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nnz-Forum: Anti Gau? Ja aber…!

Freitag, 01. April 2011, 07:11 Uhr
Ist die Atomwende einiger Parteien in Deutschland glaubwürdig? Diese Frage stellen wir seit einigen Tagen unseren Lesern. Bodo Schwarzberg hat darauf eine eindeutige Antwort gefunden...


Es ist unsäglich, was sich gegenwärtig in Deutschland bezüglich Zukunft der Kernenergie abspielt: Während FDP- und CDU-Vertreter, ja sogar CSU-Chef Seehofer aus Angst, angesichts der Volksmeinung zu den AKW immer mehr Ansehen und Stimmen zu verlieren, offenbar aus purer Verzweiflung selbst ihre ältesten Hüte über Bord werfen, meint CDU-Politiker Bosbach, man könne in einem hochindustrialisierten Land nicht allein auf Wind und Sonne setzen, ohne die Versorgungssicherheit mit Strom und den Wohlstand zu gefährden.

Ich frage mich, was Herr Bosbach mit Wohlstand meint! Will er der Bevölkerung Angst einjagen, dass ihre Flachbildschirme abends dunkel bleiben könnten, wenn Isar I nicht wieder ans Netz gehen sollte? Ich denke er und andere haben eine etwas beschränkte Auffassung von Wohlstand: Ich persönlich schätze den Wohlstand, mir in Zukunft vielleicht sicherer sein zu können, nicht wegen Jod 131 und Cäsium 137 in den Erdbeeren nach Warschau ziehen zu müssen, bedeutend höher ein! Weiterhin sind gerade sieben AKW vom Netz. Von irgendwelchen Stromsperren habe ich noch nichts gehört. Sie vielleicht liebe nnz-Leser?

Zitat (dapd): „Die vorübergehende Abschaltung von sieben Atomkraftwerken hat nach Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums keine negativen Auswirkungen auf die deutsche Stromversorgung. Auch Stromimporte seien in den kommenden drei Monaten nicht nötig, sagte eine Ministeriumssprecherin am Mittwoch in Berlin." Allgemein bekannt ist, dass schon gegenwärtig durch den steigenden Anteil erneuerbarer Energien ein Überangebot an Strom besteht.

40% des Energieverbrauchs in Deutschland erfolgt durch die Gebäudenutzung (Quelle wikipedia, Stichwort Energieeinsparung). In demselben wikipedia-Eintrag sind zahlreiche hochmoderne Lösungen angegeben, die Einsparungen auf diesem Sektor allein von 50% durch eine künftig konsequentere Gebäudeisolierung schätzen. Ganz zu schweigen von dem zusätzlichen Potential durch den Einsatz von Thermischen Solaranlagen, Geothermie und Wärmepumpenheizungen. Ist es nicht sinnvoller, all die vielen, die Wirtschaft ankurbelnden und der Ökologie dienlichen Maßnahmen umzusetzen, oder die gefährlichen AKW im Interesse einiger Großindustrieller zu erhalten?

Und schließlich: Eine um ein Grad niedrigere Zimmertemperatur spart sechs Prozent der Heizenergie. Jeder von uns kann also selbst etwas tun, um dem Klimawandel zu begegnen und b, die Atomkraft ad absurdum zu führen. Allein schon mit diesen belegbaren Fakten kann Bosbachs Äußerung als falsch entlarvt werden. Sie ist schlichtweg fahrlässig und beruht auf kurzsichtigem Denken, weil sie die Sicherheit der Bevölkerung zwischen den Zeilen für weniger wichtig hält, als die Erhaltung der profitträchtigen AKWs. Das Problem ist nur, dass dies kaum jemand wahrnimmt. Die Unwissenheit in der Bevölkerung ist zu groß, worauf die Politik setzen kann. Ist das intelligent oder dumm aus Sicht der Politik? Vielleicht hat Albert Einstein recht: „Es gibt zwei Dinge, die unendlich sind: Das Weltall und die Dummheit mancher Politiker.“

