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Forstämter bekämpfen kleine Käfer mit großen Maschinen

Der grüne Gürtel um die Harzorte wird enger

Sonnabend, 17. Juli 2021, 10:18 Uhr
In den Harzwäldern der Niedersächsischen Landesforsten läuft aktuell ein ökologisches Wald-Umbauprogramm ungeahnten Ausmaßes. Das für seine ausgedehnten Fichtenwälder bekannte Mittelgebirge soll konsequent in einen Bergmischwald umgestaltet werden...

Eine Generation junger Forstleute sorgt für neue, klimaangepasste Wälder im Harz. Försterin Victoria Witt begutachtet junge Douglasien und Erlen unter alten Fichten im Forstamt Clausthal (Foto:  Pressestelle Landesforsten) Eine Generation junger Forstleute sorgt für neue, klimaangepasste Wälder im Harz. Försterin Victoria Witt begutachtet junge Douglasien und Erlen unter alten Fichten im Forstamt Clausthal (Foto: Pressestelle Landesforsten)

Noch herrschen gleichaltrige Nadelwälder vor und bestimmen das Landschaftsbild, doch sie sind auf dem Rückzug. Innerhalb von vier Jahren hat sich deren Fläche um mehr als ein Drittel verringert. Die jüngsten Satellitenbilder zeigen die Waldverluste seit 2018. Die Landesforsten werten die Aufnahmen jetzt aus, um die Wiederaufforstungsflächen zu berechnen und auf ökologischer Grundlage neu zu planen. Auch um die großen Ortschaften im Harz werde der grüne Gürtel von lebenden Wäldern immer enger, zeigt die Überwachung aus dem Weltraum. Die Niedersächsischen Landesforsten hatten kürzlich vermeldet, dass im ganzen südlichen Niedersachsen bislang rund 23.000 Hektar Landeswald abgestorben seien, davon allein im Harz rund 16.000 Hektar bis zum 31.3.2021. Die Gründe für das Absterben der Fichtenwälder sind laut Landesforsten der Klimawandel in Verbindung mit einer ungeahnten Massenvermehrungen von Borkenkäfern. Drei Trockenjahre infolge hätten die Abwehrkraft der Fichten gebrochen. Ein baldiges Ende der Insektenschäden sei trotz des nassen Wetters nicht in Sicht. Rund um Altenau, Braunlage, Clausthal-Zellerfeld, Riefensbeek, St. Andreasberg oder Seesen habe sich die Lage weiter verschärft, lautet das Ergebnis einer Forstkonferenz, zu der sich die Leiter der vier Harzer Forstämter heute Vormittag in Münchehof getroffen hatten. Insgesamt 50 große Forstspezialmaschinen bekämpfen aktuell die kleinen Käfer in strategisch wichtigen Waldgebieten. Wo genau diese Harvester optimal eingesetzt werden, steuern die Forstämter differenziert von Revier zu Revier.

Strategie gegen Borkenkäferbefall neu anpassen
Anlass der heutigen Besprechung im Niedersächsischen Forstlichen Bildungszentrum in Münchehof bei Seesen war ein umfassender Lagebericht zum Frühjahrsbefall der ersten Borkenkäfer-Generation und die neu angepasste Bekämpfungsstrategie. Die Forstämter Clausthal, Lauterberg, Riefensbeek und Seesen beobachten seit Anfang Juni eine bedrohliche Entwicklung der Schadinsekten. Die Borkenkäfer-Bekämpfung laufe mit allen verfügbaren Mitteln im vierten Jahr auf Hochdruck, beschreibt Ralf Krüger die angespannte Situation. Der Leiter des Forstamts Clausthal muss gemeinsam mit seinen drei Kollegen die Abwehrstrategie Woche für Woche anpassen. „Wir setzen unsere Ressourcen an Arbeitskräften und Spezialmaschinen flexibel ein. Wo Chancen bestehen kämpfen wir so lange wie möglich für den Erhalt der Fichtenwälder. Denn sie sind unser wertvolles Schutzschild beim größten Umbauprojekt hin zu ökologischen Wirtschaftswäldern“, benennt Krüger die Jahrhundertaufgabe, vor der Forstleute stehen. Als Beispiel nennt Ralf Krüger die Wälder rund um Clausthal-Zellerfeld mit den beliebten Badeseen. Am Kiefhölzer und Zankwieser Teich arbeite sich eine Spezialmaschine durch den Wald, um befallene Bäume rechtzeitig vor dem Ausflug der Borkenkäfer und dem Befall weiterer Bestände zu entfernen. Ähnlich sieht es auch an den Semmelwieser-, Hasenbacher- und Prinzenteichen aus, die im Forstamt Riefensbeek liegen. Krüger rechnet am Kiefhölzer Teich mit 3000 Kubikmeter Schadholzanfall nur in diesem kleinen Teil seines Forstamtes. Rund 500 Kubikmeter Fichtenholz werde vorübergehend auf dem Parkplatz zwischengelagert, von dem aus Besucher die Badeteiche angingen. „Wer in diesen Tagen das Badehandtuch im Oberharz ausbreitet, muss mit rieselnden Nadeln rechnen“, sagt der Clausthaler Forstmann.

