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Forschungsoffensive zu Gips und Co.

Der Druck auf den Südharz wird zunehmen

Donnerstag, 24. Oktober 2019, 17:00 Uhr
Mit dem Kohleausstieg bis 2035 wird auch die Produktion des sogenannten "REA"-Gipses wegbrechen. Die zu erwartende Folge wird eine Zunahme des Abbaus von Naturgips im Südharz sein. Dem wollen sich Wissenschaft, Politik und Wirtschaft mit einer Forschungsoffensive entgegenstellen. Erste konkrete Schritte stellte man heute an der Nordhäuser Hochschule vor...

Viele Partner, ein Ziel: zwischen Weimar und Nordhausen soll ein neues Forschungsinstitut entstehen (Foto: Angelo Glashagel) Viele Partner, ein Ziel: zwischen Weimar und Nordhausen soll ein neues Forschungsinstitut entstehen (Foto: Angelo Glashagel)

Der Druck auf den Südharz werde in den kommenden Jahren wachsen, da waren sich die Anwesenden im August-Kramer-Institut der Nordhäuser Hochschule heute einig. Fällt die Verstromung aus Kohle weg, verliert man auch die Produktion von Nebenprodukten wie dem REA-Gips oder "Flugasche".

Im Papier zum Kohleausstieg werde das nur am Rande erwähnt, erklärte heute Wirtschaftsminister Tiefensee (SPD). "Das ist eine Konsequenz, die viele nicht bedacht haben, die uns aber in Thüringen und insbesondere im Südharz in besonderer Weise treffen wird". Es gebe drei Möglichkeiten, der Entwicklung zu begegnen: den Abbau von Naturgips ausweiten, Recyclingmaßnahmen und die Entwicklung von Ersatzstoffen. Die erste Lösung sei keine gute, meinte Tiefensee, werde aber im Papier zum Kohleausstieg zumindest indirekt präferiert.

Dem will sich Thüringen entgegenstellen und die verbleibende Zeit nutzen, um auf den anderen beiden Wegen Fortschritte in Wissenschaft und Technik zu machen. Das Mittel der Wahl soll ein neues Forschungsinsitut sein, das diesen Fragen nachgeht und von der Nordhäuser Hochschule, der Bauhaus-Universität Weimar, dem Finger-Institut und dem Institut für Angewandte Bauforschung Weimar betrieben werden soll.

Die interdisziplinäre Einrichtung soll Anwendungsorientiert zu Wiederverwertbarkeit von Rohstoffen, optimierten Abbaumethoden, der Verlängerung der Lebensdauer von Produkten, Verbrauchsreduktion, Ersatzstoffen und weiteren Themen forschen.

Soweit (und stark verkürzt) der Plan. Vor der feierlichen Eröffnung sind aber noch einige Hürden zu überwinden. Minister Tiefensee war denn heute auch vor allem da, um den Stein überhaupt erst einmal ins Rollen zu bringen. Das soll bis zur Mitte nächsten Jahres mit einer Machbarkeitsstudie geschehen, welche die bisherigen Überlegungen "wasserdicht" macht und die Thüringer gegenüber dem Bund und anderen Mitbewerbern in eine optimale Ausgangslage bringen soll. "Wir werden alles daran setzen, dass so etwas wie bei der Etablierung des Batterieforschungszentrums (Anm. d. Red.: das letztlich, nicht ganz unumstritten, nach Münster ging) nicht noch einmal geschieht. Wir werden uns das nicht noch einmal bieten lassen", unterstrich Tiefensee, man werde das Thema so fundiert vorbereiten, das man in Berlin gar nicht anders könne als "ja" zu sagen.

Die Voraussetzungen sollten nach den bisherigen Forschungsschwerpunkten der beteiligten Institutionen durchaus gegeben sein, würde man den Zuschlag Anfang des Jahres 2021 erhalten, würde auch das Land Thüringen seinen Beitrag leisten, so der Minister weiter. Das man die Thüringer in Berlin zumindest auf dem Schirm hat, zeigt die finanzielle Unterstützung in Höhe von 240.000 Euro, die der Bund für die Erstellung der Machbarkeitsstudie bereit stellt.

Im Subtext der Auseinandersetzung mit dem Rohstoff Gips und dem Kohleausstieg schwingt noch eine Altlast mit, die heute ebenfalls Thema war: der Kali-Bergbau in der Region. Während Berlin für den Strukturwandel in den Kohleregionen viel Geld auszugeben bereit sei, hätte man die Bergbauregionen des Südharzes in den letzten Jahrzehnten mit den sozialen Folgekosten nach dem wegbrechen des Kali-Bergbaus alleine gelassen, kritisierte Landrat Jendricke, die Folgen spüre man bis heute. Auch in den neuen Berliner Überlegungen tauche der Thüringer Norden nicht auf, obwohl man durch den Kohleausstieg gerade mit Blick auf den Gips mit ganz erheblichen Folgen zu rechnen habe. "Wir wollen und brauchen keine Milliarden, ein paar hundert Millionen Euro würden uns schon reichen", sagte Jendricke.

Die Etablierung eines Forschungszentrums sollte nach den Vorstellungen der Initiatoren auch wirtschaftliche Implikationen für die Region haben, schließlich müssen neu entwickelte Produkte auch irgendwo hergestellt werden und Nordhausen hätte da ein frisches, unberührtes Industriegebiet anzubieten.

Das Institut selber würde hier aber nicht residieren, die Arbeitsschwerpunkte würden an den etablierten Standorten der Hochschulen in Nordhausen und Weimar verbleiben, meinte Tiefensee.

Ein kompletter Stopp des Gipsabbaus im Südharz bliebe wohl auch bei erfolgreichen Forschungsergebnissen und praktischen Anwendung nur ein Wunschtraum. Man wolle keine falschen Erwartungen wecken, unterstrichen die Wissenschaftler, Recycling und Ersatzbaustoffe seien vor allem "Bausteine" einer Strategie, könnten den Abbau von Naturgips aber nicht vollauf ersetzen, zumal die Nachfrage in den kommenden Jahren eher steigen als fallen soll.

Das man in Nordhausen durch die Forschung der Hochschule in Verbindung mit dem Gips eine Sonderposition in Deutschland einnimmt, zeichnet sich schon seit längerem ab. Gelingt es die ambitionierten Pläne der Forscher umzusetzen, könnte daraus für die Region ein neues wirtschaftliches Standbein Abseits von Zuliefererindustrie, Maschinenbau und Alkohol erwachsen. Ein Standbein, das Nordhausen im 21. Jahrhundert so prägen könnte, wie es die traditionellen Stärken der Region in der Vergangenheit getan haben. Der Südharz befindet sich hier, trotz und wegen all der Probleme rund um Bergbau und Gipsindustrie, in einer genuin guten Ausgangslage. Ob man die "Nase vorn" behalten wird, wie es Minister Tiefensee fordert und auf den ersten Schritt auch ein zweiter folgt, hängt nun vom Engagement der Akteure und dem Geschick der Politik ab. Die nötigen argumentativen Hebel scheint man in der Hand zu haben.
Angelo Glashagel
Autor: red

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