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OB MASERN, POCKEN, KINDERLÄHMUNG, DIPHTHERIE, CORONA:

Impfgegner gab es zu allen Zeiten

Mittwoch, 17. November 2021, 18:34 Uhr
So krank wäre sie in ihrem ganzen Leben nie gewesen. Anfangs habe sie gedacht, es sei Grippe. Der Körper schmerzte. Schlapp und abgetragen. Übelkeit, Schüttelfrost, Kopfschmerzen und ein trockener Husten plagten. Sie habe sich kaum noch auf den Beinen halten können. Im Krankenhaus verschlechterte sich ihr Zustand. Eigentlich war sie schon weggetreten. Ihr Leben hinge am seidenen Faden, hörte die Familie die Ärzte sagen.


Die Ehefrau, Mutter und Oma kann heute ihren zweiten Geburtstag feiern. Dank der aufopferungsvollen wochenlangen Arbeit der Ärzte am hiesigen Krankenhaus. Die Symptome der Krankheit setzten zu einer Zeit ein, in der die Pandemie ihren Anfang nahm. Sie vermute, wohl eine der ersten Patienten gewesen zu sein, die hierzulande an den Covid-Virus erkrankten. Gegenwärtig (Stand heute) befinden sich auf der Intensivstation des Südharz-Klinikums sieben Patienten, allesamt ungeipmft. 17 Patienten werden auf der Covid-19-Isolierstation behandelt – davon sind neun geimpft.

Keinem Menschen wünsche sie das, was sie durchzustehen hatte. Wohl aber die Einsicht, sich gegen das schreckliche Virus impfen zu lassen. Die Nordhäuserin möchte Adresse und vollständigen Namen nicht nennen. Sie befürchtet, von Impfgegnern gesagt zu bekommen, sie hätte sich die Corona-Infektion nur eingebildet.

Eigentlich wollte ich über Corona und die Impfungen keine Zeile mehr schreiben. Es gibt genügend kommunale Probleme, denen man sich widmen sollte. Aber die Geschichte dieser Frau, die ich von früher her kenne, regte mich an, sich einmal etwas näher mit der Geschichte des Impfens zu befassen.

Was heute klingt wie die Debatte um verpflichtende Impfungen gegen das aktuelle Virus, stammt in Wirklichkeit aus dem Frühjahr 1874. Damals diskutierte der Reichstag ellenlang einen von der Regierung Bismarck eingebrachten „Gesetzentwurf über den Impfzwang“. Der Kanzler wollte die Pockenschutzimpfung reichsweit verpflichtend einführen, waren doch innerhalb weniger Monate etwa 150 000 Menschen der tückischen Infektion erlegen. Fortan waren die Eltern, ob sie es wollten oder nicht, verpflichtet, ihre Kinder im Alter zwischen einem und zwölf Jahren gegen Pocken impfen zu lassen. Ergebnis: Die Pocken-Todesfälle gingen zurück.

Wer sich mit der Geschichte der Impfungen näher beschäftigt, stellt unzweifelhaft fest: Ob Pocken, Masern, Kinderlähmung, Diphtherie – Impfgegner gab es zu allen Zeiten und in allen Schattierungen. Wie heute gegen Corona. Ihre Vorwürfe gegen die Spritze gleichen sich: Wahrung der körperlichen Unversehrtheit. Unausgewogener Impfstoff. Das eigene Immunsystem müsse es von selbst richten. Zudem wären Übelkeit, Entzündungen an der Einstichstelle, Fieber und sogar Unfruchtbarkeit weitere Folgen.

Auch heute erhält die Impfgegnerschaft Nahrung. Selbst von einzelnen, wenn auch auf weiter Flur stehenden, Ärzten, die es angeblich besser wissen und Impfungen für nicht sinnvoll halten. Das war schon vor hundert und mehr Jahren so. Alle von diesen Besserwissern vorgebrachten Äußerungen sind wissenschaftlich widerlegt. Kinderlähmung, Pocken, Masern, Diphtherie – erst nach Einführung und strikten Impfungen verloren diese Krankheiten ihren Schrecken, rettete die Spritze millionenfaches Leben. Einfach hatten es Ärzte und Forscher, die engagiert für die Impfung warben, allerdings auch seinerzeit nicht. Erst verbindliche Impfgesetze brachten letztlich den Sieg.

An Impfgegnern und Skeptikern mangelt es heutzutage ebenfalls nicht. Während sich Zweifler vielfach von der Notwendigkeit einer Schutzimpfung durch Sachargumente überzeugen lassen, scheint bei eingefleischten Gegnern jede Mühe vergebens. Was die von sich geben, spottet jeder wissenschaftlichen Erkenntnis.

Skurril: Da kommen schwer an Corona-Virus erkrankte Patienten auf Intensivstationen, die meistens ungeimpft und immer jünger, die bitter bereuen, sich nicht haben impfen zu lassen. Militante Gegner schwören hingegen noch auf dem Krankenbett im Angesicht des möglichen Todes: Corona ist eine Lüge.

Die Wissenschaft bestreitet nicht: Impfungen können Komplikationen hervorrufen. Auch Todesfälle kann es geben. Aber: Im Verhältnis zu den millionenfach geretteten Menschenleben – gestern wie heute in der Welt - sind die Nebenwirkungen Peanuts. Die Impfbefürworter sind überzeugt: Die Geschichte wird, allen Widerständen zum Trotz, erneut über Leugner und Querdenker hinwegwehen und eindrucksvoll beweisen: Wenn die Einsicht in die Notwendigkeit einer Impfung wächst, Herdenimmunität erreicht ist, wird auch Corona seinen Schrecken verlieren, der derzeit um sich greift..

Der Protest der Leugner und Querdenker wird die Karawane wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht aufhalten. Zudem dreht sich die Stimmung in Deutschland. Im Gegensatz zum Frühjahr befürwortet heute eine Mehrheit eine Impfpflicht. Selbst Politiker, die bislang ihr Nein betonten, sind am Überlegen. Die Kanzlerin sieht eine dramatische epidemische Notlage. Vielleicht führt das die Politik aus ihrem Dämmerzustand.

Das schlimmste Szenario wäre, wenn Ärzte auf Intensivstationen zu entscheiden hätten: Welchen Patienten retten wir das Leben und wen müssen wir sterben lassen.
Kurt Frank
Autor: psg

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