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Was kann Recycling leisten?

Und vielleicht retten wir uns ja doch (II)

Dienstag, 18. Februar 2020, 08:30 Uhr
Viele absolute Wahrheiten kennt die Welt nicht. Der Umstand das unsere weltweite Rohstoff-„Party“ nicht ewig weitergehen wird gehört dazu. Wir werden mehr, der Hunger steigt stetig während die Reserven des Planeten endlich sind und ihre Ausbeutung immer komplizierter wird. Eine Lösung des Dilemmas: mehr Recycling. Doch was kann die Wiederverwertung heute tatsächlich leisten und was kann man für die Zukunft erwarten?

Dr.-Ing. Christian Borowski sucht nach Wegen unseren Müll effizienter wiederzuverwerten (Foto: Angelo Glashagel) Dr.-Ing. Christian Borowski sucht nach Wegen unseren Müll effizienter wiederzuverwerten (Foto: Angelo Glashagel)
Mitte 2019 begab sich der Amerikaner Victor Vescovo in Gefilde, die vor ihm nur eine Handvoll Menschen zu Gesicht bekommen haben. Bis auf 10.928 Meter tauchte der Abenteurer hinab. Und was fand der Mann in der ewigen Finsternis des Mariannen-Grabens? Müll. Selbst in den abgelegensten Regionen, fernab jeglicher Zivilisation, finden sich heute die Spuren menschlichen Lebens und Wirtschaftens. Ob im heimischen Wald oder auf der einsamen Insel.

In den Ozeanen treiben Meeresströmungen riesige Mengen Müll zusammen, allein im „Great Pacific Garbage Patch“ im Nordpazifik sollen rund 1,8 Billionen Plastikteile und -teilchen schwimmen, verteilt über eine Fläche von 1,6 Millionen Quadratkilometern. Fünf solcher Müllstrudel wurden bisher identifiziert, ein sechster könnte gerade in der Barentssee entstehen.

Wohin mit all dem Müll? Einfach verbrennen oder einsammeln und wieder verwerten? Die Frage wie die Recyclingtechnik weiterentwickelt wird und was sie zu leisten im Stande ist, könnte für die Zukunft des menschlichen Lebens auf dem Planeten entscheidend sein.

Grüner Punkt und Gelber Sack


Den Grünen Punkt kennt hierzulande jeder, Mülltrennung ist Alltag in Deutschland. Seit 1991 läuft das Duale System und sorgt dafür das aus Abfall neue Produkte, Energie und Wärme generiert werden. Die Frage ist: reicht das?

Wenn es um Recycling geht, ist man in Nordhausen in der glücklichen Lage handfestes Expertenwissen direkt vor der Haustür anzutreffen. Etwa am „THI-Wert“, dem Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe der Nordhäuser Hochschule. Ende 2018 wurde das Zentrum gegründet, 10 Wissenschaftler forschen an tragfähigen Ideen zur Sammlung und Wiederverwertung unserer zivilisatorischen Hinterlassenschaften, von der Plastikflasche auf der Wiese bis zum Bauschutt in der Stadt. Zum Team gehört auch Dr. Christian Borowski. Der Ingenieur hat sich seine akademischen Weihen in Nordhausen und Clausthal-Zellerfeld verdient und entwickelt heute Steuerungstechnik und Apparate rund um unseren Abfall.

Bei der Wiederverwertung von Papier, Glas und Metallen stehe man grundsätzlich nicht schlecht da, erzählt Borowski, Kupfer, Aluminium und Stahl ließen sich heute gut recyceln. So müsse die deutsche Stahlindustrie vergleichsweise wenig Rohstoffe zukaufen, da man etwa zu drei Vierteln mit Schrott arbeiten könne. Anders sieht es beim Plastik aus.

Vor allem die Zunahme an Lebensmittelverpackungen bereitet den Wiederverwertern Kopfzerbrechen. Kunststoffverpackungen gibt es für alles mögliche, aber gerade im Lebensmittelbereich hat man seit der Einführung des „Grünen Punkts“ deutliche Zunahmen zu verzeichnen gehabt. „Wenn sie früher zum Fleischer gekommen sind, dann wurde ihnen die Wurst in Stanniolpapier verpackt, heute finden meist mit Kunststoff beschichtete Verpackungen Verwendung“, erzählt Borowski. Das Problem dabei: die sind schwerer zu recyceln. Fettsäuren dringen in den Kunststoff ein, Gerüche setzen sich fest, der Reinheitsgrad des „Recyclats“ sinkt und das „neue“ Material ist nicht mehr ohne weiteres einsetzbar.

