären Bildungseinrichtungen zu. Hinzu kommen die Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, soziale Aufgaben und intensivere Elternarbeit.

Auf dem Papier ist das im Thüringer Schulsystem alles möglich, in der Realität reicht das Personal kaum, um die grundlegendsten Aufgaben wahrzunehmen.

Lucas ist 17, zehnte Klasse, seine Schullaufbahn geht ihrem vorläufigen Ende entgegen. Sozialkundeunterricht gab es in seiner Klasse im letzten halben Jahr gar nicht, in Bio, Chemie und Physik mussten die Wochenstunden auf eine statt der üblichen zwei runtergefahren werden. Neben Lucas sitzt Tim, 14 Jahre alt. Wenn er den Prüfungen entgegen geht, könnte sich die Situation noch verschlimmert haben. Zwei bis drei Jahre habe man noch, dann komme der "Knackpunkt", sagt Carola Böck, nicht nur an ihrer Schule, sondern auch anderswo. An der Ellricher Regelschule gehen bis dahin mehrere Kollegen in den wohlverdienten Ruhestand, ob sie ersetzt werden können, scheint ungewiss. Das Problem kommt nicht von ungefähr, seit mindestens acht Jahren lasse sich der Trend beobachten, meint Böck.

Im November des vergangenen Jahres hatten mehrere Schulen und Elternvertretungen schon einmal auf die drängende Problematik aufmerksam gemacht, hatten Ministeriumsvertreter und Landtagsabgeordnete eingeladen. Die zuständige Ministerin, Birgit Klaubert (Die Linke) hatte sich für Januar angekündigt. Allein aus dem Besuch wurde nichts - die Bildungsministerin ist schwer erkrankt, die Vertretung hat Benjamin-Immanuel Hoff übernommen, der eigentlich Minister für Kultur-, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei des Freistaats ist. Seitdem herrscht mehr oder weniger Funkstille, wobei sich Erfurt nicht vorwerfen lassen kann, seit dem Aufschrei im November gar nichts getan zu haben.

Lehrermangel in Thüringen - auch Ellricher wollen demonstrieren (Foto: Angelo Glashagel) Lehrermangel in Thüringen - auch Ellricher wollen demonstrieren (Foto: Angelo Glashagel)

Man will mehr Lehrer einstellen und die Verbeamtung wieder einführen um den Beruf des Lehrers wieder attraktiver zu machen. Neue Pädagogen, die das angespannte Konstrukt entspannen könnten, hat durch die Ankündigungen im Moment aber noch keiner. Eine Neueinstellung habe man in Ellrich bekommen, eine weitere sei in Aussicht gestellt worden, erzählt Böck, das sei schön und darüber freue man sich auch, allerdings könnten damit vorhandene Lücken nur dürftig geschlossen werden. Hinzu komme, dass junge Lehrer ihren Wert kennen und andernorts bessere Bedingungen vorfinden. Etwa im wenige Kilometer entfernten Niedersachsen.

Am Donnerstag nun will man in der Erfurter Staatskanzlei weiter Druck machen. Die Landeselternvertretung und die Gewerkschaft GEW und der Thüringer Lehrerverband haben Landesweit zur Demonstration aufgerufen. Auch aus dem Nordhäuser Landkreis werden Schüler und Eltern vor Ort sein. Die Ellricher Schüler waren heute fleißig dabei, Transparente und anderes Protestmaterial zu basteln. Für Carola Böck ist das, neben dem Anliegen der Schule, auch eine ganz praktische Übung in Demokratie.

Wie viel in Erfurt zu erreichen ist, bleibt fragwürdig. Glaubt man der Einschätzung der Ellricher Schulleiterin, bliebe nicht viel Zeit gegenzusteuern, will man nicht bald vor noch substanzielleren Problemen stehen.

Langfristig müsse man die Ausbildung der Lehrer verbessern, den Beruf gesamtgesellschaftlich wieder attraktiver machen und die Arbeitsbedingungen bundesweit angleichen oder zumindest vergleichbar machen, meint Carola Böck. Kurzfristig wäre es dringend geboten, Programme für den Quereinstieg in den Schulbetrieb aufzubauen, ein begleiteter Weg, der Menschen aus Wirtschaft, Kunst und Kultur die Möglichkeit gibt, neben ihrer praktischen Erfahrung auch das pädagogische Rüstzeug zu erlangen und so das Schulsystem zu entlasten.

Die Bedingungen seien hier noch zu eng. Konkret zu beobachten ist die Problematik seit einiger Zeit bei den sogenannten "DAZ Lehrern", die im Zuge des Flüchtlingszuzugs angeworben worden, um den neuen Schülern Deutsch als Zweitsprache zu vermitteln. In der Not hatte man hier kurzfristig auch auf Menschen zurückgegriffen, die keine klassischen Pädagogen sind. Bis vor kurzem waren diese Anstellungen befristet, die Verträge am Auslaufen. Inzwischen ist man zur Einzelfallprüfung übergegangen und versucht die Bedingungen anzupassen, um die neuen Lehrkräfte halten zu können.

Auf ihre DAZ Lehrer würde Carola Böck nicht verzichten wollen, der Unterricht laufe gut, sagt die Schulleiterin, es ist eine kleine Erfolgsgeschichte. Erreicht wurde das auch durch öffentlichen Druck, Versammlungen und Unmutsbekundungen, wie man sie zuletzt im November auch im Nordhäuser Kreis organisiert hatte.

Bleibt zu hoffen, dass man am Donnerstag ebenso Druck aufbauen und die Landespolitik zum handeln bewegen kann. Auf längere Sicht wäre vielleicht auch eine grundlegende Reform des gesamten deutschen Bildungssystems wünschenswert. Eine solche Mammutaufgabe anzupacken, dafür hat den politisch Verantwortlichen bisher der Mut gefehlt.
Angelo Glashagel
Autor: red

Kommentare
Nörgler
29.05.2017, 17.27 Uhr
Heute
Ich habe vor denen Respekt, die heute noch Lehrer werden wollen. Das Anforderungsniveau wird immer weiter nach unten geschraubt. Konzentration und Disziplin erscheinen wie Fremdworte. Das Gymnasium ist nichts besonderes mehr, da kann auch fast jeder hin. Das Ausbildungsplätze frei sind, wundert mich nicht. Die geeigneten Lehrlinge sind nicht zu finden.
Eckenblitz
30.05.2017, 09.21 Uhr
Abhilfe?
Hatte Ramelow und seine Helfer vor seiner/ihrer Wahl, nicht versprochen den Lehrermangel zu beseitigen?

Wie man hier lesen kann, ist der Zustand eher schlechter geworden. Aber schaut man sich die Regierungsabgeordneten einmal genau an, da wundert man sich nicht mehr, oder?
Kommentare sind zu diesem Artikel nicht mehr möglich.
Es gibt kein Recht auf Veröffentlichung.
Beachten Sie, dass die Redaktion unpassende, inhaltlose oder beleidigende Kommentare entfernen kann und wird.
Anzeige symplr
Anzeige symplr