Den Blick auf die nächste Waldgeneration lenken
Forstleute im Forstamt Riefensbeek beschreiben ein sehr differenziertes Bild. „Während sich Reviere wie Wildemann noch immer mit großem Erfolg gegen den Borkenkäfer stemmen und bislang zahlreiche intakte Fichtenbestände als Wahrzeichen des Harzes für die alte Bergbau-Stadt erhalten werden konnten, zeichnet sich beispielsweise in den Revieren rund um den Acker-Höhenzug ein anderes Bild ab“, fasst Max Schröder zusammen. In diesem Bereich des Harzes sei der überwiegende Teil der Fichten vom Borkenkäfer befallen, so der der Riefensbeeker Forstamtsleiter: „Hier geht es jetzt um die Frage, aus welchen Baumarten lässt sich der klimastabile Mischwald von morgen aufbauen. Neben den bereits in den letzten 30 Jahren gepflanzten und natürlich angesamten Bäumen sollen weitere Anpflanzungen und Saaten von Mischbaumarten dem Schutz des Trinkwassers beipielsweise in der Sösetalsperre dienen, gleichzeitig langfristig ertragreiches Holz für unsere Enkel erzeugen und schnellstmöglich als Kohlenstoff-Senke zum Klimaschutz beitragen“, erläutert Forstamtsleiter Schröder.

Bald kein alter Wald mehr am Wurmberg bei Braunlage
Die Situation im Forstamt Lauterberg schildert Stefan Fenner als besonders dramatisch. „Rund um Braunlage und St. Andreasberg melden meine Kolleginnen und Kollegen schon längst keine einzelnen Befallsherde mehr, sondern es ist mittlerweile ein flächiger Brand entstanden“, so Fenner. Als Hauptschadensgebiete nennt Forstamtsleiter Fenner die Braunlager Hochebene mit dem Wurmberg bis Hohegeiß. Die Käferdichte und der flächige Befall in allen Fichtenrevieren hätten im Forstamt Lauterberg bereits zu einem Strategiewechsel geführt. „Seit Anfang Juli sanieren wir ausschließlich unsere Wälder, um sie für die Wiederbewaldung eines klimastabilen Mischwaldes vorzubereiten. Die alten Fichtenbestände sind bei uns nicht mehr zu retten“, bilanziert Fenner den verheerenden Befund in seinem Forstamt. Es werde zunächst eine Mischung aus freien Flächen und Totholzbereichen entstehen.
Die Lauterberger Forstleute richten jetzt ihren Blick nach vorn auf die nächste Waldgeneration. Um die sorgt sich Stefan Fenner, denn der Nachschub an Baumsetzlingen wird knapp. „Bei den meisten Waldbesitzenden in Deutschland herrscht großer Bedarf an jungen Bäumen. Das kann in den kommenden Jahren schon zu Engpässen führen. Deswegen beernten wir auch wieder unsere Weißtannen bei Braunlage und unsere Buchenwälder bei Wieda, um aus dem Saatgut neue Wälder aufzuforsten“, kündigt er an. Die vier Harzforstämter hatten im vergangenen Winter erstmalig mit Tannenaussaaten versuchsweise neue Wälder begründet. Die ersten kleinen Weißtannen sind zwischenzeitlich aufgelaufen und lassen die Forstleute optimistisch in die Zukunft blicken. Damit der Nachwuchs sicher wachsen kann, setzen die Harzer Försterinnen und Förster weiter auf eine intensive Bejagung von Hirsch und Reh.

