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Abschaltung letzter Kernkraftwerke in Deutschland

Reißt keine Versorgungslücke

Mittwoch, 24. November 2021, 10:12 Uhr
Deutschlands letzte Kernkraftwerke gehen in diesem und nächstem Jahr vom Netz. Eine DIW-Studie belegt, dass die Energieversorgung sicher bleibt, räumt aber als Folge einen höheren CO2-Verbrauch ein. Die Abschaltung sei zudem Bedingung für erfolgreiches Standortauswahlverfahren von Endlagern...

Die Abschaltung der letzten Atommeiler in Deutschland führt nicht zu Versorgungsengpässen. Zu diesem zentralen Ergebnis kommen Modellrechnungen der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Wenn die letzten sechs Kernkraftwerke bis Ende 2022 vom Netz gehen, hat dies keine nennenswerten Auswirkungen auf die Stromkapazitäten insgesamt, die Lichter in Deutschland werden nicht ausgehen“, sagt Studienautorin Claudia Kemfert. „Im Gegenteil: Die Abschaltung ebnet den Übergang zum überfälligen Ausbau der erneuerbaren Energien. Kernenergie war von Anfang an unwirtschaftlich und geprägt von nicht kalkulierbaren Risiken.“

Strommarktmodell zeigt Stromflüsse und Energiemix
In einem speziellen Strommarktmodell beleuchten die WissenschaftlerInnen, wie sich die Abschaltung der sechs Kraftwerke auf die Stromflüsse und den Energiemix auswirkt. Die Kernkraftwerke Brokdorf, Grohnde und Grundremmingen C (gehen Ende 2021 vom Netz) sowie Neckarwestheim 2, Isar 2 und Emsland (gehen Ende 2022 vom Netz) haben zusammen eine Nettoleistung von acht Gigawatt. Damit wurden im vergangenen Jahr 11,3 Prozent des Stroms in Deutschland erzeugt.

Die Ökonomen kommen zu dem Schluss, dass der Rückgang der Kernkraft übergangsweise zu einem höheren Einsatz von fossilen Energien sowie Importen führt, was die CO2-Emissionen kurzfristig ansteigen lässt. Diese dürften aber durch den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien rasch zurückgeführt werden. Um den Netzbetrieb stabil zu halten, müsste das Engpassmanagement zudem leicht angepasst werden, das heißt Kraftwerkseinspeisungen müssten regional gesenkt oder erhöht werden. „Dies ist aber problemlos möglich, weil die dafür zusätzlich benötigte elektrische Energie noch im üblichen Schwankungsbereich der vergangenen Jahre liegt“, erläutert Studienautor Christian von Hirschhausen.

Auch mittelfristig bleibt die Versorgungssicherheit gewährleistet, wenn das deutsche Stromsystem auf erneuerbare Energien in Verbindung mit Speichern und gesteigerter Flexibilität umsteige, bilanzieren die ÖkonomInnen. Dabei sei es wichtig, dass an einer Einbindung in das europäische Stromsystem festgehalten werde, um Schwankungen auszugleichen.

Endlagersuche als nächster Schritt der Atomwende
Die DIW-EnergieexpertInnen sehen den endgültigen Abschied vom Atomstrom zudem als wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Endlagersuche, die bis 2031 abgeschlossen sein soll. Mit der Abschaltung der letzten Reaktoren besteht Planungssicherheit über die zu entsorgenden Mengen an radioaktivem Abfall. „Gesellschaftliche Akzeptanz für die Auswahl eines Endlagers gibt es zudem nur dann, wenn nicht mehr am politisch beschlossenen Ende der kommerziellen Nutzung von Kernenergie gerüttelt wird“, so Studienautor Ben Wealer. „Atomenergie ist ein Auslaufmodell, Laufzeitverlängerungen oder Investitionen in vermeintlich sichere neuartige Kernkraftwerke wären ein Irrweg.“

Daher sprechen sich die DIW-WissenschaftlerInnen auch dagegen aus, Atomkraft als nachhaltige Energie in die EU-Taxonomie - ein Klassifizierungssystem für klimafreundliche Wirtschaftsaktivitäten - aufzunehmen. Stattdessen sollten Subventionen in die Kernenergie europaweit gestrichen und nicht neu eingeführt werden.
Autor: red

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