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Tag der Architektur und Tag der offenen Gärten

Neue Architektur braucht das Land

Dienstag, 21. Juni 2022, 15:15 Uhr
Am Wochenende fallen zwei beliebte wie auch ungewöhnliche Veranstaltungen aufeinander - zum Einen der „Tag der Architektur“ und zum Anderen der „Tag der offenen Gärten“ an dem Privatleute und Institutionen ihre Häuser und Gärten für die Öffentlichkeit öffnen. Die beiden Themen liegen dabei nicht soweit voneinander entfernt, wie man im ersten Moment denken mag…

Das "Green One" wird man zum Tag der Architektur am kommenden Wochenende als eines von zehn Objekten besichtigen können (Foto: agl) Das "Green One" wird man zum Tag der Architektur am kommenden Wochenende als eines von zehn Objekten besichtigen können (Foto: agl)

Zukunftsvisionen sind immer auch eine Reflektion der Gegenwart. Wer in diesen Tagen nach Vorstellungen der „Stadt der Zukunft“ sucht, der findet Bilder grün sprießender Metropolen, die nicht länger allein von Glas und Stahl, sondern auch von jeder Menge Fauna dominiert werden.

Für viele eine wünschenswerte Zukunft, mit sauberer Luft und kühleren Städten, Stadtdschungel statt Betonwüste. In unserer Gegenwart gibt es derweil erstaunlich wenige Bauten, die das Prinzip der „grünen“ Stadt erproben, von der obligatorischen Begrünung auf dem ein oder anderen Flachdach einmal abgesehen. Da darf es wunders nehmen, dass es ausgerechnet im kleinen Nordhausen einen ebensolchen Versuch gibt. Das „Green One“ der Wohnungsbaugenossenschaft Südharz wurde erst im Mai seiner Bestimmung übergeben, aber seitdem hat sich an der grünen Fassade schon einiges getan.

Architekten unter sich, v.l.: Kathrin Rembe, Diana Moraweck, Pia Wienrich und Michael Flagmeyer (Foto: agl) Architekten unter sich, v.l.: Kathrin Rembe, Diana Moraweck, Pia Wienrich und Michael Flagmeyer (Foto: agl)


„Man muss immer Bedenken, dass man es hier mit Lebewesen zu tun hat“, erzählt Landschaftsarchitektin Diana Moraweck, die das Projekt für das Büro LA21 betreut hat. Das heißt: die Fassade geht mit den Jahreszeiten und verändert sich entsprechend. Insgesamt 16 verschiedene Gewächse, vom Gras über Gehölz bis zur Staude, verteilen sich über die Fassade.

Die Begrünung, die bereits im Dezember angebracht worden war, habe nach anderthalb Jahren im Gewächshaus ein bisschen Zeit gebraucht um richtig Fuß zu fassen und aus dem „Pflanzstress“ herauszukommen, sagt Moraweck am vergangenen Montag, sehe inzwischen aber richtig gut aus. Auch habe man ein paar „ungebetene Gäste“ im Bewuchs gehabt, darunter japanisches Blutgras, dass nicht Teil der geplanten Bepflanzung war und ein wenig Unkraut. Gras wie Kraut werden jetzt entfernt, danach soll die Fassade zwei mal im Jahr gepflegt werden, so der Plan.


Das unerwünschtes Grün wieder an der Wand „Fuß fasst“ sollte hernach nicht mehr möglich sein, da es gar keinen Boden gibt, an dem sich die Pflanzen festsetzen könnten. Die eingesetzte Pflanzenwand wird nämlich nicht über Substrat, sprich Erde, mit Nähstoffen versorgt. Das erledigt man über die Wasserversorgung, die je nach Wetterlage mehrmals am Tag via Tröpfchenbewässerung automatisiert erfolgt.
Die Planer rechnen mit einem Wasserverbrauch von rund 500 Kubikmetern im Jahr, doch das sind nur Schätzwerte, es gibt kaum jemanden, der mit derlei Anwendungen Erfahrung hat. In Berlin, Erfurt und Düsseldorf gibt es ähnliche Vorhaben, deren Erfahrungsschatz aber auch nicht viel weiter reicht, als der der Nordhäuser. Und so wird man beobachten, prüfen und messen, um zu sehen, ob sich der Aufwand lohnt.

Einige Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen, meinen die Architekten. Die Fassadenbegrünung schützt die erste Putzschicht, die Außentemperatur wird um etwa drei Grad reduziert, die Pflanzen binden Feinstaub, bieten ein Heim für diverse Insekten und dämpfen den Lärm von der Straße. „Das sind um die sechs Dezibel. Im ersten Moment klingt das nach wenig, wer sich aber ein bisschen auskennt, weiß das dass einen merklichen Unterschied macht“, erklärt Dr. Michael Flagmeyer, der das Haus entworfen hat. Außerdem reduzieren die Pflänzchen an der Wand den CO2-Ausstoß um bis zu 0,5 Tonnen pro Jahr und als grüne Ausgleichsfläche dient die Fassade ebenso.

