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Landesministerien korrigieren sich zu Schulöffnungen

Die Nerven liegen blank

Freitag, 19. Februar 2021, 19:12 Uhr
Heute am späten Nachmittag verfügte die Thüringer Landesregierung, dass in Landkreisen mit einem Inzidenzwert über 200 die Grundschulen nun doch nicht am Montag öffnen dürfen. Für Werte zwischen 150 und 200 wird es ebenfalls dringend empfohlen. Verantwortlich sollen dafür aber die Landkreise sein und nicht mehr die Landesregierung. Das Chaos nimmt ungehindert seinen Lauf …



Als hätte er auf eine solche unglaubliche Entscheidung gewartet, reagierte der Thüringer Lehrerverband (tlv) sofort. „Es ist einfach nur beschämend, wir hier mit all den Menschen umgegangen wird, die von einer solchen Entscheidung betroffen sind“, heißt es in der Stellungnahme vom Vorsitzenden Rolf Busch. „Denn das ist ja nicht nur das pädagogische Personal: Auch die Eltern, die Verkehrsbetriebe, die Anbieter der Schulspeisung … An so einer Entscheidung hängen die Zeit, die Kraft, die Nerven und das Geld sehr vieler Menschen.“
 
Der tlv hatte bereits am Dienstag gefordert, die Schulöffnungen für den 22. Februar nicht unabhängig von Inzidenzwerten zu beschließen. Aber die Landesregierung ließ sich nicht beirren und brüstete sich stattdessen auch noch damit, dass ja nun den Schulen die geforderten drei Werktage Vorlauf gewährt seien. Rolf Busch flüchtet sich inzwischen sichtlich in Sarkasmus. „Tja. Das war wohl wieder einmal nichts. Diese Art der Entscheidungsfindung und Kommunikation lassen sowohl das nötige Sachverständnis als auch den ebenso wichtigen Respekt für alle Betroffenen schmerzlich vermissen. Ein echtes Armutszeugnis – heute, am Tag der Zeugnisausgaben.“

Auch der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag, Christian Tischner, ist fassungslos: „Die Landesregierung agiert im Panikmodus. Wo überlegtes Krisenmanagement nötig wäre, herrscht völlige Überforderung. Statt mit einer langfristigen, inzidenzbasierten Strategie Planungssicherheit für Schüler und Eltern zu schaffen, bremst das Gesundheitsministerium das Bildungsministerium in letzter Sekunde aus kassiert die gerade erst erlassene Verordnung.“ Empört zeigt sich Tischner zudem darüber, dass die Verantwortung kurzerhand an die Landkreise abgewälzt wird. Lehrer, Eltern und Schüler tappten nun völlig im Dunkeln. „Heute weiß in Thüringen keiner, was morgen gilt. Ich frage mich, wann in der Regierung Ramelow jemand für dieses planlose Handeln Verantwortung übernimmt.“

Vor allem die Schulöffnungen und der reguläre Betreib der Kindertagesstätten waren in der letzten Zeit von verschiedenen Bundesländern immer wieder vehement eingefordert worden. Ein Zusammenhang zwischen Schulbetrieb und gesteigerten Infektionszahlen konnte bisher nicht beweisen werden. Die bloße Vermutung, es wäre so, gefährdet inzwischen dramatisch den Ausbildungsstand von zwei Schuljahrgängen, die keine Chance mehr haben, den Rückstand jemals wieder aufzuholen. Die Landtagsfraktion der GRÜNEN schlug heute dazu vor, dass die Kinder an Nachmittagen, Wochenenden oder in den Ferien weiter unterrichtet werden sollen. Solange sich die rot-rot-grüne Regierung an den 7-Tage-Inzidenzwerten orientiert steht allerdings zu befürchten, dass es auch dann keinen Unterricht geben wird. Am heutigen Beispiel aus dem Kyffhäuserkreis, wo eine Masseninfektion in einem Seniorenpflegeheim die Inzidenzzahl auf 193 trieb, ist gut abzusehen, was ein Festhalten an dieser Regelung bedeutet: keine Schule für alle Jahrgänge in allen Schulen des Landkreises, wenn in einem Seniorenheim 40 Menschen infiziert sind!

Und was passiert, wenn die Inzidenz wieder unter 150 fällt? Dann beginnt die Beschulung am nächsten Tag? Oder am übernächsten? Wer sagt den Schülern Bescheid? Fährt der Lehrer von Haus zu Haus? Oder soll die wunderbar funktionierende Thüringer Schulcloud dafür genutzt werden? Oder offenbart sich hier ein Totalversagen der zuständigen Ministerien?

