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FÜR UNSERE SPRACHE

Rettet nicht nur das Zigeunerschnitzel!

Dienstag, 29. September 2020, 12:48 Uhr
„Müssen uns geifernde Gutmenschen mit ihrer penetranten politischen Korrektheit eigentlich alles madig machen?“, fragte Peter Hahne bereits 2014. Wenn man heute sieht, mit welchen wortakrobatischen Mitteln die Kämpfer für alle Gerechtigkeiten unsere Sprache verschlimmbessern wollen, kann einem angst und bange werden, meint Jürgen Wiethoff...


Neueste Auswüchse sind Binnen-I, Gendersternchen und -doppelpunkte, die je nach regionalem Belieben auch in Behördenbriefen angewendet werden, obwohl sie einfach nicht in irgendwelche Rechtschreibregeln passen. Wenn wir unsere Sprache nicht verhunzen wollen, müssen wir nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch daran festhalten, das grammatisches und natürliches Geschlecht meistens nicht zusammenpassen.

Im Deutschen haben alle Substantive ein grammatisches Geschlecht. In den meisten Fällen gibt es nicht den geringsten Bezug zum Konzept des biologischen Geschlechts. Warum heißt es „Der Tisch“, „Die Tür“, „Das Radio“? Ich weiß es nicht. Warum ist die Mehrzahl immer weiblich? Warum sind Männer in der Gruppe, also der Mehrzahl weiblich? SIE spielen Skat und Fußball. Das tun Frauen auch und bleiben dabei weiblich. Müssen wir, zumindest sprachlich, jetzt für die Gleichberechtigung des Mannes kämpfen?

Die Gleichberechtigung der Frau ist ein zu hohes Gut unserer Gesellschaft, um sie durch feministische Übertreibungen lächerlich zu machen. Der Rucksack auf dem Rücken einer Frau wird nicht zur Rucksäckin, der Rollator im Gebrauch einer älteren Dame nicht zur Rollatorin. Jeder Heimwerker männlichen Geschlechts wird ja seine Rohrzange nicht in „der Rohrzanger“ umbenennen. Hoffe ich wenigstens.

Die Sprache der „political correctness“ hat sich vom Sprachgebrauch der Bürger immer weiter entfernt. Warum eigentlich benutzen die meisten Journalisten für den Begriff die englische Sprache? Vielleicht ja, um klar zu machen, dass sie sprachliche und politische Korrektheit unterschiedlich bewerten.

Wenn im „Rotkäppchen“ der böse Wolf zum bösen Wolfspaar umgedichtet wird, beachtet bitte: Nun ist es zwar gendergerecht, aber immer noch nicht zeitgerecht. Wölfe, die Urväter und -mütter unserer Hunde, sind nicht mehr böse. Sie dürfen im Gegensatz zu den Hunden wieder überall frei rumlaufen, jede Menge Nutzvieh reißen, sind aber unverzichtbar für die Natur, meint die Politik. Der hundsgemeine Familienhund hingegen ist an der Leine durch diese verkehrte Welt zu führen und muss in streng behüteten Waldgebieten, losgerissen von Frauchen oder Herrchens Hand, schlimmstenfalls mit seinem Abschuss rechnen.

Womit wir bei Märchen und Sagen und Kinderbüchern wären. Sie sind Produkte ihrer teilweise sehr alten Zeit und es machen die Eltern einen Fehler, die das ihren Kindern nicht vermitteln. Den Eltern, die ihre Kleinen mit „angepassten“ Varianten erfreuen, wünsche ich intelligente Kinder, die zum Beispiel die Frage stellen: „Wo hat denn der Südseekönig sein Königreich?“ „Na, in der Südsee.“ „Das ist also ein versunkenes Königreich und er regiert jetzt mit Taucherausrüstung. Muss er die Sauerstoff-Flasche oft wechseln?“

Meine Generation hat als Kindergartenkind noch gelernt:
Ein Neger ist ein Mensch mit dunkler Hautfarbe.
Zigeuner sind Menschen ohne festen Wohnsitz.
Mohrenköpfe und Liebesknochen schmecken gut und gibt es beim Bäcker.

Negerküsse schmecken auch gut, gibt es aber im Gebiet der ehemaligen DDR fast überall auch erst seit 1990. Vorher gehörten sie häufig zur „Bückware“. Heute heißen sie anders, und zwar abhängig vom Hersteller.

Wir waren 1945 nach kurzer Übergangszeit SBZ-Kinder geworden und begegneten fortan wesentlich weniger Negern auf der Straße. Sie waren ja in unseren Augen immer etwas Besonderes gewesen, weil sie uns das Kaugummi oder die Schokolade nicht wieder wegnahmen, obwohl wir zu unseren Müttern mit Fingerzeig gesagt hatten: „Das habe ich von dem Neger bekommen.“

Wenn man hört und liest, dass eine ältere Frau Mohr, Besitzerin einer Konditorei und des langjährigen Spitznamens „Möhrchen“, die von ihr geschaffenen und nach ihr benannten Spezialitäten umbenennen soll, fragt man sich, wann der Wahnsinn so weit geht, dass man beim Gemüsehändler keine Möhren mehr zu kaufen bekommt, ehe diese nicht im Sinne der Sprachschänder umbenannt sind. Was für ein Glück: Habe gerade nachgeschlagen. Man kann Möhre auch Karotte, Mohrrübe, Gelbrübe, Gelbe Rübe, Rüebli, Riebli oder Wurzel nennen. Richtig: Mohrrübe muss man natürlich in dieser Aufzählung streichen. Dennoch ist mein Leipziger Allerlei – wenigstens in diesem Punkt – gerettet. Oder ist diese Bezeichnung jetzt eine versteckte Beleidigung der Einwohner der Messestadt?

Mitte der 1960-er Jahre geriet ich am Rande einer Dienstreise nach Leipzig in eine Gruppe dunkelhäutiger Studenten – alle mit guten Deutschkenntnissen -, die von mir wissen wollten, warum Neger nicht mehr Neger heißen sollen. Ich wusste es nicht. Wie ich denn jetzt zu Menschen mit dunkler Hautfarbe sagen sollte, wusste ich und sagte: „Farbige.“ Ich stieß auf totales Unverständnis, gekrönt von der Frage; „Weiß, rot, gelb usw. sind wohl jetzt keine Farben mehr?“ „Doch, doch!“, sagte ich, der Verzweiflung schon ziemlich nahe. Aber wir schieden in Freundschaft mit der Einigung, dass „Neger“ und „goddamned nigger“ zwei unterschiedliche Begriffe in unterschiedlichen Sprachen sind, was man alles nicht miteinander verwechseln oder gar vermischen sollte.

Bestimmte Gruppen von Sinti und Roma, so las ich auch bei Peter Hahne, legen Wert auf den Sammelbegriff Zigeuner. Warum also hier bewusst Verdruss schaffen?

Hört auf, Wörter und Begriffe zu verbiegen. Nicht das Wort ist falsch. Nur falscher Gebrauch schadet der Sprache und damit der Gesellschaft. Mit diesem Aufruf wende ich mich ganz bewusst an alle Bürgerinnen und Bürger und nicht an BürgerInnen, Bürger:innen, Bürger*innen. Soviel Zeit muss schon sein.
Jürgen Wiethoff
Autor: red

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