Guter Müll, schlechter Müll


Wie hoch die Recyclingquote in Sachen Plastik tatsächlich ist, sei eine Frage der Berechnung, erklärt der Wissenschaftler, einheitliche Zahlen gibt es nicht. Hinzu kommt die Bindung an den Ölpreis. Ist der hoch, lohnt es sich Plastikprodukte aus recyceltem Material herzustellen, sinkt der Ölpreis greifen Hersteller eher zum Primärrohstoff. Entsprechend schwanken die Wiederverwertungsquoten.

Das Spiel von Angebot und Nachfrage sorgt auch dafür das es „guten“ und „schlechten“ Müll gibt. So führte die Volksrepublik China, die dem Rest der Welt lange Zeit fast die Hälfte ihres Plastikabfalls abgenommen hatte, vor zwei Jahren eine Qualitätsgrenze ein. Seitdem wird lediglich „hochreiner“ Abfall angenommen und verarbeitet, der dessen Gehalt an Störstoffen nicht über 0,5% liegen darf. Müll der nur geringen „Wert“ hat landet andernorts auf riesigen Deponien. Wind und Wetter tragen die Hinterlassenschaften schließlich über Land und Wasser. Aus Deutschland kommen dabei vor allem Abfälle aus Industrie und Gewerbe, weniger der alltägliche Haushaltsmüll. Seit Inkrafttreten der chinesischen Einfuhrbeschränkungen ist Malaysia Hauptabnehmer europäischen Altplastiks, rund 400.000 Tonnen sind es im Jahr.

Was kann Recycling in Zukunft leisten?


Borowski sieht mehrere Herausforderungen, denen es sich zu heute zu stellen gilt. Wie bekommt man den Abfall aus der Umwelt und in die Verwertung? In Deutschland habe man das halbwegs im Griff, solange man festen Boden unter den Füßen hat. Anders sieht es in den Ozeanen und in weniger entwickelten Ländern aus. Die nötige Infrastruktur, etwa in Form von Müllheizkraftwerken, fehlt in der „dritten Welt“ meist. Zudem müsste man für eine deutliche „Massenreduktion“ sorgen. In Deutschland ist das durch die Reorganisation der Mülldeponien gelungen. Seit 2005 wird stärker vorsortiert, lediglich reaktionsarmer Restmüll gelangt heute auf die Halde. Das Ergebnis: weniger Volumen und mehr Recycling.

Herausforderung Nummer zwei: schaffen wir es gängige Ressourcen durch andere zu ersetzen? Borowski gibt ein Beispiel: wenn mehr Elektrofahrzeuge auf die Straße kommen, wird weniger Treibstoff benötigt. Das beträfe auch Bioethanol und Biodiesel, die genutzt werden könnten um Kunststoffe herzustellen, die bisher aus Erdöl gewonnen werden. „Solche technische Kunststoffe tragen einen wesentlichen kleineren CO2-Rucksack mit sich und sind fast Naturstoffe“, erklärt der Wissenschaftler. Ein solcher Werkstoff kann nach Gebrauch verbrannt werden um wieder Energie zu erzeugen ohne zusätzliches Kohlendioxid freizusetzen wie es bei Kunststoffen auf Erdölbasis heute der Fall ist.

Herausforderung Nummer Drei: können neue Technologien und Werkstoffe wirtschaftlich recycelt werden?
Relativ junge Technologien wie Lithium-Ionen Batterien sollen helfen den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Dabei entsteht auch „neuer“ Abfall, der recycelt werden will. „Elektroschrott kann man auch als Erzlager betrachten. Die Konzentration ist höher als in der Erde und man muss nicht erst aufwendig buddeln, um heranzukommen und wer Rohstoffe zurück in den Wirtschaftskreislauf bringen kann, ist weniger abhängig vom Import“, erklärt Borowski. Dem entgegen stehe im Moment vor allem die Wirtschaftlichkeit und damit die Notwendigkeit schlüssiger Rückführungsketten. Eine Lithium-Ionen Batterie etwa lasse sich größtenteils mechanisch recyceln, entsprechende Verfahren werden unter anderen an der Bergakademie Freiberg, bei Loser-Chemie aus Zwickau und der Firma Duesenfeld erprobt. Lithium-Ionen Batterien bestehen aus Lithium, Cobalt, Nickel und Mangan. Hinzu kommt ein wenig Kupfer, Aluminium und Kunststoff. Metallische und Nichtmetallische Komponenten lassen sich über Magnetabscheider und Wirbelstromscheider voneinander trennen. „Was bleibt ist die sogenannte „black mass“, aus Lithium, Cobalt, Mangan und Nickel und da steckt für Aufbereiter richtig Musik drin.“, meint Borowski, „die Konzepte sind da, was zur Wirtschaftlichkeit ist die Masse“.

