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Zwei zerstrittene Boxvereine und eine Trainingsstätte

Erbitterter Kampf neben dem Boxring

Donnerstag, 21. Oktober 2021, 10:00 Uhr
Schmerzensreich und unrühmlich endete vor drei Jahren ein Kampf der Nordhäuser Boxer, der neben dem Ring ausgetragen wurde. Er beendete eine glorreiche sportliche Tradition in der Rolandstadt und bis heute sind die damals aufgerissenen Gräben nicht zugeschüttet, stehen sich zwei Box-Abteilungen in der Stadt scheinbar unversöhnlich gegenüber …

Nordhausens Boxer kämpfen nicht mehr gemeinsam (Foto: oas) Nordhausens Boxer kämpfen nicht mehr gemeinsam (Foto: oas)

Es war in den Jahren 2015 und 2017 als die Box-Fachwelt anerkennend nach Nordthüringen blickte und die Boxer des Nordhäuser Sportvereins stolz verkünden durften: Wir sind Deutscher Meister! Vorausgegangen waren diesen Triumphen nicht nur einige Aufstiege und Vizemeistertitel, sondern jahrzehntelange harte Arbeit in der traditionellen Box-Hochburg am Harz. Dann kam es im Sommer 2018 zum Bruch zwischen verschiedenen Interessengruppen in der Boxabteilung des Nordhäuser Sportvereins (NSV), die den Rückzug des NSV aus der Bundesliga sowie schließlich sogar den Auszug einer größeren Zahl Trainer und Nachwuchsboxer aus dem Verein zur Folge hatten.

Der Meistertrainer Andreas Dietrich-Scherfling schloss sich mit 25 Kindern und Jugendlichen plus drei weiteren Trainern der BSG Altstadt 05 (BSG) an. Aus dem Traum der Macher im Hintergrund, mit diesem Verein gleich in der Bundesliga weiter boxen zu können wurde jedoch nichts. Auch der NSV sah sich nun außerstande, auf so hohem Niveau weiter zu arbeiten. Ein strahlendes sportliches Highlight der Stadt erlosch und wurde leider stockfinster.

Ende 2018 zogen die BSG-Boxer nach verschiedenen unangenehmen Querelen aus der eigens für Boxtraining hergerichteten Halle in Nord aus, die heute den Namen der Nordhäuser Boxlegende Horst Stief trägt. Erst am Taschenberg und später in der Geseniusstraße fand die neue Sektion ein Domizil für die vielen jungen Kampfsportler, die in den Verein drängten.

Seit vorigem Jahr ist die BSG ein anerkanntes Landesleistungszentrum des Thüringer Boxverbandes und seit neuestem auch Stützpunktverein im Programm „Integration durch Sport“ des Landessportbundes. Denn außer den Nordhäuser Talenten schwingen eine ganze Reihe Mädchen und Junge mit Migrationshintergrund hier sehr erfolgreich die Fäuste. Siege bei Länderkämpfen und Spitzenplatzierungen in Meisterschaften oder hochklassigen Turnieren sind Belege für die hervorragende Trainingsarbeit, die von Dietrich-Scherfling und seinen Kollegen geleistet wird. Größter Erfolg dürfte der deutsche Meistertitel des damals 15-jährigen Collin Ostmann im Jahre 2019 gewesen sein.