Die Fürsorglichkeit von Politik und Wirtschaft
Im Übrigen haben es heute offenbar nur wenige Zeitungen geschrieben: Beim Herunterfahren des AKW Isar 1 gab es eine Panne: Süddeutsche Zeitung online vom 23.3.: „Eon hatte Isar1 nach eigenen Angaben am Donnerstag gegen 16 Uhr vom Netz genommen. Fünf Stunden später sank der Kühlwasserstand im Reaktordruckbehälter so rapide ab, dass sich die automatische Schnellabschaltung auslöste. "Beim Herabfahren eines Reaktors kommt es immer zu Schwankungen des Kühlwasserstandes", erklärte die Eon-Sprecherin zu dem Vorfall. "Aber das Sicherheitssystem hat wie erwartet reagiert. Anschließend sei das Kühlwasser wieder auf Normalmaß angehoben worden. Die Ursache der Panne sei unklar, sie müsse untersucht werden.“

Der letzte Satz kommt mir irgendwie bekannt vor: Ich glaube, von Vertretern des Tepco-Managements. Die Bunderegierung hat ihr Atommoratorium laut Atomgesetz § 19/3 sinng. mit der drohenden Gefahr für Leib, Leben und Sachgüter verknüpft. Nun klagt der Konzern RWE gegen die Abschaltung des AKW Biblis A laut Süddeutscher Zeitung online u.a. mit der Begründung, die deutschen AKW seien sicher genug. Auch das dürfte eine weitere Falschaussage sein. Sicherlich droht keine akute Gefahr, da wir ja in Deutschland (möglicherweise) gegenwärtig nirgends eine Kernschmelze haben. Wie löchrig die RWE-Argumentation aber dennoch ist, was für eine Halbwahrheit sich RWE-Manager erdreisten zu äußern mag der Beitrag der österreichischen Zeitung Salzburger Fenster zeigen:

Zitat: „Salzburgs Atomgegner von der „Überparteilichen Plattform gegen Atomgefahren“ (PLAGE) weisen seit längerem auf die speziellen Gefahren durch diesen Uralt-Reaktor hin. Sie konnten damit auch unsere Politiker ein wenig aufwecken. So schrieb etwa der Salzburger Umwelt-Landesrat Walter Blachfellner im August an seinen bayerischen Amtskollegen Markus Söder, dass es sich bei der „Hochrisikotechnologie Atomkraft auf Grund der Grenzlage zu Österreich nicht um eine innerstaatliche Angelegenheit Deutschlands handelt“. Blachfellner verweist in dem Schreiben auf eine aktuelle Studie des „Intac-Institut“ (Hannover), die Isar 1 erhebliche Sicherheitsmängel attestiert. Unter anderem wird darin auf die Gefahr von Rissbildungen in den Rohrleitungen und dem unzureichenden Schutz des Atommeilers vor Flugzeugabstürzen hingewiesen. Das sei besonders relevant, weil schon einmal im Jahr 1988 nur zwei Kilometer vom Kraftwerkt entfernt ein Mirage-Kampfjet abgestürzt sei und Isar 1 in der Einflugschneise für den Münchner Flughafen liege.

Noch deutlicher wird die Umweltorganisation Robin Wood auf ihrer Seite bezüglich Isar I: Wieder ein Zitat: „Besonders problematisch ist der kleinvolumige und dünne Sicherheitsbehälter, der bei größeren Störfällen besonders leicht durch Überdruck versagen kann und bei einer Kernschmelze innerhalb von Minuten durchschmelzen würde - massive Freisetzungen radioaktiven Materials mit kurzer Vorwarnzeit wären die Folge.

Weitere grundlegende Sicherheitsdefizite sind eine eingeschränkte zerstörungsfreie Prüffähigkeit der Konstruktion, der schwächer ausgelegte Reaktordruckbehälter ohne nahtlose Schmiederinge, das schwach ausgelegte Notkühlsystem (unter anderem fehlt ein Mitteldruckeinspeisesystem) sowie die schwächer ausgelegte und teilweise vermaschte Notstromversorgung.

Hinzu kommen die grundlegenden Schwachstellen von Siedewasserreaktoren: Da der Primärkreislauf den Sicherheitsbehälter verlässt und der gesamte Dampfkreislauf radioaktiv ist, kann ein Rohrbruch z.B. im Maschinenhaus zu direkter Freisetzung radioaktiven Dampfes und zu großem Kühlmittelverlust führen, ohne dass ausgetretenes Kühlmittel über die Notkühlsysteme zurück geführt werden kann - in diesem Fall droht eine Kernschmelze. Bei Lecks im Kondensator ist auch eine Freisetzung direkt in das Flusswasser denkbar. Zur Reaktorabschaltung müssen die Absorberstäbe, anders als bei Druckwasserreaktoren, gegen die Schwerkraft mittels Hydraulik in den Reaktor eingefahren werden, das Abschaltsystem ist also nicht "ausfallsicher". Auch das alternative Abschaltsystem, die Borsäureeinspeisung, verlässt sich auf aktive Systeme (Hochdruckpumpen).“

Soviel zur Glaubwürdigkeit der RWE-Aussagen.

