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Offener Brief an Minister Holter

An der Eltern-Basis ist das Fass am Überlaufen

Sonnabend, 20. Februar 2021, 18:00 Uhr
Die nnz hatte sich mit dem Hin und Her des Thüringer Kultusministeriums im Besonderen und der restlichen freistaatlichen Regierung in punkto Schulen und Kitas im Allgemeinen bereits ausführlich beschäftigt. Jetzt gibt es einen offenen Brief einer Frau aus dem Landkreis Nordhausen samt einer Rechnung...


Zur Vorgeschichte
Am Montag der zurückliegenden Woche wollte Linda Erbsmehl aus Werther vom Thüringer Kultusministerin wissen, wann den endlich mit "einer Entscheidung zur Wiederaufnahme des eingeschränkten Regelbetriebs an Kitas und Grundschulen zu rechnen" sei?

Schon zwei Tage später antwortete eine ministeriell Beauftragte folgendes: "Ab dem 22. Februar 2020 ist ein landesweiter pandemieangepasster Wiedereinstieg in den eingeschränkten Präsenzunterricht und die Kindertagesbetreuung geplant. Dieser ist erst einmal prinzipiell unabhängig von Inzidenzwerten in einzelnen Regionen Thüringen und damit ein Signal für ganz Thüringen."

Frau Erbsmehl begann also in ihrer Familie all das zu planen, was notwendig ist, um ihren Nachwuchs in Kita und/oder Schule schicken zu können. Doch es kam, wie man weiß, alles anders. Auch für Frau Erbsmehl. Die schrieb nun dem für die Bildung der Thüringer Kinder zuständigen Minister einen Brief, den wir gern veröffentlichen, inklusive einer Rechnung.

"Sehr geehrter Herr Holter,

es fällt mir zunehmend schwerer, Ihnen und dem Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Respekt entgegenzubringen, zeugt doch Ihre Vorgehensweise in Bezug auf die für den 22. Februar 2021 geplante Öffnung von Grundschulen und Kindergärten von wenig Respekt und Achtung den betroffenen Schülern, Eltern, Schulleitern, Lehrern, Kita-Leitern und Erziehern gegenüber!

Nach der Ministerpräsidentenkonferenz am 10. Februar dauerte es ganze sechs Tage bis das TMBJS die Umsetzung der Vorgaben aus der MPK für Thüringer Bildungseinrichtungen bekannt gegeben hat. Auf meine elektronische Anfrage vom 15. Februar 2021 an Ihr Ministerium nach einer schnellstmöglichen Bekanntgabe zum Vorgehen bezüglich der Schul- und Kitaöffnungen, erhielt ich am 17. Februar 2021 folgende Antwort: 'Ab dem 22. Februar 2020 ist ein landesweiter pandemieangepasster Wiedereinstieg in den eingeschränkten Präsenzunterricht und die Kindertagesbetreuung geplant. Dieser ist erst einmal prinzipiell unabhängig von Inzidenzwerten in einzelnen Regionen Thüringen und damit ein Signal für ganz Thüringen.

Bei der weiteren Öffnung von Schule und Kindertagesbetreuung werden natürlich auch die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt werden. Dazu zählen jedoch nicht nur die Inzidenzzahlen, sondern auch weitere Faktoren, welche die Krisenstäbe vor Ort in die Beurteilung der Situation einfließen lassen; so bspw. die Anzahl der Patienten in intensivmedizinischer Betreuung, die konkrete Verteilung des Infektionsgeschehen, …. Das TMBJS ist mit den Krisenstäben der einzelnen Landkreise und kreisfreien Städte im regelmäßigen Austausch. Angepasst an die konkrete Lage vor Ort können daher auch abweichende Regelungen für einige Gebietskörperschaften getroffen werden.' (Auszug).

