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Öffentlicher Glockenguss vor St. Blasii

Eine Glocke wird geboren

Sonnabend, 24. September 2022, 19:42 Uhr
„Fest gemauert in der Erden, steht die Form aus Lehm gebrannt“. - was Schiller einst im Gedicht beschrieb, konnte man heute vor der Blasii-Kirche in Nordhausen in einem seltenen Moment direkt erleben - den Guss einer Kirchenglocke…

Den seltenen, öffentlichen Guss einer Kirchenglocke konnte man heute vor der Blasii-Kirche verfolgen (Foto: agl) Den seltenen, öffentlichen Guss einer Kirchenglocke konnte man heute vor der Blasii-Kirche verfolgen (Foto: agl)


Glockengeläut gehört nicht nur zum Alltag in Deutschland und Europa, die weithin dringenden Schläge, die über den Dächern der Städte und Dörfer tönen, sind integraler Bestandteil der Kultur, der „Sound“ des Abendlandes, wenn man so will.

Das aber noch neue Glocken gegossen werden, dass ist alles andere als alltäglich. Die meisten sind alt bis sehr alt, da kommt es in einer Stadt wie Nordhausen womöglich nur alle paar Generationen zur „Geburt“ einer Glocke. Seit dem letzen Guss für die Blasii-Kirche sind 53 Jahre ins Land gegangen, bis heute.

Auf dem Platz am Pferdemarkt tummelte sich am Nachmittag Himmel und Volk, um dem feierlichen Werk bei Bläserklang, Gesang und „Glockenbier“ beizuwohnen. Die Familie Schmitt aus Brockscheid ging hier ihrem alten Handwerk nach und das ist kein leichtes, der Entstehungsprozess einer Kirchenglocke ist lang, aufwendig und vor allem heiß. Vor der Kirche ist im Moment nur ein mit Erde gefüllter Quader zu sehen, in dessen Innerem die aus Ton gebrannte Rohform ruht.

Die wurde nun heute mit glühend heißer Bronze befüllt und wird über Nacht, gut bewacht von den Jugendlichen des Kinder-Kirchen-Ladens, auskühlen können. Gegen die Mittagszeit am morgigen Sonntag wird man die Form zerschlagen und die fast fertige Glocke von ihrem irdenen Bett befreien. Wann genau das passiert lässt sich nicht sagen, es sei ein bisschen wie mit einer echten Geburt, erklären die Glockengießer. Man wird also geduldig bleiben und abwarten müssen, die grobe Schätzung liegt aber zwischen 13 und 14 Uhr. Ist die jüngste Schwester der Blasii-Glocken dann befreit, muss sie geputzt und gewienert werden, eine Arbeit bei der die Profis gerne jede Hilfe in Anspruch nehmen. Der erste feierliche „Anschlag“ soll gegen 16 Uhr erfolgen.

Die "Geburtshelfer": Frau Losche, Frau Drechsler, Pfarrerin Elisabeth Alpers von Biela und Herr Drechsler (Foto: agl) Die "Geburtshelfer": Frau Losche, Frau Drechsler, Pfarrerin Elisabeth Alpers von Biela und Herr Drechsler (Foto: agl)

Frisch poliert wird der Neuzugang dann noch eine Weile in der Kirche zu sehen sein, erst vor dem Reformationstag wird man die Glocke an ihren Platz hieven, sagt Pfarrerin Elisabeth Alpers von Biela. „Was hier gerade passiert ist eigentlich ein Abschluss. Schon 2007 haben die Eheleute Drechsler und Losche Geld für einen neuen Glockenstuhl gesammelt. Letzten Sommer, nach dem Tod von Christa Anuscheit, deren Namen die neue Glocke auch trägt, kamen wir wieder zusammen und haben beschlossen, die Sache zu Ende zu bringen und uns die Kosten für eine neue Glocke zu teilen“, erklärt die Geistliche. Es war Frau Losche, die nach dem Ableben ihres Gatten nicht warten wollte bis der Herr auch sie zu sich holt, ehe von Türmen St. Blasiis neue Töne erklingen.

Das „memento mori“ der weithin dringenden Glockenschläge ist auch eine der zentralen Gründe, warum in der christlichen Kirche Glocken überhaupt genutzt werden. „Die Glocken zählen als Instrumente zur Ehre Gottes. Sie erinnern uns an die Zeit, nicht allein an die Stunden sondern an die eigene Zeit und daran, sie nicht mit sinnlosen Dingen wie Neid, Hass und in diesen Tagen leider wieder auch mit Krieg zu vergeuden. Sie erinnern uns daran, dass wir ein sinnerfülltes Leben anstreben sollen und daran, dass Zeit nicht nur vergeht, sondern das sie uns auch geschenkt wird.“, so Pfarrerin von Biela.

Die Zeit zu schlagen wird auch die zentrale Aufgabe der neuen Glocke werden, denn bei dem rund 150 Kilogramm schweren Instrument handelt es sich um eine kleinere „Uhrenglocke“. Ihre Vorgängerin konnte in der Kirche nicht mehr klingen, weil die Statiker Sorge um die Standfestigkeit des Turmes hatten, daher auch die Notwendigkeit eines neuen Glockenstuhles, der Aufhängung für die Kirchglocken.

Wer die Geburt der Glocke morgen miterleben will, der kann sich die Zeit bis zur Befreiung des Gusses auf dem Gemeindefest der Blasii-Kirche vertreiben, welches um 10 mit einem Gottesdienst beginnt und danach für Groß und Klein einiges zu bieten haben wird, vieles davon natürlich rund um das Thema „Glocke“. Und wer es danach noch einmal ganz genau wissen will und das gute Stück in der Kirche in Augenschein nehmen möchte, den lädt die Gemeine am Montag um 19 Uhr zum passenden Vortrag vom Fachmann.
Angelo Glashagel
Autor: red

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