Allein diese Argumentationen unserer Industrie und Politik lassen schlimmes ahnen, wie die Bevölkerung erst im Falle eines schweren Störfalles wie in Fukushima hinters Licht geführt werden würde. Wie heute in mehreren Zeitungen zu lesen war, weigert sich Fukushima trotz gesundheitsschädlicher Strahlenwerte mit Blick auf die logistischen Herausforderung einer Evakuierung weiterer Hunderttausender Menschen, die Sicherheitszone um das explodierte AKW entgegen aller Empfehlungen von Sicherheitsexperten zu vergrößern. Dies zeigt, wie wenig Wert Politik und Industrie im Katastrophenfall das Leben der Menschen ist. Wir sollten in Deutschland und Europa jetzt handeln, statt auf unser Fukushima zu warten und den gewählten Volksvertretern und ihren Amigos in der Großindustrie unser Schicksal zu überlassen.

Zu letzterem Gedanken las ich übrigens in einer Online-Zeitung, dass sich ein Vertreter der baden-württembergischen Wirtschaft nach dem grünen Wahlsieg besorgt über die Zukunft des bisher guten Verhältnisses zwischen Wirtschaft und Politik geäußert hat. Da Herr Mappus, wie ich in einem früheren Beitrag schrieb, ja recht viel für die „Entwicklung“ des Stomriesen und AKW-Betreibers EnBW getan hat, ist eine solche Äußerung nicht verwunderlich.

Fazit
Vieles geht in Deutschland sehr, sehr langsam: Auch das Besinnen der Wirtschaft auf die gigantischen Chancen alternativer Energietechniken. Die fossilen Brennstoffe gehen zur Neige. Und auch der Kernbrennstoff Uran 235, der sehr aufwendig in Zentrifugen herankonzentriert werden muss, wird knapper. Eine Alternative der Kernenergiewirtschaft könnte der verstärkte Einsatz des viel häufigeren Uran 238 in schnellen Brütern sein, da dieses Nuklid nur dort Energie liefern kann. Allerdings fällt beim Brutprozess viel hochgiftiges Plutonium an. Das und deren im Vergleich zu Leichtwasserreaktoren schwerere Beherrschbarkeit wäre ein Horrorszenario. Ganz zu schweigen von dem dann noch größeren Endlagerproblem.

Wir haben die Alternativen.

Deutschland könnte bei den alternativen Energien Vorreiter sein. In einigen Jahren wird die Welt dies brauchen, um Wohlstand zu schaffen und zu erhalten und um einen Wohlstand a la Bosbach in die Geschichtsbücher zu verbannen.

Zur Demo in Nordhausen
Schade übrigens, dass bei der Anti-AKW-Demo am Montag nur so wenige Lokalpolitiker anwesend waren. Mit ihrer Anwesenheit aber könnten sie ein Zeichen setzen, wie wichtig ihnen der Schutz ihrer Bürger tatsächlich ist. Aber am kommenden Montag um 18 Uhr haben sie ja am unteren Rautenstraßen-Kreisel wieder eine Chance. Man sollte dann öffentlich fragen, warum denn viele Volksvertreter, denen die Menschen in unserer Stadt angeblich so am Herzen liegen, zu einer von ihrer Grundanlage her lebenswichtigen und zutiefst menschlichen Demo nicht kommen. Aber vielleicht kommen sie ja doch?

Wenn wir erst „unser“ deutsches Fukushima oder Tschernobyl haben, wird man die Krokodilstränen, die Beteuerungen und die Rollen rückwärts der Eliten kaum noch zählen können, jener also, die auf das Verdrängungsverhalten der mit der Bewältigung ihres Alltags befassten Menschen setzen. Wenn die Menschen erst dann den europaweiten und weltweiten Ausstieg fordern ist es, siehe Japan, zumindest für eine große, auf Dauer verstrahlte Region, zu spät.

Laut faz.net gibt es weltweit gegenwärtig 442 in Betrieb befindliche Reaktoren, 62 sind im Bau und sogar 287 in Planung. Sollten wir das wirklich zulassen?
Bodo Schwarzberg, Nordhausen
Anmerkung der Redaktion:
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Autor: nnz

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