Mi, 16:00 Uhr
17.05.2023
Phänomen Co-Abhängikeit
Wenn Suchthilfe der Sucht hilft
Rutscht ein geliebter Mensch, ein geschätzter Kollege oder ein guter Freund in eine Sucht ab, versucht das Umfeld oft zu helfen. In vielen Fällen stellt sich die gut gemeinte Tat aber als kontraproduktiv heraus. Und wer nicht aufpasst, kann in einer Co-Abhänigkeit landen. Mit dem Phänomen befasste man sich heute zum Öffentlichkeitstag der Diakonie Suchthilfe...
Heute hat Dr. Heike Hinz viel Erfahrung. An der Median Klinik in Richelsdorf hilft sie Suchtkranken Menschen und oft auch deren Angehörigen. Die Erfahrung musste sie erst sammeln, dazu gehört auch das Wissen, dass wohl gemeinte Hilfe manchmal nur der Sucht hilft. Vor vielen Jahre, als gerade frisch gebackene Medizinierin, hatte sie einen Freund mit hohen Spielschulden, berichtet die heutige Chefärztin. Was also tat der Freundeskreis? Man sammelte Geld um dem in Not geratenen Kumpan auszuhelfen. Nur genützt hat es nichts, war "das Falscheste" was man machen konnte, sagt Hinz heute. Der Mann war Spielsüchtig und haute auch die gesammelte Spende auf den Kopf. Die Geschichte hat kein Happy End, der Freund von damals kann mit der Scham nicht leben, wählt ein paar Wochen später den Freitod.
Dr. Hinz hat zum Öffentlichkeitstag des Nordhäuser Suchthilfezentrums in der Jugendkirche im Altendorf viele Anekdoten und Geschichten aus dem Arbeitsalltag mitgebracht und nicht alle enden derart düster. Aber sie erzählen von einem Phänomen, dass den Betroffenen meist gar nicht bekannt ist: die Co-Abhängigkeit.
Wer im Suchtbereich oder in der Jugendhilfe arbeitet, wird mit der Problematik häufiger konfrontiert, außerhalb der Fachkreise ist sie aber weitestgehend unbekannt. Co-Abhängigkeit beschreibt den Umstand, dass das Umfeld von Suchtkranken häufig die Sucht unterstützt, in dem suchtbedingte Schwierigkeiten für die Betroffenen aus dem Weg geräumt werden. Vermeintlich hilft man so, in guter Intention, die Gründe für die Sucht zu eliminieren, doch es ist nicht die Sucht, die dem Kranken das Leben schwer macht.
Der Leidensdruck kommt nicht von der Droge. Wir leben um uns gut zu fühlen und in der Sucht fühlen sich die Leute gut., erläutert Hinz, Druck wird durch externe Faktoren und einschneidende Ereignisse aufgebaut und in der Co-Abhängigkeit suchen Dritte, seien es nun Familienmitglieder, Kollegen oder Freunde, durch gut gemeinte Unterstützung eben gerade diese Druck-Faktoren abzumildern. Eltern sind ein klassisches Beispiel, Hinz berichtet von einem Paar, dessen Sohn im Alter von nur 25 Jahren eine schwer Leberzirrhose entwickelt hat. Der junge Mann trinkt viel, fährt betrunken mehr als ein Auto zu Schrott. Mama und Papa helfen trotzdem, wenn der Junge kein Auto mehr hat, dann kann er nicht mehr arbeiten und alles wird nur noch schlimmer. Die Ehefrau, die den Alkohol ihres betrunkenen Gatten wegkippt, die Kollegen die dem Mitarbeiter mit der Fahne decken und ein ums andere mal die leichtesten Aufgaben zuteilen, die Kinder die versuchen, nach außen hin alles normal wirken zu lassen - Beispiele für Co-Abhängigkeit gibt es viele.
Eine eigene Suchterkrankung muss damit nicht einher gehen, ist aber in der Folge nicht ausgeschlossen. Stimmungsschwankungen, Aggressivität, Lieblosigkeit des Gegenüber münden für die wohlmeinenden Helfer nicht selten in Depressionen. Auch Schlaf- und Essstörungen beobachte man häufig und eine Selbstmedikamentierung um den eigenen Problemen zu begegnen, ist nicht ausgeschlossen, berichtet Hinz.
Ein paar Bierchen in Ehren
Hinz berichtet vor allem von Alkoholproblemen. Nicht weil es keine andere Suchterkrankungen gäbe, sondern weil Alkoholkonsum und -missbrauch gesellschaftlich weit verbreitet, mitunter akzeptiert und häufig gedeckt werden. Auch im Nordhäuser Suchthilfezentrum ist Alkoholsucht seit jeher die Hauptdiagnose. Im letzten Jahresbericht war das nicht anders. Mit 631 Klienten blieb die Gesamtzahl der Fälle im Vergleich zu den Vorjahren relativ stabil, Alkohol als Hauptproblem führt den Reigen der Problemlagen mit 239 Fällen aber wieder deutlich an.
