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Eine Tatsachengeschichte und ihre Hintergründe

Wenn der Nachbar töten will

Freitag, 18. September 2020, 09:00 Uhr
Es ist Nacht und im Treppenhaus randaliert ein höchstwahrscheinlich betrunkener oder unter Drogen stehender Nachbar und hämmert gegen die Tür. „Ich bring euch alle um, ihr Missgeburten“, ist die Botschaft, die er laut hinausschreit. Was tun die anderen Mieter in diesem Falle und wer hilft ihnen? …



Seit einem reichlichen Jahr wohnt ein junger Mann in einem Nordhäuser Mehrfamilienhaus und versetzt seine Nachbarschaft in Angst und Schrecken. Er ist Mitte Dreißig, Deutscher und ganz offenbar psychisch krank. Bereits neunzehnmal wurde die Polizei wegen seinen beängstigenden und gewalttätigen Aktivitäten gerufen und konnte ihn nach ihrem Eintreffen jeweils wieder beruhigen. Reuig und weinerlich versprach er Besserung und betonte, dass er krank sei.

Eine verängstigte alleinerziehende Mutter wandte sich nun mit diesem Fall an die nnz und bat um Hilfe. Ihr gegenüber ist der rabiate Nachbar (nennen wir ihn Robert P.) bereits übergriffig geworden, ihre beiden schulpflichtigen Söhne sehen ihre Mutter hilflos den Attacken ausgesetzt. So hämmert Robert P. beispielsweise unvermittelt an die Wohnungstür und schreit „Du bist tot!“. Die Frau, nennen, wir sie Jeanette M., hat sich bei allen möglichen Stellen beschwert und ihre Situation geschildert. Die zuständigen Stellen sind als Vermieter des Hauses die WBG Südharz, das Landratsamt Nordhausen mit seinem sozialpsychatrischen Dienst und die Polizeiinspektion Nordhausen. Und weil sich inzwischen nicht nur Jeanette M. über den extremen Nachbarn beschwert, ist allen drei Stellen der Sachverhalt geläufig.

Wir wollten von den Institutionen wissen, was in einem solchen Fall unternommen wird.

Kurz und bündig fiel die Antwort aus dem Landratsamt aus: „Zu solchen personenbezogenen Anfragen können wir aus datenschutzrechtlichen Gründen keine inhaltlichen Angaben machen, wir können nicht einmal bestätigen, dass es einen solchen Fall bei uns gibt. Die Datenschutzvorgaben im Gesundheitsamt sind analog der ärztlichen Schweigepflicht“, heißt es in der offiziellen Antwort. Zwei Mitarbeiter des Amtes sind laut Jeannette M. mehrfach vor Ort gewesen, wenn die Situation wieder einmal eskalierte, konnten und durften aber nicht eingreifen. Der Fall Robert P. ist der Behörde also bekannt, seine Krankheit muss der Patient aber selbst bestätigen, sonst sind den Ämtern die Hände gebunden. So die inoffizielle Lesart.

Eine sehr ausführliche Antwort kam von der WBG Südharz, die dem Mieter Robert P. bereits den Mietvertrag gekündigt hat.

„Im Allgemeinen nehmen wir den Ärger und auch die Ängste unserer Bewohner sehr ernst. Wir sind uns – als größter Vermieter Nordthüringens - unserer Verantwortung gegenüber unseren Mitgliedern bewusst und erledigen unsere Pflichten sehr gewissenhaft. Zwei Sozialarbeiterinnen kümmern sich in unserer WBG Südharz speziell um Angelegenheiten, die Störungen des Hausfriedens betreffen und arbeiten, basierend auf einem Beschwerdemanagementsystem, sowohl unterstützend als auch fordernd mit unseren Mitgliedern zusammen. Mithilfe verschiedener sozialarbeiterischer Methoden und Techniken können so die allermeisten Auseinandersetzungen geklärt werden“, schreibt die Sachbearbeiterin und führt weiter aus: „In einzelnen Fällen nutzen wir unsere Rechtsmittel, die jedem Vermieter per BGB zur Verfügung stehen. Bei anhaltender Uneinsichtigkeit oder Unfähigkeit eines Mitglieds, sich an unsere vertraglichen Bestimmungen (wie z.B. die Wahrung des Hausfriedens) zu halten, haben wir das Recht, einen Nutzungsvertrag zu kündigen. Dies geschieht mit einer Fristsetzung, innerhalb derer das Mitglied seine Wohnung an uns herausgeben muss – also auszuziehen hat. Sollte diese Frist fruchtlos verstreichen, so können wir eine Klage auf Herausgabe der Wohnung beim Amtsgericht Nordhausen einreichen. Dies geschieht unter Hinzuziehung fachlich versierter Anwälte. Da es bei Gericht verschiedene Fristen und Termine zu wahren gilt, dauert es einige Monate, bis eine Räumungsklage mit einem Urteil abgeschlossen wird.“

Und hier beginnt auch das Dilemma, in dem sich ein Vermieter in einem solchen Falle sieht.

