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Thüringer Lehrerverband mahnt die Politik

„Wir haben nicht die Kraft, um zweigleisig zu fahren!“

Freitag, 04. Juni 2021, 10:32 Uhr
Angesichts immer mehr bekanntwerdender Fälle von Test- und Maskenverweigerern in den Schulen mahnt der tlv thüringer lehrerverband vor einer weiteren Überlastung der Lehrerinnen und Lehrer...

Es dürfe nicht sein, so der tlv-Landesvorsitzende Rolf Busch, dass mancherorts Unterricht doppelt erteilt werden muss, weil Kinder und Jugendliche – mutmaßlich von Erwachsenen beeinflusst – sich weigerten, die Bedingungen zum Betreten der Schule zu erfüllen.

Anlass für die Äußerungen war ein konkreter Fall: Ein Schüler hatte sich geweigert, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, weswegen ihm die Schulleitung ein Betretungsverbot aussprach. Die Lehrerinnen und Lehrer, bei denen der betreffende Schüler Unterricht hat, einigten sich darauf, Tafelbilder, Aufgaben und einige schriftliche Erläuterungen dazu in die Thüringer Schulcloud hochzuladen. Die Eltern des Jungen allerdings erheben Anspruch auf ein vollständiges Homeschooling, also Distanzunterricht per Videokonferenz. Sie haben inzwischen einen Anwalt eingeschaltet.

Der tlv, erklärt Busch, habe daraufhin schriftlich beim Bildungsministerium angefragt, wie die rechtliche Lage sei, worauf bereits am Folgetag eine Antwort kam. Diese fiel zugunsten des Schülers und seiner Eltern aus: „Die Schülerinnen und Schüler, die aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und/oder der Testpflicht den Präsenzunterricht nicht besuchen wollen und auch nicht dürfen (Betretungsverbot), sind im häuslichen Lernen zu beschulen. Dies ist aus dem Grundrecht auf Bildung abzuleiten.“

Aus Sicht des tlv ist dieser Zustand nicht zufriedenstellend, stellt der Landesvorsitzende klar. „Das ist, als ob jemand bei warmem Wetter nicht Bus fahren will und der Arbeitgeber deshalb den Busfahrer dazu verpflichtet, für diesen Fahrgast gleichzeitig noch ein Cabrio mit offenem Verdeck zu steuern. Niemand kann zweigleisig fahren – auch wir Lehrer nicht!“

Selbstverständlich sei das Recht auf Bildung ein hohes Gut, das es unbedingt zu schützen gelte. „Aber wenn jemand ohne zwingenden Grund – denn medizinische Indikationen sind hier selbstverständlich nicht gemeint – die derzeit nun einmal geltenden Bedingungen für die Teilnahme am Unterricht nicht erfüllen will, dann muss es zumindest möglich sein, Kompromisse zu finden.“

Seit Monaten sei die Belastung der Lehrerinnen und Lehrer auf dem Höchststand: Der Mix aus Notbetreuung, Distanzlernen, Präsenzunterricht und der veränderten Kommunikation mit allen an Schule Beteiligten habe die Kollegen mehr gefordert denn je. Hinzu kämen Aufgaben, die nichts mit dem Lehrerberuf zu tun haben - wie die Beaufsichtigung und Durchführung der Tests - sowie die zunehmende Aggression der Eltern. Probleme des Datenschutzes seien gerade zu Beginn der Pandemie in die Schulen verlagert worden, und das bei einer oft beschämenden digitalen Ausstattung. Dabei habe es zu keinem Zeitpunkt eine zusätzliche Zuweisung von Personal gegeben, das nichtoriginäre Aufgaben übernehmen könnte, trotz gestiegener und in sehr kurzer Zeit extrem veränderter Belastungen.

„Die Realität ist: Jeder zerrt an den Lehrkräften, will seine Forderungen kompromisslos durchsetzen, sieht nur seine Seite - und der Dienstherr schweigt dazu, anstatt sich klar und deutlich vor sein Personal zu stellen, bevor Situationen eskalieren und die Grenzen des Machbaren immer weiter aufgeweicht werden. Das muss dringend anders werden. Wir brauchen Kompromisse und einen gesunden Pragmatismus, um besser mit den stark angegriffenen Kräfteressourcen zu haushalten.“
Autor: red

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