Rund 1,8 Millionen Alkoholabhängige gibt es in Deutschland, das macht um die acht Millionen Angehörige, rechnet Hinz vor. Darunter finden sich 2,6 Millionen Kinder, die dann häufig den selben Weg gehen, wie die Eltern. Im Vergleich dazu fällt die Zahl der Kinder, die mit drogenabhängigen Eltern leben müssen mit 40.000 bis 60.000 deutlich niedriger aus.
Sie kennen mit Sicherheit jemanden, mit Alkoholproblemen und wenn nicht, dann haben Sie es einfach noch nicht gemerkt., gibt die Ärztin dem Publikum mit auf den Weg, das Problem zieht sich durch alle Schichten und die Betroffenen sind of gut integriert.
Co-Abhängige Betroffene verfallen in verschiedene Handlungsmuster. Da ist zum einen der Versuch der Kontrolle, etwa durch die Begrenzung des Konsums, was leider selten von Erfolg gekrönt ist. Einen Hang zur Selbstbezichtigung beobachte man auch häufig, sagt Hinz. Dabei sind die Helfer an überhaupt nichts Schuld. Selbst das co-abhängige Verhalten ist nicht Schuld, weil es die meisten Menschen einfach nicht besser wissen, so die Doktorin. Auch Profis sind davor nicht gefeit, schon mancher Sozialarbeiter habe für seine Klienten alle Hürden aus dem Weg geräumt nur um zu sehen, wie alle Hilfe der Sucht keinen Einhalt gebietet, und die Person über kurz oder lang wieder genau da steht, wo man begonnen hat.
Wirkliche Hilfe ist schwer
Hilfe in Suchtfragen ist ein schweres Geschäft. Meist sind Suchtkranke gar nicht in der Lage, sich ein Leben ohne Konsum vorzustellen. Wieder andere haben ihre Realtiät soweit verdreht, dass sie die Problematik ganz und gar verneinen können. Hinz erzählt von einem Ehepaar, das im Streit zur Polizei gefahren ist, weil der trunkene Mann beweisen wollte, dass er nicht einen Tropfen Alkohol in sich habe. Nach dem Pusten standen 1,7 Promille auf dem Gerät, den Führerschein behielten die Beamten gleich ein. Aber sicher war das Gerät kaputt. Oder man hat vergorenes Apfelmus gegessen, daher kommt der Alkoholgehalt im Blut. Oder nein, es waren Hefebakterien im Darmtrakt oder ein alkoholbildender Tumor. Alles Erklärungen, die der Chefärztin schon unter gekommen sind.
80 Prozent unserer Klienten können sich kein Leben in der Abstinenz vorstellen. Es ist die Aufgabe der Klinik, sie davon wegzubekommen und ihnen die Vorstellung zu ermöglichen, dass ein Änderung erreichbar ist. Aber der Weg ist lang und er fühlt sich nicht gut an. Man kann eine chronische Erkrankung heilen, die Ursprungspersönlichkeit wieder ausbuddeln, aber mit Nüchternheit alleine ist es nicht getan.
Es sei nicht die Vernunft, die die Menschen dazu bewege, sich Hilfe zu suchen. Meist sind es einschneidende Ereignisse. Dr. Hinz hat eine weitere Anekdote parat: ein Mann wird in einen schweren Autounfall verwickelt, ohne Frage ein einschneidendes Erlebnis, aber letztlich nicht der Auslöser, sich Hilfe zu suchen. Frau und Kind hatten ihm zuvor die sprichwörtliche Pistole auf die Brust gesetzt: es muss sich etwas ändern.
Was man tun kann
Machtmittel nennt Hinz das. Über die verfügen Privatpersonen aber nur in begrenztem Maße. Von Amts wegen sieht das anders aus, gerade wenn es um den Kinder- und Jugendschutz geht. Der Leidensdruck darf den Betroffenen nicht genommen werden, im Gegenteil. Es braucht Druckmittel und Grenzen. Ruhig solle man bleiben, auch wenn das Gegenüber wütend wird, nicht moralisieren, nicht sagen du hast ein Problem sondern ich mache mir Sorgen, das Problembewusstsein des Betroffenen bestärken.
