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Entsteht da ein Drehbuch für Hollywood im Stadtrat?

Einer kämpft gegen vierzig Quadratmeter

Donnerstag, 04. März 2021, 18:00 Uhr
Eine wirklich nicht bierernste Betrachtung eines gestern erlebten und sehr speziellen Phänomens bei der Stadtratssitzung, angestellt von Olaf Schulze, der sich auf eine beängstigend realistische Weise an eine tragische Romanfigur des spanischen Dichters Miguel de Cervantes erinnert fühlte …

Allein gegen (fast) alle (Foto: nnz) Allein gegen (fast) alle (Foto: nnz)

Glaubt man den antiken Überlieferungen, so hat es keiner gewagt, sich dem starken Helden Herkules in den Weg zu stellen. Der Sohn des Göttervater Zeus und der Alkmene verrichtete zwölf grauenhafte Arbeiten wie beispielsweise die Tötung der neunköpfige Hydra und des Nemeischen Löwen.

Er packte den Stier von Kreta bei den Hörnern, mistete den Stall des Augias aus und zerrte Zerberus, den blutrünstigen Wachhund der Unterwelt, ans Licht. Mit einem solch unbesiegbaren Helden wie Herkules legt sich niemand freiwillig an. Doch, halt: einer tut es!

Beseelt mit dem Heldenmut seines Vorgängers Helwig von Harzungen, der im 14. Jahrhundert bei der Verteidigung der „Freien und des Reiches Stadt“ gegen bösartige Eindringlinge am Altentor fiel, stemmt sich der heutige Oberbürgermeister entschieden gegen den übermächtig wirkenden Riesen Herkules, der seine Krakenarme mit wieder vierzig oder etwas mehr Quadratmetern mehr Verkaufsfläche von Niedersachswerfen aus nach Nordhausen ausstreckt.

Als Schild und Schwert führt der mutige Verteidiger der Vaterstadt in seinem heroischen Kampf einen Widerspruch gegen den Angriff des Riesen in Gestalt eines Einkaufsmarktes ins Feld. Gestern nun sollte eine Streitmacht aufgestellt werden, die mit fliegenden Fahnen in die Schlacht für mehr innerstädtische Kaufkraft folgen sollte.

Doch ach - und hier setzt der Stoff für eine Hollywood-Verfilmung ein - keiner wollte dem Tapferen beistehen. Selbst nach einem gefühlt mehrstündigen Vortrag seines eigens engagierten Herolds, der alle Nachteile des bedrohlichen Marktes in den düstersten Farben zu schildern verstand, verweigerten ihm seine Stadträte die Gefolgschaft. Erstaunt hatten sie den Ausführungen des externen Gutachters gelauscht und es war bei dem einen oder anderen zu erkennen, dass die Mund-Nasen-Schutzmaske von der herab geklappten Kinnlade nach unten gezogen wurde. Doch ob es wegen der einsetzenden Erkenntnis der Stadträte war, dass sie sich unbemerkt dreißig Jahre einer schrecklichen Bedrohung ausgesetzt hatten, oder ob es pures Unverständnis über diese Aktion ihres Stadtvorstehers war, das musste die finale Abstimmung über Wohl und Wehe des Widerspruchs ans Tageslicht bringen.

Rot war bei der Abstimmung die Farbe des Angriffs, grün die der ablehnenden Deserteure und gelb jene der unentschlossenen Zauderer. Und während der für die Zufriedenheit seiner ihm anvertrauten Bürgerschaft streitende Oberbürgermeister mit gutem (rotem) Beispiel vorweg stimmte, schloss sich niemand weiter seiner Offerte an. In Worten NULL weitere Stimmen erhielt sein Votum zur Rücknahme des Widerspruchs. Dafür fand sich eine große mit grünem Licht stimmende Mehrheit, die sich für die Rücknahme des Widerspruchs aussprach und nur wenige, die sich trotz der langen Argumentationshilfe nicht entscheiden konnten, wem sie zustimmen sollen.

Wohl fast jeder Feldherr, dem eine derartige Schmach widerfährt, hätte seine Streitaxt an dieser Stelle frustriert in die Zorge geworfen. Doch nicht so Nordhausens Held. Entschlossen zur Tat schmetterte er den Verrätern in die Masken, dass er nun rechtliche Schritte prüfen werde, wie er diesen Entscheid der Bürgerschaft rückgängig machen könne.

Der große Herkules vor den Toren der Kreisstadt, dieser aggressive Feind, darf sich also weiterhin nicht in Sicherheit wiegen. Denn da gibt es einen Mann, der notfalls alleine und gegen den ausdrücklichen Willen der Mehrheit der gewählten Volksvertreter weiter gegen ihn kämpfen wird.

Es bleibt also spannend am Fuße des Harzes und der Konflikt der kleinen Stadt gegen den großen Markt ist noch nicht beendet. Vielleicht eignet sich der Stoff ja sogar für eine Netflix-Serie? Und welcher Oscar-gekrönte Mime könnte dann die Rolle unseres Oberbürgermeisters übernehmen?
Olaf Schulze
Autor: osch

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