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Nachgefragt:

„Viele Jugendliche sind aufmüpfig und respektlos."

Montag, 27. Juli 2020, 09:00 Uhr
„Die Dunkelziffer der im Dienst verletzten Beamten ist verdammt hoch. Und auch die ständigen Beleidigungen und Anfeindungen hinterlassen Spuren...“ Unsere Polizei ist „müde, krank und kaputtgespart“. Das waren Schlagzeilen zurückliegender Woche. Wie sieht eigentlich so ein Alltag im Streifendienst der Nordhäuser Polizei aus? Eine junge Polizistin spricht im Interview mit Cornelia Wilhelm über Ihre Erfahrungen im Dienst...


Habt ihr auf den Streifenfahrten vorgegebene Routen, oder fahrt ihr mehr ziellos umher?

„Nein, es gibt keine vorgegebenen Routen. Insofern wir keine Einsätze oder einen Einsatz beendet haben, gehen wir über in die Streifentätigkeit. Das bedeutet, wir bewegen uns auf verschiedenen Strecken durch den gesamten Schutzbereich, machen Verkehrskontrollen, sind als Ansprechpartner für den Bürger da und kontrollieren Schutzobjekte.“

Gibt es so etwas wie „No-go-Areas“ – Bereiche, in denen der Rechtsstaat handlungsunfähig ist?

„No-Go-Areas gibt es meines Kenntnisstandes nach nicht.“

Hast Du mehr mit respektlosen Leuten oder mit netten Leuten zu tun?

„Nette und respektlose Leute – ich hätte fast gesagt, es hält sich die Waage. Dem ist aber leider nicht mehr so. Meistens haben wir es mit unfreundlichen Leuten zu tun, die mit der allgemeinen Situation in Deutschland, insbesondere mit der Politik nicht einverstanden sind. Wir als Uniformträger repräsentieren den Staat. Dementsprechend lassen die Leute ihren Frust und Ärger sehr häufig an uns aus. Bei den Kontrollen werden wir mit Aussagen konfrontiert wie: "Habt ihr nichts Besseres zu tun?" oder "Die anderen müsst ihr kontrollieren, das sind die Verbrecher!" Und wir werden sehr häufig angepöbelt. Viele Bürger fühlen sich missverstanden. Besonders dann, wenn sie selbst von einer polizeilichen Maßnahme betroffen sind.“ Wir werden auch oft von Unbeteiligten angefeindet, wenn wir uns gerade in einer Maßnahme befinden. Oft sehen die Menschen nur die Uniform, nicht den Menschen darin.“

Wie sieht es bei Jugendlichen aus?

„Viele Jugendliche sind aufmüpfig und respektlos. Sie haben das Gefühl, dass ihnen sowieso keiner etwas kann. Fühlen sich "stark", weil sie sich im Internet über ihre „Rechte“ belesen können. Das dazu auch Pflichten gehören, wird dabei oft vergessen. Das ist ein häufig hausgemachtes Problem. Sie bekommen es oft von den Eltern so vorgelebt. Sie pöbeln uns an oder versuchen, sich der Maßnahme, die getroffen werden soll, durch Weglaufen zu entziehen. Die Respektlosigkeit der Heranwachsenden gegenüber der Polizei hat stark zugenommen. Dann wird "gemotzt", unflätig oder gar nicht auf Fragen von uns geantwortet. Es ist mittlerweile in dieser Altersgruppe zum Volkssport geworden, gegenüber Erwachsenen insbesondere Uniformträgern, so frech wie möglich zu sein. Sind sie im Gegenzug einmal selbst Opfer einer Straftat geworden und benötigen unsere Hilfe, geben sie sich dann als die lammfrommsten und höflichsten Menschen überhaupt. Unser Leitspruch: „Die Polizei - Dein Freund und Helfer“ ist dann plötzlich wieder greifbar.

Erfahrt ihr im Dienst auch mal Dankbarkeit?

„Es gibt manchmal auch nette Leute, die im Vorbeigehen einfach mal Danke sagen oder sich nur mal unterhalten wollen. Das sind dann immer die kleinen Lichtblicke. Wir sind ja schon froh, wenn jemand bei einer Verkehrskontrolle einfach höflich bleibt.“

Mit welchen Bereichen wirst Du während Deiner Arbeit konfrontiert?

„Unser Einsatzspektrum führt über die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten wie der nicht mitgeführten Warnweste bis hin zur Körperverletzung, Drogenhandel oder Mordversuchen.“

Wie kaputt ist unsere Polizei wirklich gespart?