Da nützt es auch nichts, wenn der Thüringer Bildungsminister Holter (LINKE) für die gebeutelten Lehrkörper, Eltern und Kinder Verständnis signalisiert: „Für Familien und Schul- und Kindergartenkinder in den betreffenden Gebietskörperschaften ist es natürlich eine neue harte Botschaft. Aber daran führt heute leider kein Weg vorbei.“

Auch die Mitleidsbekundungen seiner Kollegin aus dem Gesundheitsressort Heike Werner (LINKE) können die Betroffenen nicht trösten: „Ich weiß um die Nöte der Familien. Kinder brauchen den Kontakt zu anderen Kindern. Das soll überall dort ermöglicht werden, wo es zu verantworten ist.“
 
Zu verantworten hat es aber die Ministerin mit sinnvollen und nachvollziehbaren Maßnahmen. Es können nicht jeden Tag andere Beschlüsse gefasst und umgesetzt werden, denn die Inzidenzzahlen ändern sich täglich! Das müsste eigentlich inzwischen in den Ministerien bekannt sein.

Weiter Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner: „Wir sehen mit Sorge, dass der Rückgang der Infektionen seit einigen Tagen auf viel zu hohem Niveau stagniert. Auf diese Entwicklung müssen wir reagieren, wenn wir das Erreichte nicht aufs Spiel setzen wollen.“

Wenn der Rückgang stagniert, ist das keine Entwicklung, Frau Ministerin, sondern eine Stagnation! Ein Lehrer würde dazu sagen: Inhalt und Ausdruck 6! Setzen!“ Aber das steht uns hier nicht zu.
Olaf Schulze

Die heutige Anweisung der beiden Ministerien im Wortlaut, so wie sie uns zugegangen ist

Gemeinsame Medieninformation
Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie
Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport
Erfurt, 19. Februar 2021
 
Keine Öffnung von Kindergärten und Schulen in Corona-Hotspots
Bildungseinrichtungen müssen bei Inzidenzwerten von über 200 geschlossen bleiben, Empfehlung der Schließung bei Inzidenz von über 150
 
Die Landesregierung hat die Landkreise und kreisfreien Städte angewiesen, Kindertageseinrichtungen und Schulen geschlossen zu halten, wenn der 7-Tages-Inzidenzwert pro 100.000 Einwohner im Landkreis oder in der kreisfreien Stadt am heutigen Tag bei 200 Neuinfektionen oder darüber liegt. Bei einem 7-Tages-Inzidenzwert zwischen 150 und 200 wird die Maßnahme empfohlen. Auf dieses Vorgehen hatten sich Gesundheitsministerin Heike Werner und Bildungsminister Helmut Holter zuvor angesichts der zuletzt wieder steigenden Infektionszahlen in Thüringen verständigt.
 
Gesundheitsministerin Heike Werner erklärt: „Wir sehen mit Sorge, dass der Rückgang der Infektionen seit einigen Tagen auf viel zu hohem Niveau stagniert. Auf diese Entwicklung müssen wir reagieren, wenn wir das Erreichte nicht aufs Spiel setzen wollen. Daher müssen die Kindergärten und Schulen in den besonders von der Pandemie betroffenen Regionen Thüringens geschlossen bleiben. In Hotspots kann es keine Schulöffnungen geben. 
Der Inhalt der Weisung an die Landkreise und kreisfreien Städte im Einzelnen:
 
Liegt der 7-Tages-Inzidenzwert pro 100.000 Einwohner im Landkreis oder in der kreisfreien Stadt am 19.02.2021 bei 200 Neuinfektionen oder darüber, sind folgende Einrichtungen über den 22.02.2021 hinaus geschlossen zu halten:
 
Kindertageseinrichtungen und die Kindertagespflege nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 und 4 und Abs. 2 Satz 1 des Thüringer Kindergartengesetzes (ThürKigaG) vom 18. Dezember 2017 (GVBl. S. 276) in der jeweils geltenden Fassung sowie
die staatlichen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen einschließlich der Schulhorte und Internate, die der Schulaufsicht nach § 2 Abs. 6 des Thüringer Gesetzes über die Schulaufsicht vom 29. Juli 1993 (GVBl. S. 397) in der jeweils geltenden Fassung unterliegen, sowie die Schulen in freier Trägerschaft.
 
Während der fortdauernden Schließung gelten die bisherigen Regelungen zur Notbetreuung und die bekannten Ausnahmen für den Präsenzunterricht (Abschlussklassen und besonderer Unterstützungsbedarf).
 
Liegt der Inzidenzwert im Landkreis oder in der kreisfreien Stadt ab dem 22.02.2021 bei 200 oder darüber, sind die o.g. Einrichtungen ab dem Folgetag zu schließen.
 
Die genannten Maßnahmen sollen getroffen werden, wenn der Inzidenzwert im Landkreis oder in der kreisfreien Stadt zwischen 150 und 200 liegt.
 
Die Schließung ist mittels Erlass einer Allgemeinverfügung anzuordnen. Sie kann frühestens beendet werden, wenn der Inzidenzwert an mindestens 7 Tagen hintereinander ununterbrochen den Wert von 150 bzw. 200 Neuinfektionen unterschreitet.
 
Maßgeblich sind die veröffentlichten Zahlen des tagesaktuellen Lageberichts des Robert Koch-Instituts.
Autor: osch

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