„Während dieser Zeit können wir als Vermieter nichts weiter tun, als weiterhin Beschwerden aufzunehmen und mit den Bewohnern in Kontakt zu bleiben. Dies ist oftmals schwer nachvollziehbar für die Nachbarschaft, da verständlicherweise die Störungen oftmals unvermindert fortgesetzt werden und an den Nerven zehren. Eine Beschleunigung dieses Verfahrens ist dennoch nicht möglich. Erst nach einem Urteil, gesprochen von einem Richter, der sich noch einmal mit dem gesamten Fall auseinandersetzt, haben wir schließlich die Möglichkeit, einen Gerichtsvollzieher mit der zwangsweisen Herausgabe der Wohnung zu beauftragen (vorausgesetzt, der Richter hat unser Anliegen für Recht anerkannt). Auch hier gibt es nochmals Fristen zu wahren. Sodann wird ein Termin von einem Gerichtsvollzieher bestimmt, an dem die Wohnung geöffnet werden darf und der bisherige Nutzer aus der Wohnung sozusagen verwiesen wird. Dieser Vorgang ist allgemein als „Zwangsräumung“ bekannt und das einzige legale Rechtsmittel, gegen einen vehementen Störer vorzugehen.“

Die WBG empfiehlt Jeannette M., sich zusätzlich auf privatrechtlichem Wege gegen den Störer zu wehren. Beispiele hierfür sind die Unterlassungsklage oder - je nach Sachverhalt – eine Anzeige/einen Strafantrag wegen Bedrohung, Beleidigung oder Sachbeschädigung.
 
Härtefälle wie der beschriebene bilden eine Ausnahme und liegen pro Jahr im einstelligen Bereich bei insgesamt rund 7000 Wohnungen der Genossenschaft. „Dennoch“, heißt es in der Antwort weiter, „bewirken diese verständlicherweise ein hohes Maß an Unzufriedenheit. Unsere Versicherung an unsere Mitglieder ist, dass wir sie auch in solchen prekären Situationen nicht im Stich lassen und unsere Rechtsmittel zur Wiederherstellung des Hausfriedens ausschöpfen – auch wenn dies nicht von heute auf morgen durchsetzbar ist und Geduld braucht, wie beschrieben. Manchmal ist dies schwer nachzuvollziehen für die leidende Nachbarschaft, doch wir haben auch eine vertragliche Pflicht dem Störer gegenüber, einen Rechtsstreit gegen ihn oder sie ordnungsgemäß und gesetzeskonform durchzuführen“, schließt die Stellungnahmen des Vermieters.

Die Nordhäuser Polizeiinspektion äußert sich ebenfalls unmissverständlich: „Die Polizei wird bei einem Einsatz, in dem es um eine vermeintliche Bedrohung geht, zuerst prüfen, ob die Bedrohung noch andauert und ob es sich überhaupt um eine Bedrohung/ eine Straftat handelt. Ist der Täter vor Ort, werden die Personalien erhoben und gegebenenfalls Anzeige erstattet, sofern tatsächlich eine Straftat vorliegt. Lässt das Verhalten des Täters darauf schließen, dass die Bedrohung andauert, wenn die Polizisten den Einsatzort verlassen, kann der Täter in Gewahrsam genommen werden. Allerdings ist dieser Gewahrsam zeitlich begrenzt."

Weil das Verhalten des Mieters Robert P. auf eine psychische Erkrankung schließen lässt, können die Polizisten den sozialpsychiatrischen Dienst des Landkreises (Gesundheitsamt) hinzuziehen, schreibt uns die Pressestelle der Polizeiinspektion. „Bei offensichtlich psychisch Kranken kann die Polizei keine präventiven Hinweise geben. Opfer sollten immer wieder die Polizei verständigen, die zumindest für den Moment Hilfe leisten kann.“ Weiter verweist die Polizeiinspektion auf den zivilrechtlichen Weg, sich an den Vermieter zu wenden.

Für die Betroffenen mag die eine oder andere hier zitierte Aussage unbefriedigend ausfallen, der Rechtsstaat verlangt allerdings ein so stark abgesichertes Vorgehen, um eventuellen Missbrauch oder Rechtsbeugung zu verhindern. Jeannette M. wird noch so lange mit der Bedrohung durch Robert P. leben müssen, bis dieser aus der Wohnung auszieht oder endlich seine Krankheit anerkennt und sich behandeln lässt.
Olaf Schulze
Autor: osch

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