Jetzt steht der Verein am Scheideweg und muss sich eine neue Trainingsstätte suchen, nachdem für sein derzeitiges Domizil im ehemaligen „Ottos Steakhaus“ vom Vermieter ein vierstelliger Betrag pro Monat für die Nutzung verlangt wird. „Das können wir als Verein nicht stemmen“, sagt Tobias Ostmann, Vater des Jugendmeisters und gemeinsam mit Marco Dietrich Vereinsvorstand in der BSG Altstadt 05. „Dafür gehen unsere Sponsorengelder drauf, die wir aber dringend für den Trainings- und Wettkampfbetrieb unserer Boxer benötigen. Die Trainingsstätte befindet sich leider in einem desolaten Zustand, obwohl wir schon 500 Arbeitsstunden und 15.000 Euro an Sponsorengeldern investiert haben.“ Tatsächlich sind die Bedingungen eingeschränkt: die Umkleidemöglichkeiten spartanisch, der Kraftraum am Ende einer Treppe primitiv, die Trainingshalle für die bis zu 35 gleichzeitig boxenden Mädchen und Jungen verschiedener Altersgruppen zu klein.

Das Thema einer gemeinsamen Nutzung der Boxhalle des NSV kam deshalb wieder auf die Agenda und letzte Woche gab es ein erstes Treffen der verfeindeten Abteilungen beim Sportausschuss des Nordhäuser Stadtrates. „Wir sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen und wollen dem NSV auf Augenhöhe begegnen“, sagen die BSG-Verantwortlichen mit viel Selbstbewusstsein, das sich aus den Erfolgen und dem großen Zulauf beim Training speist.

„Von unserer Seite herrscht Gesprächsbereitschaft“, sagt auch Andreas Dietrich-Scherfling, der als Cheftrainer in der Verantwortung steht und die unschönen Auseinandersetzungen aus dem Jahre 2018 endlich abhaken will. Zum Wohle der 95 Sportler im Verein, die nach seinem Willen eine gute Ausbildung unter besten Bedingungen erhalten sollen. Derzeit trainieren 64 Kinder und Jugendliche bei der BSG, rechnet Tobias Ostmann vor, davon reichlich zwei Dutzend mit Migrationshintergrund.

Am kommenden Samstag (23. Oktober) wird ein „Tag der offenen Tür“ Interessierten Einblicke in das Innenleben des Vereins geben. Ab 11 Uhr stellen die BSG-Boxer ihre Angebote in der Nordhäuser Geseniusstraße 26 vor und hoffen, noch mehr junge Athleten für den Kampfsport gewinnen zu können.

Längst ist auch die Nordhäuser Stadtverwaltung und das Landratsamt in die Affäre involviert und der Kreissportbund bemüht sich als Vermittler zwischen den Vereinen aufzutreten. „Wir können uns sehr gut Mediationsrunden mit den Verantwortlichen vorstellen“, beteuert KSB-Geschäftsführer Patrick Börsch. „Die persönlichen, sehr komplexen Probleme der Betroffenen müssen geklärt werden, um in Zukunft ein geordnetes Miteinander der beiden Vereine zu gewährleisten.“ Der Kreissportbund begrüßt, dass die entzweiten Box-Lager erstmals wieder an einem Tische saßen und hält das, wie alle anderen Beteiligten auch, für einen guten Anfang. NSV und BSG werden ihre Sicht der Dinge im KSB vortragen und Börsch wünscht sich eine für beide Seiten tragfähige Lösung. Doch er weiß auch um die Probleme eines gemeinsamen Standortes: „Es wird schwierig, zwei so konträre Partner in einer Halle unterzubringen, wo sie auch ihre Sachen lagern müssen.“ Die Hoffnung des Sport-Dachverbandes ist es, dass zugunsten des Boxsports und der Nachwuchssportler in beiden Vereinen ein Kompromiss geschlossen werden kann.

