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Landrat Jendricke zur Lage nach einem Jahr Corona

Knapp die Hälfte der Infektionen durch Mutanten

Dienstag, 02. März 2021, 16:30 Uhr
Es geschieht wohl nicht alle Tage, dass eine kurzfristig einberufene Pressekonferenz im Landratsamt mit einem Ausschnitt aus einer Fernsehsendung beginnt, in der sich ein Virologe kritisch über die geltenden Corona-Schutzmaßnahmen äußert. Häufiger ist hingegen, dass der Nordhäuser Landrat eine Stunde am Stück spricht. Eine Zusammenfassung des interessanten Vortrags gibt Olaf Schulze


Landrat Jendricke mit den Umschlägen, die für Verwirrung sorgten (Foto: oas) Landrat Jendricke mit den Umschlägen, die für Verwirrung sorgten (Foto: oas)


Es wäre nicht relevant, ob der Inzidenzwert bei 50 oder 60 liege und das bisher erzielte Ergebnis wird nicht besser, wenn der Lockdown verlängert wird. Man müsse selektiver bei Schnelltests vorgehen und die psychische Gesundheit unserer Kinder wieder verstärkt in den Blick nehmen, sagte dieser Tage der Hallenser Virologe Prof. Alexander Kekulé in einer ZDF-Talkshow. Genau so sehe er es auch, kommentierte Landrat Matthias Jendricke den kurzen Einspieler, ehe er angesichts des Jahrestages der ersten Corona-Fälle im Kreis Nordhausen zu den Fakten der Krankheits-Bekämpfung kam.

Laut der heutigen Statistik auf zeit.de hat der Landkreis im Thüringenvergleich die drittwenigsten Fälle überhaupt vorzuweisen und ist in der Statistik der Gesamtfälle mit derzeit 1994 sogar Spitzenreiter in der Rubrik „geringste Fallzahlen“. Darauf ist Jendricke zu recht stolz und lobt die gute Arbeit seiner Kollegen im Amt, aber auch die anhaltende Disziplin der Landkreisbewohner, die zu solch geringen Zahlen geführt haben. Auch die insgesamt wenigsten Todesfälle in einer Thüringer Gebietskörperschaft sind in Nordhausen mit 44 verzeichnet. Bei den Todesfällen pro 100 000 Bewohner belegt Nordhauen gleich hinter Jena Platz 2. Diese beiden Verwaltungen waren es auch, die im März 2020 als erste die Maskenpflicht beschlossen und dafür mitunter heftig angefeindet wurden.

Nun müsse zügig eine Lockerungsstrategie umgesetzt werden, doch es seien „leider Bremser in den Staatskanzleien unterwegs“, sagte der Landrat. Er hätte immer schon gesagt, dass es unmöglich sei, jede Infektion zu verhindern und er wäre „froh, dass die Schulen auf sind.“ Besonders für diese Maßnahme habe er in den letzten Tagen viel Kritik einstecken müssen, aber „die Realität wird sein, dass wir auch in Kitas und Schulen einzelne Infektionen haben werden. Die Alternative sind geschlossene Schulen“.

Bei den zur Kontaktnachvollziehung angesprochenen Infizierten warb Jendricke für mehr Zusammenarbeit. Hier sei „leider eine zunehmende Verweigerungshaltung bei den Infizierten erkennbar.“ Dabei ginge es dem Gesundheitsamt nicht darum zu urteilen, sondern nur darum, die Infektionsketten zu unterbrechen. „Der Datenschutz steht in Deutschland leider über allem, in solchen Zeiten wünschte ich mir da mehr Flexibilität“, beklagte er die teilweise eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Verwaltung. Die Corona-App der Bundesregierung reiche bei weitem nicht aus zur Rückverfolgung und es sei nach einer Woche auch nur noch schwer nachvollziehbar, wann man wen getroffen habe. Aber so wie sich die Ausgangslage derzeit präsentiere, mache sie dem Landratsamt keine Angst mehr.

In punkto Tests appellierte er an die Eltern von in Quarantäne geschickten Kindern - wie es in Nordhausen in der Käthe-Kollwitz-Schule und der Lessingschule gerade passiert ist -, nicht am nächsten Tag zum Testen zum gehen, weil dann die Virenlast noch gar nicht relevant ausgeprägt sei, wenn es wirklich ein Infektion gab. Es gibt auch heute keine Abkürzung der 14-tägigen Quarantäne durch Tests mehr, wie das noch in den Weihnachtstagen bundesweit praktiziert wurde, betonte der Landrat.

Pressesprecherin Jessica Piper (re.) bereitet die Pressekonferenz im großen Plenarsaal vor (Foto: oas) Pressesprecherin Jessica Piper (re.) bereitet die Pressekonferenz im großen Plenarsaal vor (Foto: oas)


Zunehmend träten auch im Landkreis Nordhausen Mutationen des Virus auf, die erst in einem zweiten ausführlichen Test nachgewiesen werde können. In Nordhausen sind solche Mutationen im Kindergarten Domschlösschen aufgetreten und es wird geschätzt, dass die Mutationen derzeit 50 Prozent der Infektionen ausmachen.