Nach Bekanntgabe dieser Verordnung starteten Schulen, Kitas und Eltern umgehend mit der Umsetzung, um dann am Freitagabend völlig überraschend feststellen zu müssen, dass es für einige von ihnen absolute Zeitverschwendung war. Denn mittlerweile ließ das TMBJS verlauten, dass aufgrund einer Vorgabe vom Gesundheitsministerium in Kreisen mit einer Inzidenz von 200 die geplanten Schul- und Kitaöffnungen nicht umgesetzt werden dürfen!

Nun stellt sich mir ernsthaft die Frage: War es in den sechs Tagen vom 10. bis 16. Februar nicht möglich, sich mit dem Gesundheitsministerium abzustimmen und eine klare, schlüssige und konkrete Entscheidung zu treffen? Eine solche Festsetzung so kurzfristig an einem Freitag um 17 Uhr bekannt zu geben - nachdem sich die Bildungseinrichtungen in nicht einmal drei Tagen vom 16. – 19. Februar auf die Öffnung vorbereitet, Maßnahmen ergriffen und Eltern informiert haben, erscheint mir nicht nur fahrlässig, sondern durchaus realitätsfern und sogar verhöhnend.

Den Einrichtungen ist jegliche Möglichkeit der Reaktion genommen. Dienstpläne für das Lehr- und Erziehungspersonal wurden erstellt, Schüler zur Hortbetreuung und für die Mittagessenversorgung angemeldet. Eltern haben sich wahrscheinlich in ihrer Arbeitsplanung und ihren Schichten danach gerichtet und müssen nun alles innerhalb weniger Stunden und über das Wochenende revidieren und umplanen – ganz zu schweigen von den Kindern, die sich nach über zwei Monaten Homeschooling und Isolation auf die Schule, Lehrer und ihre Klassenkameraden gefreut haben und nun völlig schuldlos bitter enttäuscht wurden!

Ich gebe zu, ich wohne in einem Landkreis mit einer Inzidenz von unter 200 und unter 150. Daher könnte ich behaupten, ich habe Glück gehabt, mich betrifft es schließlich nicht. Dem ist aber nicht so! Bei dieser wankelmütigen Vorgehensweise bin ich womöglich nächste Woche von einer erneuten Schul- und Kitaschließung betroffen.

Und so richte ich meinen Appell an Sie: Herr Holter, bei allem verbliebenen Respekt, das ist keine Art und Weise mit Schülern, Lehrern, Erziehern, Kitakindern und Eltern umzugehen! Hätte ich das Recht dazu, würde ich Ihnen eine große Rüge, gar einen Tadel, aussprechen und Sie zur Wiedergutmachung drängen.

Das obliegt mir jedoch nicht. Daher bleibt mir nur, Sie auf eindringlichste Weise auf Ihren Fehler - und ja, genau das war es, ein Fehler – hinzuweisen und Sie zu ersuchen, das Vorgehen und den Umgang mit unseren Kindern zukünftig deutlich verantwortungsvoller, bedachter und realistischer anzugehen! Ich möchte an dieser Stelle die Debatte darum, dass Kinder ja keine Wählerstimme haben, nicht eröffnen, aber erwähnen, dass wir Eltern sehr wohl eine Stimme haben und Sie sich mit dieser Taktik wohl viele weitere Stimmen verspielt haben.

Darüber hinaus erlaube ich mir Ihnen, für die von mir erbrachte Leistung der Lehrtätigkeit für meinen Sohn, der seit September 2020 schulpflichtig ist und dessen Bildungsauftrag in den letzten Monaten hauptsächlich mir oblag, eine Rechnung auszustellen . Diese Rechnung ist meinem Schreiben angefügt.

Sollte ich mich an der ein oder anderen Stelle in diesem Brief etwas in der Wortwahl vergriffen haben, bitte ich dies zu entschuldigen, aber dennoch meinen Appell ernst zu nehmen. Ich gehe davon aus, dass ich damit nicht allein stehe!
Linda Erbsmehl, Werther

Update, 28.02.:Wie Frau Erbsmehl mitteilt, hat sie bis heute keinerlei Rückmeldung seitens des Thüringer Bildungsministeriums erhalten, weder auf den Brief noch auf die Rechnung.
Autor: psg

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