Für Angehörige und Freunde sei es das Beste, sich professionelle Hilfe zu suchen, etwa bei den Suchtberatungsstellen. Auch das sei nicht leicht, die Scham sei groß, nicht nur für Suchtkranke in luziden Momenten, sondern auch für Co-Abhängige. Unterstützung tue aber Not, idealerweise in professioneller Begleitung.
Angelo Glashagel
Autor: redHeute hat Dr. Heike Hinz viel Erfahrung. An der Median Klinik in Richelsdorf hilft sie Suchtkranken Menschen und oft auch deren Angehörigen. Die Erfahrung musste sie erst sammeln, dazu gehört auch das Wissen, dass wohl gemeinte Hilfe manchmal nur der Sucht hilft. Vor vielen Jahre, als gerade frisch gebackene Medizinierin, hatte sie einen Freund mit hohen Spielschulden, berichtet die heutige Chefärztin. Was also tat der Freundeskreis? Man sammelte Geld um dem in Not geratenen Kumpan auszuhelfen. Nur genützt hat es nichts, war "das Falscheste" was man machen konnte, sagt Hinz heute. Der Mann war Spielsüchtig und haute auch die gesammelte Spende auf den Kopf. Die Geschichte hat kein Happy End, der Freund von damals kann mit der Scham nicht leben, wählt ein paar Wochen später den Freitod.
Dr. Hinz hat zum Öffentlichkeitstag des Nordhäuser Suchthilfezentrums in der Jugendkirche im Altendorf viele Anekdoten und Geschichten aus dem Arbeitsalltag mitgebracht und nicht alle enden derart düster. Aber sie erzählen von einem Phänomen, dass den Betroffenen meist gar nicht bekannt ist: die Co-Abhängigkeit.
Wer im Suchtbereich oder in der Jugendhilfe arbeitet, wird mit der Problematik häufiger konfrontiert, außerhalb der Fachkreise ist sie aber weitestgehend unbekannt. Co-Abhängigkeit beschreibt den Umstand, dass das Umfeld von Suchtkranken häufig die Sucht unterstützt, in dem suchtbedingte Schwierigkeiten für die Betroffenen aus dem Weg geräumt werden. Vermeintlich hilft man so, in guter Intention, die Gründe für die Sucht zu eliminieren, doch es ist nicht die Sucht, die dem Kranken das Leben schwer macht.
Der Leidensdruck kommt nicht von der Droge. Wir leben um uns gut zu fühlen und in der Sucht fühlen sich die Leute gut., erläutert Hinz, Druck wird durch externe Faktoren und einschneidende Ereignisse aufgebaut und in der Co-Abhängigkeit suchen Dritte, seien es nun Familienmitglieder, Kollegen oder Freunde, durch gut gemeinte Unterstützung eben gerade diese Druck-Faktoren abzumildern. Eltern sind ein klassisches Beispiel, Hinz berichtet von einem Paar, dessen Sohn im Alter von nur 25 Jahren eine schwer Leberzirrhose entwickelt hat. Der junge Mann trinkt viel, fährt betrunken mehr als ein Auto zu Schrott. Mama und Papa helfen trotzdem, wenn der Junge kein Auto mehr hat, dann kann er nicht mehr arbeiten und alles wird nur noch schlimmer. Die Ehefrau, die den Alkohol ihres betrunkenen Gatten wegkippt, die Kollegen die dem Mitarbeiter mit der Fahne decken und ein ums andere mal die leichtesten Aufgaben zuteilen, die Kinder die versuchen, nach außen hin alles normal wirken zu lassen - Beispiele für Co-Abhängigkeit gibt es viele.
Der Öffentlichkeitstag des Diakonie-Suchthilfezentrums fand wieder großen Anklang in den Fachkreisen (Foto: agl)
Eine eigene Suchterkrankung muss damit nicht einher gehen, ist aber in der Folge nicht ausgeschlossen. Stimmungsschwankungen, Aggressivität, Lieblosigkeit des Gegenüber münden für die wohlmeinenden Helfer nicht selten in Depressionen. Auch Schlaf- und Essstörungen beobachte man häufig und eine Selbstmedikamentierung um den eigenen Problemen zu begegnen, ist nicht ausgeschlossen, berichtet Hinz.
Ein paar Bierchen in Ehren
Hinz berichtet vor allem von Alkoholproblemen. Nicht weil es keine andere Suchterkrankungen gäbe, sondern weil Alkoholkonsum und -missbrauch gesellschaftlich weit verbreitet, mitunter akzeptiert und häufig gedeckt werden. Auch im Nordhäuser Suchthilfezentrum ist Alkoholsucht seit jeher die Hauptdiagnose. Im letzten Jahresbericht war das nicht anders. Mit 631 Klienten blieb die Gesamtzahl der Fälle im Vergleich zu den Vorjahren relativ stabil, Alkohol als Hauptproblem führt den Reigen der Problemlagen mit 239 Fällen aber wieder deutlich an.