Bergbau hatte die Wälder im Forstamt Seesen für den eigenen Bedarf einseitig umgebaut
Forstamtsleiter Henning Geske erinnert an die Geschichte der Wälder im Forstamt Seesen. „Zweitausend Jahre Bergbau im Harz haben aus den Urwäldern Fichtenreinbestände werden lassen, deren Hauptzweck die Produktion von Holz für die Bergwerksindustrie war. Mit dem dreißig Jahre jungen LÖWE-Programm drehen wir seit 1991 das Rad der Geschichte wieder in die andere Richtung. So korrigieren wir den historisch einseitigen Waldumbau und verringern die Fichten-Vorherrschaft“, weiß Henning Geske, dienstältester Forstamtsleiter im Harz und seit der ersten Stunde mit dem LÖWE-Programm vertraut. Den bereits Mitte der 1980er Jahre begonnenen und nun erheblich forcierten Waldumbau im Westharz versteht Forstamtsleiter Geske als steuernden Eingriff zur Förderung artenreicher Mischwälder. Er war bereits an der ersten Welle des ökologischen Waldumbaus beteiligt, als im Zuge der Waldschäden der 1980er Jahre das sogenannte Walderneuerungsprogramm startete. Heute sei es ein Segen, denn unter den absterbenden Fichtenwäldern bereicherten große Komplexe junger Buchenwälder aus dem Walderneuerungsprogramm das Harzer Landschaftsbild.

Doch die Mühlen im Wald mahlen langsam: Bis aus einem Fichtenbestand, der nach dem Krieg aufgeforstet wurde, ein ebenso alter Mischwald gewachsen sei, bräuchte es laut Geske drei Förster-Generationen. Und eine Entwicklung sorgt den Seesener Forstamtsleiter besonders: Wo die Natur Natur sein darf und Forstleute nicht mehr einlenken würden, entwickele sich vielfach wieder ein neuer Fichtenwald. Diese Beobachtung zeige sich momentan überall in den Revieren und sei die klassische Naturverjüngung. „Abermillionen winziger Fichtenkeimlinge sprießen derzeit aus dem Boden, ausgelöst von einer intensiven Fichtenblüte im Vorjahr und begünstigt durch viel mehr Licht an denjenigen Stellen, wo Borkenkäferfraß die Fichten ausgedünnt hat“, beschreibt Henning Geske.

Nach der Fichte ist vor der Fichte – Forstleute steuern dem natürlichen Trend entgegen
Das Phänomen sei Jahrhunderte lang ausgenutzt worden, um die Harzwälder zu erneuern. Heutige Fichten befänden sich seit nunmehr vier Jahren in einem Überlebenskampf gegen Trockenheit und Borkenkäferbefall. Als Folge der anhaltenden Dauerbelastung reagierten Nadelbäume mit intensiver Blüte und reichem Zapfenbehang. Forstleute beobachten dieses Naturereignis seit einigen Jahren in kürzeren Abständen. „Die schwächelnde Fichte steckt ihr letzte Kraft in die Verbreitung ihrer Art und produziert reichlich Zapfen mit beflügeltem Samenkörnern“, erklärt Geske das bekannte Phänomen. Der Forstwissenschaftler sieht die natürliche Fichtenaussaat mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Nicht überall möchten wir das Geschenk von Mutter Natur annehmen. Denn dort, wo Borkenkäfer Fichtenbäume abtöten, kommen oftmals wieder junge Fichten nach, weil kaum andere Baumarten vorhanden sind. Wenn daraus ein neuer, gleichförmiger Fichtenreinbestand erwächst, erreichen wir nicht unser Ziel von 90 Prozent Mischwald. Dann haben wir in einigen Jahrzehnten das gleiche Problem erneut oder müssen permanent gegen den natürlichen Trend anarbeiten und Fichtensämlinge ausdünnen, bevor wir die gewünschten Mischbaumarten einpflanzen können“. Und ohne intensive Jagd auf Reh und Hirsch sei das Umbauprogramm zum Scheitern verurteilt.

Doch vorerst freuen sich Harzer Forstleute über alles, was von alleine wächst. „Mit 16.000 Hektar Aufforstungsfläche im Harz haben wir eine Mammutaufgabe vor uns. Diese Wiederbewaldungsflächen sind mittlerweile größer als die Kahlschläge nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich als Reparationshiebe bei der älteren Harzer Bevölkerung ins Gedächtnis gebrannt haben. Da hilft jeder Quadratmeter Naturverjüngung, selbst wenn es am Ende des vierten Borkenkäfer-Krisenjahres heißt: Nach der Fichte ist vor der Fichte“, so das Fazit des Seesener Forstamtsleiters, der trotz des tiefgreifenden ökologischen Waldumbaus eine Zukunft für die ertragreiche und als Bauholz gefragte Fichte im Harz sieht.
Autor: red

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