„Unsere Polizei ist so kaputtgespart! Auf die Schutzbereiche kommen viel zu wenig Streifenwagen, die zunehmend mit Kollegen im gesetzten Alter gefahren werden. Viele Kollegen, die seit 20, 30 Jahren im Schichtsystem arbeiten sind frustriert, müde, krank und haben keine Aussichten auf Beförderung oder eine Tagdienststelle, auf der sie bis zur Pension arbeiten können.“

Habt ihr die Möglichkeit, euch weiterzubilden?

„Lehrgänge, Schulungstage und Schießtrainings werden immer weniger, weil das Personal fehlt. Zum einen die Trainer, zum anderen fehlt den Beamten, welche zum Training wollen, die Zeit, daran teil zu nehmen. In Meiningen, in der Ausbildungsstätte der Thüringer Polizei gibt es für 29 Klassen gerade mal einen Lehrer, der für Polizeieinsatztechniken zuständig ist. Ein Skandal!“

Wie verhält es sich in Punkto technische Ausstattung- auch im Straßenverkehr?

„Vernünftige PKW, die auch mal ein Schlagloch aushalten, Platz haben und nicht von jedem gewöhnlichen Auto "abgezogen" werden besitzen wir nicht– Wir fahren Zafiras, das sind Familienautos! Die Sparmaßnahmen gehen so weit, dass wir auch technisch weit hinterherhinken. Sind wir mal ehrlich: Heutzutage hat jeder ein Smartphone. Blitzer werden zeitnah im Radio und in Facebook bekannt gegeben. Ein größeres Polizeiaufgebot zum Zwecke einer Durchsuchung, Festnahme, etc. schafft es kaum bis zum Zielort, ohne x-mal fotografiert und in den sozialen Medien bekannt gegeben worden zu sein. Und wir Polizisten?

Wir haben keine Diensthandys. Theoretisch sind private Handys im Dienst nicht erlaubt. Oft braucht man aber die sozialen Netzwerke um zu ermitteln. Es fängt ja schon beim Navigationssystem an. Wir haben keine. Wir sind gezwungen, unser Handy zu nutzen. Auch zur Kommunikation, oft finden wir uns in Gegenden wieder, wo unser Funk nicht funktioniert. Ohne Handy wären wir aufgeschmissen. Da erwartet der Dienstherr dann volle Hingabe und den Einsatz privater Mittel – sonst wäre der Dienst nicht ausführbar. Es ist eine Art Gentleman-Agreement. Das Ganze geht weiter bei den Bodycams, zu den es bereits zwei Pilotprojekte gab, ausreichend positives Feedback – und trotzdem haben wir keine. Teaser – ein milderes Mittel als die Schusswaffe, aber effektiver als Pfefferspray- haben wir nicht. Viele Kollegen haben lange Zeit abgetragene Hosen und Hemden getragen, weil unser Einkleidungshaus keine Klamotten hatte.“

Na, aber Polizeibeamte verdienen doch ganz gut, oder?

„Die Besoldung eines Beamten ist mittlerweile schon nicht mehr vorzeigbar. Dafür, dass wir ein Leben lang im Dienst sind - ja, auch ein Pensionär ist immer noch Beamter mit allen Rechten und Pflichten- und 24/7 unseren Beamtenpflichten unterliegen, ist es eine Schmach, was am Ende des Monats von unserem Geld übrig bleibt. Es klingt immer richtig toll, wenn man sich die Gehaltstabellen im Internet anschaut. Aber davon muss ein Beamter sich (und evtl. seine Familie) privat krankenversichern, zahlt mehr an Lebensversicherung aufgrund des Berufsrisikos, muss sich gegen alle Eventualitäten absichern mit einer teuren Haftpflichtversicherung, evtl. einer Regressversicherung, und so weiter.

Außerdem zahlen wir zwar keine gesetzlichen Rentenbeiträge, müssen uns dafür aber auch privat versichern. Und dafür gehen die meisten von uns in 12-Stunden-Schichten arbeiten, nachts und tagsüber, machen sich ihre Gesundheit auf lange Sicht kaputt. Gut, man hat sich den Beruf selbst ausgesucht, aber im Laufe der Zeit sind die Lebenshaltungskosten immens gestiegen – unser Gehalt nicht.“

Beförderung - Wie sieht es damit aus?