Getestet wird in Nordhausen von der Kassenärztlichen Vereinigung in der Bahnhofstraße, im Testzentrum in der Zorgestraße, im Gesundheitsamt, der Hochschule, im Testfahrzeug des Landkreises sowie inzwischen auch bei Hausärzten. In den letzten Tagen wurden umfangreich die Mitarbeiter der Nordhäuser Hochschule und des Theaters getestet. Das Testmobil fährt weiterhin Unternehmen an, die Tests dort sind kostenlos, aber es wird eine Anfahrtpauschale von 250 Euro erhoben. Momentan pegeln sich die Werte dahingehend ein, dass etwa 1 Prozent aller Getesteten positiv reagieren. Genaue Zahlen werden wir Ihnen ein einem separaten Artikel noch vorstellen.

Jendricke ist ein Verfechter der Tests, weil er überzeugt ist, dass sie für zusätzliche Sicherheit sorgen und Krankheitsherde verhindern können. „Ich verstehe nicht, wie jetzt immer noch die Kosten für die Tests thematisiert werden und man sich damit aufhalten kann. Im Vergleich zu den volkswirtschaftlichen Schäden, die uns langfristig entstehen werden, wenn wir nicht testen, sind diese Kosten nur marginal.“ Er glaubt auch, dass mit der konsequenten Anwendung der „sehr effektiven FFP2-Masken viel mehr Öffnungsperspektiven bestehen als momentan umgesetzt werden“. Erste Pressevorberichte zur morgigen Kanzlerin-Coonaverlängerungs-Runde lassen da allerdings keine großen Hoffnungen zu. Auch darüber berichten wir noch gesondert.

Als Beispiel benannte der Landrat den Schwimmunterricht in der Klassenstufe 3, der sofort wieder aufgenommen werden muss, will man nicht riskieren, dass ein ganzer Jahrgang das Schwimmen nicht erlernt.

Äußerst unzufrieden zeigte sich Matthias Jendricke schließlich mit dem Impfgeschehen der kassenärztlichen Vereinigung im Nordhaus in der Stolberger Straße. Keine Termine, kein Impfstoff, zusammenbrechende Webseiten bei der Terminvergabe, Pressemeldungen für ganz Thüringen von Weimar aus; das alles sei nur schwer zu ertragen. Der Landkreis ist nicht eingebunden und es wäre lokal einfacher zu kommunizieren und schneller zur reagieren, ist Jendricke überzeugt. Er werde noch heute einen Brief an die Thüringer Gesundheits- und Sozialministerin (Werner/LINKE) abschicken und sie darin bitten, dass auch der Landkreis selbst Impfungen durchführe dürfe.

A pro pos „einfacher kommunizieren“: Da hatte es gestern Verstimmungen in den Gemeinden des Kreises gegeben, weil die vom Katastrophenschutz zur Verfügung gestellten FFP2-Masken in 2 Packungen á 10 Masken eingetütet worden waren. Die Gemeinden monierten daraufhin: „Das Unverständnis begründet sich in dem Umstand, dass durch den Landrat verfügt wurde, zwei sterile 10-er Packungen MNS in einer Packung zusammen zu fassen. Daraus ergibt sich nun ein mathematisches Problem, welches wieder vor Ort in den Kommunen gelöst werden soll und dies ruft Unmut hervor. 20 Masken pro Person würde im Landkreis bedeuten 1,6 Millionen verteilen zu können.“

Jendricke sieht allerdings kein Problem darin, noch mehr Masken herauszugeben, wenn diese gebraucht werden. „Wir haben 1,8 Millionen Masken im Bestand, wovon jetzt eine Million verteilt werden. Sollten noch mehr benötigt werden, dann können wir noch einmal 200 000 Masken zur Verfügung stellen. Diese FFP2-Masken haben eine hohe Schutzkraft und sind zuverlässige Helfer.“ Die Verpackung in eigens gestaltete Umschläge sei nur erfolgt, damit sie in den Briefkästen als die richtigen Masken des Landkreises erkennt werden könnten. Die Verteilung könne aber auch ganz anders erfolgen. Man müsse nur aufpassen, dass nicht mer Geld in die Logistik der Verteilung gesteckt würde, als die Ware wert ist. Zumal es inzwischen in vielen Supermärkten sehr preiswert Angebote an den geforderten medizinischen Masken gibt. Ausdrücklich bedankte sich der Verwaltungschef bei seinen Kommunen für die Umsetzung der Verteilung an die Landkreisbewohner.

Und so endete eine Stunde Vortrages des Politikers, der in knapp zwei Monaten in seinem Amt bestätigt werden möchte. Angesichts der heute präsentierten Corona-Zahlen und der immer noch nicht endgültig benannten Gegenkandidaten hat er wohl nicht die schlechtesten Aussichten auf eine Verlängerung seines Jobs als Landrat.
Olaf Schulze
Autor: osch

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