Auch für Verbundstoffe, wie sie etwa beim Bau von Windkraftanlagen Verwendungen finden, werden Recyclingverfahren erprobt. Um den Kunststoff von Glasfaser und Holz zu trennen kann man etwa auf Pyrolyse setzen, ein thermisch-chemischer Prozess bei dem der feste Kunststoff durch erhitzen erst in seinen gasförmigen Aggregatzustand gebracht wird und durch Abkühlung als flüssiger Stoff wieder aufgefangen werden kann. Was übrig bleibt ist die freiliegende Faser. Wirtschaftlich sei das aber noch nicht eins zu eins möglich, gibt der Nordhäuser Wissenschaftler zu bedenken, zudem gebe es in der Forschung Bestrebungen Kohle- und Glasfaser durch Naturfasern zu substituieren. Siehe Herausforderung zwei. Besonders vielversprechend sei im Moment die Bananenfaser.

Können wir Konsumgüter „recyclegerecht“ bauen?
Wenn Recycling effektiver werden soll, muss schon am Anfang an das Ende gedacht werden. Je leichter sich die Komponenten eines Produktes sortieren und separieren lassen, desto leichter wird die Wiederverwertung und der Energieaufwand sinkt. Der Grundgedanke der Wiederverwertbarkeit muss also schon im Produktdesign verankert werden, sei es bei Elektronik, Konsumgütern oder Verpackungen. „Das Ziel muss sein, ökologisch auf „Null“ zu kommen. Eine CO2-neutrale Herstellung von Konsumgütern ist schaffbar“, sagt Borowski.

Nur nützt das beste Design wenig, wenn der Müll einfach zusammengeschmissen wird. „Fehlwürfe“ sind ein Problem, auch für den eigenen Geldbeutel. „Wenn Sie in Deutschland etwas kaufen, dann haben Sie für die Entsorgung der Verpackung schon bezahlt. Landet ihr Kunststoff aber in der Restmülltonne, zahlen sie doppelt, denn die Entsorgung von Rest- und Biomüll ist nicht im Kaufpreis inbegriffen. Anders herum haben wir ein Problem wenn Restmüll im Gelben Sack landet, zum Beispiel Windeln.“ Die Einführung der „Gelben Tonne“ sei grundsätzlich zu begrüßen da so vermieden werden könne das Abfall durch kaputte Säcke in die Umwelt gelange. Auf der anderen Seite sei es für die Abfuhr schwieriger „Fehlwürfe“ zu entdecken.

Die Lösung heißt für Borowski und Kollegen: bessere Bildung und ein höheres Umweltbewusstsein. Wer die Hintergründe der Müllentsorgung kennt, wird eher richtig „werfen“. Das gesellschaftlicher Druck zu Veränderungen führen kann, habe man in der Vergangenheit immer wieder beobachten können. „Nach der Wende hat man sich zum Beispiel zunächst auf die „technische Sanierung“ konzentriert. Danach kam das Flächen- und Stoffrecycling, heute sehen wir einen verstärkten Fokus auf Umwelt- und Recyclingtechnik. Die Entwicklung spiegelt auch einen gesellschaftlichen Werdegang wieder, der andernorts ähnlich laufen wird. In China wurden vor drei Jahren Kohleheizungen verboten weil man enorme Probleme mit der Luftverschmutzung hatte. Solche Maßnahmen können durch den Druck der Bevölkerung ins laufen geraten oder „von oben“ dirigiert werden. Nur leider passiert meist erst dann etwas, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“.

Er blicke grundsätzlich positiv in die Zukunft, sagt Borowski, das es nicht weitergehen könne wie bisher, würde man in manchen Ländern früher sehen als in anderen, insbesondere wenn man wie die europäischen Industrienationen oder auch Japan stark von Importen abhängig ist. „Um einen Ausbau des Recyclings werden wir nicht umhin kommen. An den Stellen, wo die Verfahren noch nicht funktionieren, muss man noch nachbessern, vor allem bei Kunststoffen, Elektrogeräten und massereichen Baustoffabfällen“.

Die alleinige Rettung werde Recycling aber nicht sein. „Die Wiederverwertung wird unseren Rohstoffverbrauch abmildern, aber man wird nicht gänzlich auf Primärquellen verzichten können“, resümiert der Forscher.

Egal wie sich Verfahren und Technik entwickeln werden, man wird Energie brauchen um sie umzusetzen. Wo die in Zukunft herkommen kann ist die Kernfrage unserer Zeit. Die nächste Betrachtung soll sich deswegen dem ungeliebtem Stiefkind deutscher Energieerzeugung widmen: der Atomkraft. Außerdem werden wir einen Blick auf die (ferne) Zukunft werfen und uns mit der Fusionsenergie befassen.
Angelo Glashagel
Autor: red

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