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Diskussion zum ÖPNV

Der Landrat schmiedet Pläne

Freitag, 18. September 2020, 14:59 Uhr
Die Entscheidung wie es mit Bus und Bahn in der Stadt Nordhausen weitergehen soll, fiel im Stadtrat diese Woche nicht. Im Landratsamt plant man derweil schon einmal, wie es weitergehen könnte und kritisiert die Informationspolitik der Stadtverwaltung…

Landrat Jendricke stellte heute konkrete Ideen für die Zukunft der Nordhäuser Straßenbahn vor (Foto: agl) Landrat Jendricke stellte heute konkrete Ideen für die Zukunft der Nordhäuser Straßenbahn vor (Foto: agl)

Die Situation zwischen Stadtrat, Stadtverwaltung und Landratsamt wird zunehmend skurril. Da verlangt der Oberbürgermeister von seinen Stadträten eine Entscheidung hop oder top, Abgabe von Bus und Bahn an den Landkreis oder nicht, ohne vorher relevante Sachfragen besprochen zu haben. Die Stadträte werden derweil beim Landrat vorstellig, um sich über etwaige Auswirkungen einer solchen Entscheidung zu informieren, weil die eigene Verwaltung Fragen nicht beantwortet. Und im Landratsamt macht man sich derweil schon einmal Gedanken über mögliche Investitionsvorhaben ohne überhaupt zuständig zu sein.

Rund 24,5 Millionen Euro hätte der Kreis gerne vom Land, um bis 2027 diverse Investitionen in Gleisbau und Fuhrpark der Nordhäuser Straßenbahn zu tätigen. Ein konkretes Förderprogramm gibt es dazu noch nicht, das muss man in Erfurt erst einmal mit der EU aushandeln, da hier Mittel aus dem europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) eingeworben werden sollen. Für die Verhandlungen brauche das Land aber Zahlen von den Kommunen, die in ihre Straßenbahnen investieren wollen, erklärte Landrat Matthias Jendricke heute. Erfurt, Jena und Gera hätten bereits Interesse angemeldet, nur in Nordhausen winke man ab, und das nicht erst seit gestern, sondern seit 2018. Mitteilungen der Landesregierungen dazu habe es immer wieder gegeben, die nächsten Gesprächsrunden stehen Ende September an, aber in Nordhausen rühre man sich nicht. Die Stadt führt an, dass keine Investitionen nötig seien, da der Fuhrpark, im Gegensatz zu den genannten Städten, bereits ausreichend modern sei und die Nutzung von Fördermitteln des Landes ins Leere laufen würden.

Hinter dem Verhalten der Stadtverwaltung vermutet Jendricke eine klare Strategie. Abseits der Betriebserhaltung würden nötige Investitionen in die Zukunft bewusst nicht mehr getätigt, da man die Abgabe der Aufgabe an den Landkreis seit längerem im Auge habe. Er sieht hingegen durchaus Potential, etwaige Landesmittel in Millionenhöhe sinnvoll einzusetzen und will dem Wirtschaftsministerium konkrete Ideen vorlegen, obwohl der Kreis (noch) nicht zuständig ist und weiter unklar ist, ob er es in absehbarer Zeit sein wird:

  • 9,5 Millionen Euro veranschlagt man für die Schaffung der „Linie 20“ samt Gleisbau von der Parkallee bis zum Hartmannsdamm, einen Brückenbau über die Zorge und weitere Gleisanlagen bis zur Ricarda-Huch-Straße sowie eine „Wasserstofftankstelle“ am HSB-Bahnhof Nordhausen Nord
  • mit weiteren 15 Millionen Euro möchte man die Combino-Duo Straßenbahnen mit Wasserstofftechnik um- und ausbauen, die dann auf der Linie bis zur Grimmelallee verkehren könnten


Nicht enthalten sind Überlegungen einer Straßenbahnanbindung bis nach Bielen, aber auch darüber wurde im Landratsamt schon nachgedacht. Bei einer Umsetzung solcher Projekte könne man auf „erhebliche Fördersätze“ hoffen, es sei „fatal“ sich jetzt nicht um Investitionen in die Zukunft des Nahverkehrs zu kümmern und derlei Chancen ungenutzt verstreichen zu lassen, erklärte der Landrat. Dass die Stadt hier bisher nicht aktiv geworden ist, sei „sinnlos und befremdlich“. Man hätte ohne weiteres auf den Kreis zugehen können und diesen im Auftrag der Stadt handeln lassen, wenn ohnehin der Wille da ist, den ÖPNV perspektivisch abzugeben.

