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Angemerkt

Eine verlorene Generation?

Donnerstag, 23. Juni 2022, 10:51 Uhr
Seit Wochen scheint das Areal um die Nordhäuser Bibliothek samt angrenzender Innenhöfe ein beliebtes Ausflugsziel der jungen – eigentlich hoffnungsvollen – Generation zu sein. Das tangiert die Nordhäuser Politik nicht wirklich, dafür aber mehr und mehr die Menschen, die dort wohnen. Und es tangiert die SWG. Deren Geschäftsführerin Inge Klaan hat sich jetzt „Luft“ gemacht. Dazu einige Anmerkungen…


Einleitend der Post von Inge Klaan auf der Facebook-Seite der SWG: „Seit Wochen haben wir immer wieder Beschwerden unserer Mieter zu Aktivitäten von unterschiedlichen Kinder- und Jugendgruppen in unserem Wohnhof Engelsburg/Bibliothek. Unsere Mieter beschreiben Vermüllungen des Wohnumfeldes, Beschädigungen an Treppen, Außenanlagen, Fahrzeugen und persönliche Auseinandersetzungen bis zum Wegnehmen von Gehhilfen und persönlichen Angriffen auf hilflose Personen.

Heute Abend war ich den 5. Abend im Wohnhof um mit den Kindern und Jugendlichen zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Den ersten Abend hatte ich noch den Eindruck, dass wir mit den Kindern und Jugendlichen ins Gespräch kommen können und Vereinbarungen treffen, die eine gemeinsame Nutzung des Innenhofes für alle Generationen ermöglicht. Heute, am 5. Abend, habe ich Betretungsverbot für alle Kinder und Jugendlichen ausgesprochen und die Polizei gebeten, das Betretungsverbot mit uns gemeinsam umzusetzen. Es ist mir selten eine solche Respektlosigkeit begegnet wie in den letzten 5 Tagen.

Was ist los mit den Eltern dieser Kinder und Jugendlichen, die nicht merken, dass ihre Kinder 5 Tage der Woche angetrunken nach Hause kommen, die nicht merken, dass ihre Kinder Drogenkonsum haben und respektlos mit allem umgehen, was ihnen begegnet.

Eine Generation, die wir verlieren werden, obwohl wir sie dringend brauchen und für die es sich lohnt, 7 Tage die Woche ins Gespräch zu kommen. Liebe Eltern, wenn Ihre Kinder in den nächsten Tagen von der Polizei nach Hause gebracht werden oder Sie aufgefordert werden, Ihre Kinder abzuholen, ist der Bösewicht nicht die Polizei oder die SWG Geschäftsführerin, die überziehen, es ist vor allem ein Hilferuf Ihrer Kinder.
Ihre Inge Klaan“


Das ist schon ordentlicher Tobak, den Inge Klaan hier ablässt. Sie, die neben ihrer fachlichen Vita auch eine politische Episode hinter sich hat, ist eher verständnisvoll gegenüber der sogenannten Generation Z. Jetzt aber ist scheinbar das Maß der Erträglichkeiten voll, denn Frau Klaan ist auch Geschäftsführerin eines städtischen Unternehmens, dass sich um Tausende Wohnungen kümmern muss. Zu diesem Kümmern gehört auch, dass Mieter ein ordentliches Wohnumfeld erhalten.

Natürlich ist es innerstädtisch – selbst im beschaulichen Nordhausen – "belebter" als zum Beispiel in den „Randlagen“ der Rolandstadt. Aber das, was den Menschen genau in dieser Innenstadt Abend für Abend, Nacht für Nacht angetan und zugemutet wird, das sprengt mittlerweile das Maß des Ertragbaren. Oft haben wir in der nnz darüber berichtet, dass es gerade rund um das Bürgerhaus zu Vandalismus, zu blanker Zerstörungswut kommt, die nicht einmal vor den Zeittafeln Nordhäuser Geschichte halt macht.