„Es gibt Kollegen, die gehen als Polizeiobermeister in Pension – weil es keine Stellen zur Beförderung gibt. Das ist eine Farce! Der Lohn für 40 Jahre oder länger Dienst in Schichten auf der Straße. Zum Vergleich: Beispielsweise in Bayern werden auch Beamte aus dem mittleren Dienst mit etwa 3500 Euro Brutto (A11) in die Pension entlassen. Da sind drei Gehaltsklassen und einige hundert Euros dazwischen. Schauen wir doch mal unsere Alarmzüge, unsere Bereitschaftspolizeien, unsere Einsatzunterstützung an.
Erschwerniszulage für die Bereitschaftspolizei Thüringen – Fehlanzeige! Der Landtag gibt 170 Euro Erschwerniszulage rückwirkend zum 01.01.2020. Politisch gesehen werden wir missbraucht. Fremdhundertschaften können das Handeln unserer SPD-geführten Dienstherren nicht verstehen, da dies zumeist Rechtsbeugung ist. Naja, so könnte zahlreich weiter aufgezählt werden.“

Personalmangel soll es auch in Nordhausen geben?

„Überall fehlt es an Personal. Die „Blitzer“ versuchen zu zweit, ihre Listen abzuarbeiten, die Hundeführer müssen in Bereitschaftszeiten von Gera nach Suhl, von Nordhausen nach Gotha oder sonst wo hin. Wartezeiten, Einsatzzeiten, Stress. Thüringen hat seine Polizei in jeder Hinsicht kaputtgespart!“

Musstest Du im Einsatz schon einmal auf einen Menschen schießen?

„Es kommt leider immer öfter vor, dass wir unsere Waffen ziehen und in manchen Fällen auch auf jemanden richten müssen, weil wir mit Waffen und Messern oder anderen Gegenständen bedroht werden. In solchen Situationen müssen wir stets kontrolliert entscheiden, damit auf beiden Seiten niemand unnötig zu Schaden kommt. Ich musste noch nie auf einen Menschen schießen, möchte das aber auch vermeiden. Ich hoffe immer, dass jeder Mensch einen Funken Verstand hat und sich kommunikativ von seinem rechtswidrigen Vorhaben abbringen lässt.“

Habt ihr im Streifenwagen Peilsender, damit im Notfall festgestellt werden kann, wo sie gerade sind?

„Unsere Fahrzeuge und Funkgeräte sind mit GPS-Systemen ausgestattet, die es im Notfall möglich machen, geortet zu werden.“

Wie viel Wahres steckt hinter den TV-Sendungen „Auf Streife“, „Blaulicht-Report“ usw.?

„Die Delikte aus den geläufigen TV-Sendungen sind sicher oft Bestandteile des Strafgesetzbuches. Die Art und Weise der Abarbeitung ist manchmal nicht ganz wahrheitsgetreu. Aus solchen Sendungen nehmen viele unserer Delinquenten ihr Rechtsverständnis – deswegen hören wir so oft "Ihr dürft das nicht". Doch, dürfen wir. Die einschlägigen TV-Sendungen sind nicht das, was man unter Bildungsfernsehen verbuchen sollte.“

Inwiefern hast Du die Freiheit, bei kleineren Delikten mal ein Auge zuzudrücken?

„Bei Straftaten können wir kein Auge zudrücken. Im Bereich der Ordnungswidrigkeiten, in dem wir mehr im Verkehrsbereich tätig sind, besteht die Möglichkeit, den Betroffenen der Maßnahme bis zu einem geringfügigen Betrag mündlich zu verwarnen. Das hängt allerdings auch immer ganz davon ab, um was es dabei geht.“

Wie oft wurdest Du in den letzten drei Monaten während des Einsatzes im Durchschnitt körperlich oder psychisch angegriffen und wie gehst Du damit um?

„Angriffe, ob verbal oder körperlich, gibt es mittlerweile in fast jeder Schicht. Man kann sagen, drei- bis viermal pro Woche werden wir angegriffen, beleidigt, bespuckt, verletzt. Viele der Kollegen stecken das einfach weg, zeigen beispielsweise Beleidigungen nicht mal mehr an, weil die Judikative die Anzeigen sowieso einstellt und der Papierkrieg, den wir dafür führen müssen, sich einfach nicht lohnt. Es gibt auch einige Kollegen, die aus den letzten Jahren der ständigen Beleidigungen und tätlichen Angriffe eine persönliche Abneigung aufgebaut haben. Keine generelle, aber eine gegen jene, die uns beleidigen und angreifen. Die lassen sich das dann eben nicht mehr gefallen, sondern wehren sich. Irgendwann ist die Geduld eben auch am Ende.