Rund 1,8 Millionen Alkoholabhängige gibt es in Deutschland, das macht um die acht Millionen Angehörige, rechnet Hinz vor. Darunter finden sich 2,6 Millionen Kinder, die dann häufig den selben Weg gehen, wie die Eltern. Im Vergleich dazu fällt die Zahl der Kinder, die mit drogenabhängigen Eltern leben müssen mit 40.000 bis 60.000 deutlich niedriger aus.
Sie kennen mit Sicherheit jemanden, mit Alkoholproblemen und wenn nicht, dann haben Sie es einfach noch nicht gemerkt., gibt die Ärztin dem Publikum mit auf den Weg, das Problem zieht sich durch alle Schichten und die Betroffenen sind of gut integriert.
Co-Abhängige Betroffene verfallen in verschiedene Handlungsmuster. Da ist zum einen der Versuch der Kontrolle, etwa durch die Begrenzung des Konsums, was leider selten von Erfolg gekrönt ist. Einen Hang zur Selbstbezichtigung beobachte man auch häufig, sagt Hinz. Dabei sind die Helfer an überhaupt nichts Schuld. Selbst das co-abhängige Verhalten ist nicht Schuld, weil es die meisten Menschen einfach nicht besser wissen, so die Doktorin. Auch Profis sind davor nicht gefeit, schon mancher Sozialarbeiter habe für seine Klienten alle Hürden aus dem Weg geräumt nur um zu sehen, wie alle Hilfe der Sucht keinen Einhalt gebietet, und die Person über kurz oder lang wieder genau da steht, wo man begonnen hat.
Wirkliche Hilfe ist schwer
Hilfe in Suchtfragen ist ein schweres Geschäft. Meist sind Suchtkranke gar nicht in der Lage, sich ein Leben ohne Konsum vorzustellen. Wieder andere haben ihre Realtiät soweit verdreht, dass sie die Problematik ganz und gar verneinen können. Hinz erzählt von einem Ehepaar, das im Streit zur Polizei gefahren ist, weil der trunkene Mann beweisen wollte, dass er nicht einen Tropfen Alkohol in sich habe. Nach dem Pusten standen 1,7 Promille auf dem Gerät, den Führerschein behielten die Beamten gleich ein. Aber sicher war das Gerät kaputt. Oder man hat vergorenes Apfelmus gegessen, daher kommt der Alkoholgehalt im Blut. Oder nein, es waren Hefebakterien im Darmtrakt oder ein alkoholbildender Tumor. Alles Erklärungen, die der Chefärztin schon unter gekommen sind.
80 Prozent unserer Klienten können sich kein Leben in der Abstinenz vorstellen. Es ist die Aufgabe der Klinik, sie davon wegzubekommen und ihnen die Vorstellung zu ermöglichen, dass ein Änderung erreichbar ist. Aber der Weg ist lang und er fühlt sich nicht gut an. Man kann eine chronische Erkrankung heilen, die Ursprungspersönlichkeit wieder ausbuddeln, aber mit Nüchternheit alleine ist es nicht getan.
Es sei nicht die Vernunft, die die Menschen dazu bewege, sich Hilfe zu suchen. Meist sind es einschneidende Ereignisse. Dr. Hinz hat eine weitere Anekdote parat: ein Mann wird in einen schweren Autounfall verwickelt, ohne Frage ein einschneidendes Erlebnis, aber letztlich nicht der Auslöser, sich Hilfe zu suchen. Frau und Kind hatten ihm zuvor die sprichwörtliche Pistole auf die Brust gesetzt: es muss sich etwas ändern.
Was man tun kann
Machtmittel nennt Hinz das. Über die verfügen Privatpersonen aber nur in begrenztem Maße. Von Amts wegen sieht das anders aus, gerade wenn es um den Kinder- und Jugendschutz geht. Der Leidensdruck darf den Betroffenen nicht genommen werden, im Gegenteil. Es braucht Druckmittel und Grenzen. Ruhig solle man bleiben, auch wenn das Gegenüber wütend wird, nicht moralisieren, nicht sagen du hast ein Problem sondern ich mache mir Sorgen, das Problembewusstsein des Betroffenen bestärken.
Für Angehörige und Freunde sei es das Beste, sich professionelle Hilfe zu suchen, etwa bei den Suchtberatungsstellen. Auch das sei nicht leicht, die Scham sei groß, nicht nur für Suchtkranke in luziden Momenten, sondern auch für Co-Abhängige. Unterstützung tue aber Not, idealerweise in professioneller Begleitung.
Angelo Glashagel
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