Jugendliche Freizeitbeschäftigung 2022 (Foto: nnz) Jugendliche Freizeitbeschäftigung 2022 (Foto: nnz)
Ich war auch einmal jung. Gut, das waren damals andere gesellschaftspolitische Umfelder, aber meine Eltern und meine Großmutter haben mir einige Grundtugenden beigebracht. Zum Beispiel Respekt zu haben vor anderen Menschen, Verpackungsmüll oder Zigarettenkippen nicht einfach auf den Bürgersteig zu werfen oder in Straßenbahn und Bus für ältere Fahrgäste Platz zu machen. Es gebe noch viel mehr zu berichten.

Doch schaut man sich deutsche Städte, beginnend von der Hauptstadt bis ins provinzielle Nordhausen, genauer an, dann bekommt man den Eindruck, dass im jugendlichen Milieu zwar genug Geld für Alkohol und Drogen sowie für die neuesten Klamotten vorhanden ist, dafür jedoch der Respekt gegenüber dem gemeinschaftlichen oder dem Eigentum anderer Menschen völlig abhandengekommen ist.

Doch wer ist für diese Entwicklung verantwortlich? Ich meine, die Politik – die Große wie die Kleine – muss nicht laufend Babysitter sein. Ich kann Gemeinderäte verstehen, die einfach die Nase voll haben, wenn Jugendtreffs in ihren Dörfern oder in den Stadtteilen nach der (Wieder)eröffnung klipperklar gemacht werden. Und ich bin fest davon überzeugt, dass die demolierten Einrichtungen nicht das Werk von aggressiven Vertretern der Rollatorgeneration sind.

Verantwortlich für das Verhalten der Jugendlichen sind zwei Seiten: zum kleinen Teil die Schule, genauer geschrieben das Schulsystem in diesem Land, und es sind die Eltern. Joachim Claus, der erste Landrat nach der Wende im Landkreis Nordhausen und zuvor als Lehrer tätig, brachte es mit einem Vergleich auf den Punkt. In einem Gespräch, das vor vielen Jahren geführt wurde, verwies er auf eine Zeitschrift aus DDR-Zeiten, die den Titel „Elternhaus und Schule“ führte. Diese zwei Komponenten sind es auch tatsächlich, die für die Erziehung der jungen Generation verantwortlich sind. Funktioniert eine nicht, kommt das Gleichgewicht ins Wanken. Kleinere Schwankungen können durch die andere „Seite“ vielleicht noch ausgeglichen werden. Doch maximale Ausschläge und gar das blanke Versagen auf der anderen Seite, machen eine Erziehung zu gesellschaftsfähigen Menschen nahezu unmöglich.

Ja, Inge Klaan hat vollkommen Recht, wenn sie von einer vielleicht verlorenen Generation schreibt. Sie nimmt die Eltern in die Pflicht, sich um ihren Nachwuchs zu kümmern. Auf der Pflichtseite steht aber auch der Staat. Der muss die Generation Z nicht bedingungslos pampern, aber er muss die Rahmenbedingungen schaffen, dass wenigstens die Schule ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag nachkommen kann. Doch was ist die Realität? Lehrermangel, überfüllte Klassen, drei Jahre lang keine einzige Physikstunde oder andere komplett ausfallenden Fächer in manchen Schulen, Migrationsanteil von mehr als 20 Prozent in Regelschulen der Stadt Nordhausen und die politische Gewissheit, dass sich zumindest in Thüringen daran nichts ändern wird. Regierende, die sich lieber mit einer gendergerechten Amtssprache befassen, statt für Schule zu sorgen, die diesen Namen auch verdient, sind für diese Entwicklung verantwortlich und zugleich der Garant dafür, dass sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern wird.

Zurück zur Nordhäuser Innenstadt. Schafft endlich eine ordentliche visuelle Überwachung an, dann könnte diesem jugendlichen Treiben vielleicht ein sanfter Riegel vorgeschoben werden. Nehmt das Geld dafür in die Hand, statt es in immer grandiosere Projekte der Jugendarbeit zu erfinden (stecken), die die zahllosen Träger der Jugendarbeit am Leben erhalten, die aber vielleicht kein Mensch braucht.

Inge Klaan hat sich ihren Frust von der Seele geschrieben, aber eigentlich ist es ein Hilferuf, von dem sie vermutlich weiß, dass er wie ein Wassertropfen in der Wüste verdampfen wird.
Peter-Stefan Greiner
Autor: psg

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