Ich habe Kollegen, die aus dem Streifendienst oder gar aus dem Polizeidienst ausgestiegen sind, weil sie von sich selbst sagen, dass bei weiterer Dienstausführung irgendwann noch ein Unglück passiert – einfach, weil das Fass voll ist. Ich persönlich würde behaupten, ich stecke die Angriffe noch ganz gut weg. Klar, man wird rauer im Ton und aufmerksamer für mögliche Angriffe. Man greift einmal schneller zum Pfefferspray, wenn man schon mehrmals im Dienst verletzt wurde. Ich versuche das aber alles nicht mit nach Hause zu nehmen. Auf Dauer möchte ich das aber auch nicht machen, die Zeiten haben sich gewandelt.“

Würdest Du Dir in bestimmten Situationen wünschen, Dich im Einsatz besser schützen zu können? Wenn ja, wie?

„Ja, allein mit mehr „Manpower“ oder besseren Einsatzmitteln wie den erwähnten Teasern oder Bodycams wäre man besser geschützt. Wie oft steht man mit nur einem Streifenwagen, besetzt mit zwei Beamten, vor dem Ort einer Schlägerei, wo sich 30-50 Leute prügeln. Da ist man nahezu handlungsunfähig. Aber das ist unser Job, wir müssen handeln. Also stellen wir uns der Situation und "gehen rein". Unterstützung braucht bei uns im ländlichen Raum oft lang, eh sie da ist.“

Wie zwingend ist es erforderlich, dass das Land hier Abhilfe schafft?

„Es ist nicht nur dringend notwendig, dass das Land hier Abhilfe schafft, sondern schon völlig überfällig! Die Zahl der verletzten Beamten steigt jährlich. Die Verletzungen werden auch schlimmer, bis hin zu lebensbedrohlich. Und vieles zeigen Beamte gar nicht an. Ein zerrissenes Diensthemd, ein zerkratzter Arm oder blaue Flecken werden gar nicht zur Anzeige gebracht – man erwartet eh eine Einstellung des Verfahrens. Die Dunkelziffer der im Dienst verletzten Beamten ist verdammt hoch. Und auch die ständigen Beleidigungen und Anfeindungen hinterlassen Spuren. Danach fragt aber keiner, das müssen wir unter uns aus machen.“

Musst Du nach Dienstschluss dann nochmal zur Wache, um alles zu protokollieren, was ihr im Einsatz macht oder könnt ihr das irgendwie auf den Server übertragen (spart ja auch Zeit)?

„Wenn wir einen Einsatz hatten, müssen wir diesen zu Papier bringen. Meistens versuchen wir, nach jedem Einsatz oder zumindest jedem zweiten oder dritten Mal zur Wache zu fahren und ein bisschen was in den Computer zu klimpern. Oft ist das nicht zu schaffen, weil die nächsten Einsätze reinkommen. Manchmal müssen Vorgänge auch liegen bleiben bis zum nächsten Dienst. Denn nach 12 Stunden Dienst will und kann sich keiner mehr an den PC setzen, um noch einen Vorgang fertig zu machen. Wir haben einen Laptop, der offline auf dem Streifenwagen genutzt werden kann.

Man könnte hier in Wartezeiten schon etwas eingeben. Aber erstens gibt es nur einen pro Dienststelle, das heißt, man müsste ausknobeln, welcher Streifenwagen den haben darf, und zweitens haben wir selten Wartezeiten. Meistens ist es ja so, dass wir noch in einem Einsatz sind und schon über Funk den nächsten bekommen, der entweder so dringend ist dass der aktuelle Einsatz abgebrochen werden muss oder er kann noch warten und wird im Anschluss erledigt. Dienstschluss ist immer auf der Wache, nach dem Abrüsten des Fahrzeugs und der persönlichen Einsatzgegenstände.“

Wie sieht es mit den Dienstzeiten aus? Lassen sich Job und Familie noch einigermaßen gut miteinander vereinbaren?

„Wir haben normalerweise einen festen Dienstplan. Allerdings kommt es auch mal vor, dass der Dienst verschoben wird, von Tag- auf Nachtschicht oder umgekehrt. Es werden auch manchmal freie Tage gestrichen – einfach weil kein Personal da ist. In manchen Dienststellen (in manchen Einsatzbereichen) ändert sich der Dienstplan nahezu täglich, das macht eine private Planung völlig unmöglich. Da es immer 12 Stunden sind, die wir im Dienst verbringen, plus die Fahrtzeiten zum Dienst und wieder nach Hause, ist mit einem Diensttag, egal ob Tag oder Nacht, ein ganzer Tag rum.“

Vielen Dank für das Gespräch
Autor: psg

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