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Stellungnahme der Deutsch-Israelischen Gesellschaft

Die drei Dimensionen des Antisemitismus

Sonnabend, 15. Mai 2021, 07:15 Uhr
In einem offiziellen Statement nimmt für die Deutsch-Israelische Gesellschaft Nordhausen deren Vorsitzender Arndt Schelenhaus Stellung zum Brandanschlag auf die israelische Flagge am Nordhäuser Rathaus. Ein sehr lesenswerter Beitrag...

77 Jahre nach der Befreiung der Überlebenden aus dem Konzentrationslager Mittelbau-Dora in Nordhausen und 74 Jahre nach der Gründung des Staates Israel, der den oftmals weltweit verfolgten und diskriminierten Juden endlich eine sichere Heimat geben sollte, ist eine solche Tat wie das Verbrennen der Flagge mit Davidstern in Nordhausen durch nichts zu rechtfertigen!

Die Flagge ist noch vom Anschlag gezeichnet (Foto: oas) Die Flagge ist noch vom Anschlag gezeichnet (Foto: oas)

Doch leider begehen nicht nur Menschen eine solche Tat feige im Schutz der Dunkelheit, sondern stets melden sich wieder mehr oder minder offen agierende Antisemiten und rechtfertigen solche Taten mit den Vorkommnissen im Nahen Osten.
Hierbei sei dieser Vergleich erlaubt:
Das nationalsozialistische Deutschland hatte 1939 einen Krieg unter der Maxime Lebensraum begonnen und verloren. In dessen Folge wurden Millionen unschuldiger Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und fanden in beiden deutschen Staaten Aufnahme, Hilfe und Schutz. Man male sich nun aus, dass nun - ebenfalls über 70 Jahre her - die Nachfahren dieser Heimatvertriebenen immer noch von ihren Landsleuten in Flüchtlingslagern eingepfercht würden, ihnen Bildung vorenthalten aber Hass auf die "Vertreiber" eingetrichtert würde. Hass auch auf jene "Vertreiber", die selber infolge des 2. Weltkrieges vertrieben worden waren (s. die Annexion Ostpolens durch die UdSSR).

Nun stelle man sich vor, die Nachfahren unserer Heimatvertriebenen hätten in den letzten Tagen von deutschem Boden aus fast 2.000 Raketen auf ebenso unschuldige Polen, Tschechen und Slowaken abgefeuert.

Etwas Ähnliches passiert gerade in Israel. Natürlich können und dürfen die Reaktionen des Staates Israel hierauf hinterfragt und kritisiert werden. Leider erfolgen aber statt dessen viele gewaltsame Aktionen in Deutschland gegen israelische Institutionen und gegen Juden in Deutschland. Und dies vor allem aufgrund eines traditionellen Judenhasses, der gerade in vielen arabischen Kulturen zur Staatsraison gehört und regelrecht gezüchtet wird.

Wir Deutsche haben mehrheitlich solchen Hass aber nicht kultiviert, sondern uns mit unseren ebenfalls stark unter dem 2. Weltkrieg gelittenen Nachbarn versöhnt. Hierüber bin ich froh und sehr stolz!

Leider ist dies dem Nahen Osten bis heute nicht vergönnt. Der heutige Hass in Deutschland auf "diese Juden" in Israel, aber auch auf Juden in Deutschland, kommt heutzutage aus drei Richtungen:

Von muslimischen Migranten, die in ihren Heimatländern nicht mehr leben können oder wollen. Diese Flüchtlinge importieren aber zugleich jenen Judenhass nach Deutschland, mit dem arabische Staaten seit Jahrzehnten von ihren eigenen Verfehlungen ablenken. Dabei werden seit Jahren permanent mehr andersdenkende Menschen in arabischen Staaten hingerichtet und gefoltert, als es Opfer im Nahostkonflikt zu beklagen gibt. Diese Tatsache ignorieren leider sowohl die Mehrheit der muslimischen Migranten, die meisten Medien und leider oft auch unsere Politik.

Von verblendeten, linksgerichteten Anhängern einer falsch verstandenen „Internationalen Solidarität“ mit den ausschließlich als Opfern gesehenen arabischen Einwohnern Israels und in deren besetzten Gebieten. Dabei vergessen diese Menschen zwei wesentliche Dinge: Muslimische Einwohner Israels genießen in diesem Land im Durchschnitt mehr Rechte, einen höheren Lebensstandard und mehr Bildung als ihre Glaubensbrüder in fast allen arabischen Staaten. Zugleich scheren sich diese deutschen Solidaritätsheuchler parallel seit Jahrzehnten einen Dreck um das Leid von Zivilisten in anderen Krisengebieten dieser Welt: Das Leid der Menschen in Tibet, Uiguren, Afghanistan, zahlreiche afrikanische Bürgerkriegsländer oder Nordkorea ist diesen „Internationalen“ keine Silbe wert. Wie anders als antisemitisch kann diese Doppelmoral bezeichnet werden? Die sogenannte „Antifa“ stellt hierbei eine traurige Speerspitze dieser Anhängerschaft dar. Die Anhänger dieser angeblich antifaschistischen Bewegung sind sich in ihrem Judenhass nicht einmal zu blöde, gemeinsam mit Terroristen der Hamas und deutschen Neonazis in Berlin gegen Israels Staatsgründung zu demonstrieren. Gerade die Früchte dieser inkonsequenten Weltanschauung prägen einen großen Teil des modernen deutschen Antisemitismus.

