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Aufstand der Stadtratsfraktionen:

"Das lassen wir uns nicht mehr bieten!"

Donnerstag, 04. März 2021, 07:30 Uhr
Wer die städtische Politik seit Jahrzehnten verfolgt, der kann sich kaum an solch eine negative Atmosphäre zwischen Stadtrat und Verwaltung erinnern, wie sie seit Monaten in Nordhausen zu spüren ist. Momentan ist diese Atmosphäre derart aufgeladen, dass Teile von Hauptsatzung und Geschäftsordnung zur Disposition stehen...

Zu Beginn der gestrigen Sitzung gedachten die Stadträte der Corona-Opfer (Foto: nnz) Zu Beginn der gestrigen Sitzung gedachten die Stadträte der Corona-Opfer (Foto: nnz)
Hauptsatzung und Geschäftsordnung - das ist sowas wie der Heilige Gral der kommunalen Politik. In beiden Dokumenten ist quasi die Genetik der Verwaltung eines Gemeinwesens festgeschrieben. Da werden solch elementare Fragen beantwortet wie die Rechtsstellung der Stadt, des Oberbürgermeisters, des Stadtrates oder seiner Ausschüsse.

Im Grunde genommen reduziert sich alles auf die Frage: Wer darf was? Und: Wer darf wieviel Geld ausgeben? Vor allem, ohne den anderen zu fragen. Entscheidungsfreiheit kann man das nennen oder eben Beschneidung. Am frühen Abend kam es gestern zu einem ersten Schritt der Beschneidung der Möglichkeiten des Umgangs mit dem Steuergeld für den OB.

Das hat eine Vorgeschichte, die nach der Wahl des jetzigen Stadtrates im Jahr 2019 begonnen hatte. Zum einen sitzen seitdem viele Menschen in dem 36-köpfigen Gremium, die keinerlei Erfahrungen hatten, was ja nicht schlimm ist. Die aber wissen wollen, was vor ihrer Zeit beschlossen wurde, auch in nichtöffentlichen Sitzungen. Zum anderen sahen und sehen sich die 36 Frauen und Männer einer Verwaltungsspitze gegenüber, der sie zunehmend den Willen zur Zusammenarbeit absprachen. Der Stadtrat sah und sieht sich nicht nur unzureichend informiert, sondern im Fall mit dem Herkules-Markt im benachbarten Niedersachswerfen - eigenen Bekundungen zufolge - zunehmend hintergangen.

Den jetzigen Zustand beschreiben mehrere Fraktionäre mit "Konfrontation statt Kommunikation". So würden Einsichten in Unterlagen verwehrt, Auskünfte nur halbherzig und umständlich seitens des Rathauses erteilt.

In all den zurückliegenden drei Jahrzehnten knisterte es zwischen Stadtrat und Verwaltungsspitze lediglich zu Zeiten der "Stepel-Koalition", als sich alle Fraktionen gegen die SPD und die damalige Oberbürgermeisterin Barbara Rinke stellten. Und zum ersten Mal drohte damals der Stadtrat nicht nur, er handelte und entzog der OB die Leitung der Stadtratssitzungen, was Frau Rinke überhaupt nicht gefiel. Doch das war nur Geplänkel zum jetzigen Status Quo.

Und nun aktuell, im Jahr 2021 ist die Zeit des Drohens der "36" vorbei. Sie handeln und brachten zwei Anträge zur Änderung der Hauptsatzung und der Geschäftsordnung ein. Für den Außenstehenden ist das eine "schwere Kost", die einzelnen Sätze in den Paragrafen aufzudröseln. Soviel als Zusammenfassung: Der Oberbürgermeister soll in seiner Handlungsfähigkeit, vor allem beim Geldausgeben, sehr eingeschränkt werden. Mal sind es 10.000 Euro weniger bei der "Niederschlagung oder die Stundung uneinbringlicher Steuern, Abgaben und sonstiger öffentlich-rechtlicher oder zivilrechtlicher Forderungen", mal geht es um "Verfügungen von Einzelbeträgen bei... "Aufträgen für freiberufliche Leistungen bis zu 10.000 Euro". Bislang konnte bis zu einer Höhe von 25.000 Euro im Rathaus agiert werden, ohne den Stadtrat einzubeziehen. Neu ist auch der Nachsatz "soweit sie im Haushaltsplan festgelegt sind".

Die Fraktionen hatten sich nach Informationen der nnz lange mit der gesamten Thematik beschäftigt, hatten unter einander sich abgestimmt und werden nun die kommende Zeit nutzen, in den Ausschüssen und Fraktionen die Feinabstimmung zu beraten.

Fakt ist - auch die Stadträte können die "Leine nicht allzu fest anlegen", denn die Funktionsfähigkeit der Verwaltung in den laufenden Geschäften muss gewährleistet sein. Und damit beginnt nun der eigentliche Spagat. Ob die Verwaltung, respektive die Hausleitung diesen Warnschuss versteht, sei dahingestellt, doch - hier wieder drei Jahrzehnte "berufsbegleitende Erfahrung" - so verhärtet waren die Fronten zwischen Rathausspitze und Stadtrat selbst nicht, als der leider zu früh verstorbene Martin Höfer immer wieder für Aufsehen und Abwechslung sorgte. Und genau jener Höfer hätte heute Abend seine helle Freude nicht an dem gehabt, was in der Ballspielhalle zu sehen und zu hören war. Ohne weitere Diskussion wurden beide Vorlagen als 1. Lesung in die Ausschüsse verwiesen. Stumm blieb auch der OB.

Summa Summarum: Das Neue an dieser aktuellen Konfrontation, die gestern nicht aufgelöst wurde, ist der Umstand, dass der Stadtrat geschlossen auftrat und - so ist zu hoffen - geschlossen bleiben wird. Schließlich sind die 36 Frauen und Männer das, was man gemeinhin als vom Souverän Gewählte bezeichnet.
Peter-Stefan Greiner
Autor: psg

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