Ein nachdenklicher Tobias Ostmann vor den Spinden der Frauenumkleide im zugigen Hausflur (Foto: oas) Ein nachdenklicher Tobias Ostmann vor den Spinden der Frauenumkleide im zugigen Hausflur (Foto: oas)


Im NSV sind die Verantwortlichen skeptisch. Der Vereinsvorsitzende Prof.Dr. Philip Heiser verweist uns an seine Boxabteilung, wo Uli Friebel, einstiger Ringsprecher zu Bundesligazeiten und nun Abteilungsleiter Boxen im NSV, Stellung bezieht. „Ich bin verwundert, dass wir nicht direkt angesprochen wurden und erst über Dritte vom Vorstoß der BSG hörten“, sagte er uns am Telefon. „Wir wusste bis vorige Woche nichts von den Problemen dort.“ Das wiederum ist nicht verwunderlich, denn es gibt keine, nicht einmal illegale, Kommunikationskanäle zwischen den konkurrierenden Abteilungen. Zu viel sei 2018 vorgefallen, erzählt Uli Friebel, als dass es irgendeine Form der Normalität im Umgang miteinander geben könne. Er verweist auf die aufwändige Sanierung der „Horst Stief Halle“, die in 2019 und 2020 mit Fördergeldern, aber auch mit 1.000 Arbeitsstunden der NSV-Mitglieder und 25.000 Euro Vereinskapital bewerkstelligt wurde. „Es existieren aber auch schlichtweh keine Räume und Lagermöglichkeiten für zwei getrennt agierende Vereine“, gibt Friebel zu bedenken, „unabhängig von den Befindlichkeiten.“ Mit rund einhundert Aktiven in Verantwortung des NSV sei eine gute Auslastung der Halle gegeben. Allein 37 Studenten tummeln sich hier wöchentlich, aber auch an die 20 Kinder und Jugendliche sowie andere organisierte Boxgruppen. Auch das Argument der BSG, sie hätte 35 Kämpfer beim Boxverband für Wettkämpfe gemeldet und der NSV nur 12, will Uli Friebel so nicht gelten lassen. „Ein bewusster Leistungsgedanke kann sein, muss aber nicht sein“, meint er und ergänzt: „Nicht alle Sportler unserer Trainingsgruppen sind schon so weit, dass wir sie ruhigen Gewissens in Kämpfe schicken würden.“ Dennoch seien bei Landesmeisterschaften vier Medaillen und bei Studentenmeisterschaften weitere drei Medaillen errungen worden.

Die entscheidenden Aspekte für die ablehnende Haltung des NSV lägen jedoch in den Ereignissen der Vergangenheit und dem zerrütteten Vertrauensverhältnis zu einzelnen Akteuren im BSG-Vorstand, die früher im NSV aktiv waren. Ohne dass Uli Friebel Namen nennt, ist es ziemlich eindeutig, dass die Herren Ostmann, Dietrich und Dietrich-Scherfling damit gemeint sind. „Es gibt bestimmte Personen, mit denen kann ich nicht mehr“, sagt Friebel. Und er konfrontiert uns mit einer Ankündigung aus seinen eigenen Reihen. Wenn die besagten Herren zurück in die Halle kämen, würde sich ein langjähriger Übungsleiter mit einer 28 Sportler umfassenden Trainingsgruppe aus dem NSV abmelden wollen.

Wenig deutet also darauf hin, dass beide Vereine in nächster Zeit wieder zueinander finden, kaum etwas darauf, dass sie in einer Halle gemeinsam trainieren werden.

So tief die Wunden aus der Vergangenheit auch sein mögen, die Sportfunktionäre wären allem gesunden Menschenverstand nach gut beraten, ihr Kriegsbeil zu begraben und im Sinne der jungen Sportler, die beide Vereine ostentativ in den Fokus ihrer Arbeit stellen, eine Lösung zur friedlichen Koexistenz zu finden. Im nächsten Jahr könnte in Nordhausen ein größeres Turnier stattfinden, stellte der Thüringer Boxverband jetzt in Aussicht. Daran beteiligen will sich der örtliche Kreissportbund aber nur, wenn beide Nordhäuser Vereine gleichberechtigt daran teilnehmen werden. Wer dann wie viele Kämpfer schickt und wo die vorher trainiert haben, das bleibt die spannende Frage im Nordhäuser Boxsport der Gegenwart.
Olaf Schulze



Autor: osch

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