Von völkischen Rechtsradikalen, die immer noch der nationalsozialistischen Rassenlehre folgen. Demnach sind Juden per´se minderwertige Menschen und von „Natur“ aus bösartig. Lange Zeit schien dieses unsäglichen Gedankengut in unserem Land stetig an Nährboden zu verlieren. Denn selbst viele „stramme" Nationalisten konnten und wollten das Leid und den Genozid an Juden in unserem Land nicht mehr ignorieren. Doch die jüngsten Wirrungen im Cyberspace sorgen wieder für mehr Zulauf für diese Art Gedankengut. Vergessen scheint der 1943 ermordete jüdische Schuhmacher aus der Altstadt. Soros, Zuckerberg und die Rothschilds stehen wieder Pate für „das weltumspannende" Judentum. Es erscheint wieder begründbar, „den Juden" allgemein gültige Attribute zuzuschreiben. Dabei ist genau dies die Basis jeglichen Antisemitismus und Rassismus. Leider taugt diese antisemitische Ideologie aber anscheinend als Puzzlestück im wirren Weltbild der aktuellen Verschwörungstheoretiker, die weil sie die Komplexität der Welt nicht begreifen, die Juden wieder zum Sündenbock machen.

Alle diese drei Antisemitentypen sorgen dafür, dass es Taten wie der Brandanschlag auf die israelische Flagge am Nordhäuser Rathaus gibt, solche Taten gutgeheißen oder gerechtfertigt werden.

Antisemitismus erklärt somit teilweise auch, warum es nach der Ermordung von Mister Floyd keine Brandanschläge auf amerikanischen Flaggen in Deutschland gab, warum chinesische Studenten in Deutschland trotz Uigurenverfolgung keine Belästigungen drohen oder warum guineanische Männer in Deutschland nicht von Frauen bedroht werden, obwohl fast alle Frauen in diesem Land systematisch genital verstümmelt werden. Neben der verständlichen Ursache, dass nicht alle Staatsangehörigen Schuld für Taten in ihren Heimatländern haben, liegt die ausbleibende Gewalt nach solchen Taten oft daran, dass die vermeintlichen Täter eben keine Juden waren!

Denn wie groß war das weltweite Entsetzen über das Foto der Babyleiche aus dem Gazastreifen, obwohl zeitgleich unbeachtet dutzende Zivilisten in Afghanistan unter Beschuss starben? Zeitnah prangte an meinem Nachbarhaus die Schmiererei: „Israel = Kindermörder". Doch wie klein war die Empörung, als herauskam, dass das Baby in Gaza an plötzlichem Kindstod verstorben war und nicht an israelischen Vergeltungsmaßnahmen? Ich ziehe daher meinen Hut vor den arabischen Eltern des toten Säuglings, die durch eine Veröffentlichung verhindert haben, dass ihr persönliches Leid für die Hasspropaganda der Hamas missbraucht wurde.

Der Nahostkonflikt ist sehr kompliziert und eignet sich nicht für Schwarz-Weiß-Malerei. Auf beiden Seiten geschah und geschieht durch Fanatiker böses Unrecht.

Als Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Nordhausen stehe ich aber bedingungslos dafür, dass die Juden, mit denen wir Deutsche in jüngster Geschichte viel Leid, zuvor und hoffentlich auch in Zukunft aber Jahrtausende lang Kultur, Wissenschaft und Freude teilten und verdanken, das uneingeschränkte Recht auf diesen eigenen Staat namens ISRAEL haben.

Ebenso hoffe ich, dass unsere Gesellschaft und somit unser Staat dem wieder aufkeimendem Antisemitismus nicht nur mit Worten begegnet. Solange deutsche Politiker das Kopftuchtragen weiblicher Muslima verteidigen, Juden aber vom Tragen einer Kipa abraten, ist das Wertesystem in unserem Land auf den Kopf gestellt. Wen wundert es dann noch, dass noch kein einziger überführter antisemitischer Gewalttäter in sein arabisches Heimatland abgeschoben wurde? Bislang reichten hierfür weder Brandanschläge auf eine Synagoge (Wuppertal), das Anbringen von Sprengstoffattrappen an der eigenen Tochter (!) auf einer antiisraelischen Demonstration (Neukölln) noch das Auspeitschen von Juden mittels Gürtel in aller Öffentlichkeit (Berlin Mitte). Wer nun glaubt, dass wenigstens einer dieser ermittelten Straftäter eine Haftstrafe hat antreten müssen, täuscht sich gleichermaßen.

Sollten die Täter des Brandanschlages auf die israelische Flagge und das Nordhäuser Rathaus gefasst werden, hege ich ungeachtet der Nationalität der Täter zumindest die leise Hoffnung, dass die Strafe wenigstens höher ausfällt als diese des Nordhäuser Wirtes der gegen das Bewirtungsverbot der Coronaverordnung verstoßen hatte.
Arndt Schelenhaus, Deutsch-Israelische Gesellschaft Nordhausen
Autor: red

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