Mehr als nur etwas fürs Auge
Aber billig war die ganze Sache nicht. Hinter der Natur am Bau steht jede Menge Technik und die schlägt summa summarum mit rund 1.000 Euro pro Quadratmeter zu Buche. Ähnliche Effekte ließen sich für private Häuslebauer aber auch mit weit weniger Einsatz erzielen, meint Architektin Kathrin Rembe, etwa durch die Bepflanzung mit Rankengewächsen wie Wein oder Efeu. „Die Vorstellung das Pflanzen an der Fassade schlecht seien hält sich hartnäckig, dabei ist das Gegenteil der Fall. Die Bepflanzung schützt wunderbar vor Witterungseinflüssen und das erhöht die Lebensdauer.“

Rembes hat in Rüdigsdorf auf ganz anderem Gebiet experimentiert. Mitten im Ortskern sollte ein altes Haus nach 20jähriger Vernachlässigung wieder auf Vordermann gebracht werden. Die Vorgabe des Bauherren: es sollten nur natürliche Baustoffe Verwendung finden, Ziegel und Holz sollten möglichst aus der Region kommen und um energieautark leben zu können brauchte es auch eine PV-Anlage samt Wärmepumpe und Pufferspeicher. Das Ganze sollte sich zudem in den historischen Ortskern fügen und unauffällig daherkommen. Die Moderne, sieh kann auch ganz althergebracht aussehen.

Das Ergebnis wird man am kommenden Wochenende am 25. und 26. Juni zum „Tag der Architektur“ als eines von zehn Objekten in Nordthüringen persönlich in Augenschein nehmen können, die Bauherren sind so freundlich, ihre neue Wohnstatt der Öffentlichkeit an diesen Tage zugänglich zu machen. Die Damen und Herren Architekten hoffen so auch auf die Vorzüge ihrer Profession aufmerksam machen zu können. „So etwas bekommen sie nicht vom Fertighausanbieter. Ein Architekt garantiert das man einen Ansprechpartner hat, der von Beginn an auf individuellen Wünsche eingehen kann, die im Fertigbau von der Stange eine Menge Mehrkosten verursachen würden. Und man darf nicht vergessen, dass wir uns auch darum kümmern das alles glatt geht. Schon bei dem kleinen Haus in Rüdigsdorf waren 18 Gewerke tätig.“, erzählt Rembe. Beim Haus von der Stange stehe man bei Problemen schnell alleine da. Ein Architekt spart dem Bauherren Zeit und Nerven, meint auch Michael Flagmeyer, „die Sorgen über die sich die Bauherren sonst den Kopf zerbrechen, sind dann unsere“.

Auch Gärten sind Kunst
Mit ähnlichen Vorstellungen haben auch die Kollegen aus dem Landschaftsbau zu kämpfen. Der Garten sei allzuoft nur ein Nachgedanke beim Hausbau, meint Diana Moraweck, „das bisschen Garten“, dass macht man doch nebenher. Die Idee, vielleicht doch Leute vom Fach zu kontaktieren, komme dann nach ein paar Jahren Plackerei.

Was die Gartenkunst und durchdachtes Design leisten kann, wollen Moraweck und Kolllegen am kommenden Sonntag zum „Tag der offenen Gärten“ zeigen. Auch hier öffnen Privatleute ihre mit Liebe gepflegten, grünen Refugien für die Öffentlichkeit. Wie gewohnt gibt es mehrere „Eingangsgärten“, die über die ganze Region verteilt sind. „Wir nutzen wieder den gesamten Landkreis von Auleben bis Ellrich und können insgesamt 14 Gärten zeigen“, berichtet die Landschaftsarchitektin. Im Trend liegen dabei vor allem sogenannte „Landschaftsgärten“, die geschmackvoll gestaltet, das Flair ländlicher Idylle Abseits des urbanen Alltags verbreiten wollen.

Eine Übersicht über die Eingangsgärten zum Start der Tour gibt es hier . Die Veranstalter weisen dabei auf eine Änderung hin: der Garten der Familie Knopf wird leider nicht Teil des diesjährigen Programms sein, dafür ist eine Führung im Park Hohenrode um 14 Uhr angedacht. Im Park gibt es außerdem in der Zeit von 12 bis 17 Uhr ein Süppchen sowie Kaffee und Kuchen.

Wer die Rundreise mit dem „Tag der Architektur“ verbinden will, der findet die passenden Informationen zu den geöffneten Häusern und Bauten hier
Angelo Glashagel
Autor: red

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