Das Problem liegt aus Sicht der Kreisverwaltung also gar nicht so sehr im „Ob“, die Aufgabe scheue man nicht, erklärte Jendricke zum wiederholten Male. Die Schwierigkeit sieht man eher im „Wie“ und da holperte es zuletzt gewaltig. Zum Hintergrund: Stadt und Kreis teilen sich die öffentliche Verkehrsplanung, man sitzt gemeinsam in den zuständigen Gremien, bei den Verkehrsbetrieben und der Holding der Stadtwerke, die Institutionen wie Hallenbad und Straßenbahn bisher, Dank der Gewinne der Energieversorgung Nordhausen und der SWG, steuerlich günstig, querfinanzieren konnte. Doch die Zeiten sind vorbei und die Stadt würde das historische gewachsene und in Thüringen einmalige Konstrukt gerne auflösen.

Nur wie das vonstatten gehen soll, darüber schweigt man sich bisher aus. Auf der Website der Stadt wurde eine umfangreiche Themenseite eingerichtet, wichtige Fragen bleiben aber ungeklärt, kritisierten zuletzt auch Stadtratsmitglieder. Deren Informationen gingen nicht über das hinaus, was im Internet zu lesen sei, erklärt Steffen Iffland, Fraktionsvorsitzender der CDU im Stadtrat, der nnz.

Was etwa wird aus den Verkehrsbetrieben, deren Anlagevermögen und anhängenden Krediten? Informationen über mögliche Folgen habe man schon vor der jetzigen Diskussion immer wieder in Aufsichtsratssitzungen eingefordert und protokolliert, sagt Iffland, ohne Erfolg. Antworten der Verwaltung habe man bisher nicht erhalten, nun will man es noch einmal schriftlich versuchen.

Jendricke: die Stadt redet nicht mit uns (Foto: agl) Jendricke: die Stadt redet nicht mit uns (Foto: agl) Mit seinem Frust über die Kommunikationspolitik der Stadtverwaltung hält auch Landrat Jendricke nicht hinter dem Berg. „Es gibt natürlich Begegnungspunkte, wir sitzen zusammen im Aufsichtsrat. Da könnte man reden. Aber wenn ich hier in der Vergangenheit Fragen hatte oder Pläne vorgestellt habe, dann habe ich von Seiten des Oberbürgermeisters meist Schweigen geerntet. Die Stadtverwaltung spricht nicht mit uns, nicht mit mir als Landrat und nicht mit den Fachämtern.“ Für Gespräche sei man jederzeit bereit, er werde den Dialog weiter suchen, erklärt Jendricke weiter, die nächste Gelegenheit dazu werde es in der kommenden Woche geben, wenn der Aufsichtsrat erneut zusammen kommt.

Während sich die Stadtverwaltung mit Informationen selbst an den eigenen Stadtrat zurückhält, kommen aus dem Landratsamt eigene Einschätzungen der Lage. Hier ist man der Meinung, dass ein Erhalt der jetzigen Struktur schon rein rechtlich gar nicht möglich sei, da man bei einer Übernahme nach EU-Recht volle „Durchgriffsrechte“ brauche. Sonst müsse der ÖPNV öffentlich ausgeschrieben werden. Die Stadtverwaltung erklärt in ihrer „FAQ“, dass eine Diskussion zur Zukunft der Verkehrsbetriebe erst dann geführt werden könne, wenn der Stadtrat eine Richtungsentscheidung getroffen habe. Das wiederum wollten die Stadträte am Mittwoch nicht mit sich machen lassen. „Es geht hier nicht um die Übertragung eines Pkw, da muss es im Vorfeld Gespräche geben“, sagt Iffland und kündigt an, dass man genau das mit einem fraktionsübergreifendem Beschluss anschieben wolle.

Bis dahin ist man in der befremdlichen Situation, dass sich Stadträte relevante Informationen beim Landrat holen und dieser vorsorglich Akzente in einer Sache setzt, die nicht in seiner Zuständigkeit liegt. Quod erat demonstrandum: im kommenden Kreistag will Jendricke die Schaffung einer eigenen Verkehrsgesellschaft anregen, für den Fall der Fälle.
Angelo Glashagel
Autor: red

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