Mi, 09:36 Uhr
19.02.2025
nnz-Kandidaten Interview
Stabil in die Opposition
Für die Linke schickt sich Donata Vogtschmidt aus dem Kyffhäuserkreis an, als Nordthüringer Abgeordnete in den Bundestag einzuziehen. Die nnz hat mit ihr über Arbeit in der Opposition, die politischen Mitbewerber gesprochen und gesellschaftliche Entwicklungen gesprochen...
nnz: Frau Vogtschmidt, Die Linke hat lange an der fünf Prozenthürde geknabbert, inzwischen sagen ihnen die Umfragen um die sechs Prozent voraus. Schafft die Linke den Einzug in den Bundestag?
Donata Vogtschmidt: Wir schaffen das definitiv und es werden eher sieben oder acht Prozent. Wir werden genug Direktmandate haben um in Fraktionsstärke im neuen Bundestag vertreten zu sein. Die Umfragewerte passen zu dem, was wir bundesweit und auch hier vor Ort sehen und das ist öffentliche Anerkennung und Zuspruch. Gerade jüngere Leute haben wir über Social Media erreicht aber auch die Mission Silberlocke mit Bodo Ramelow, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch ist gut angekommen.
nnz: In den Medien war von vielen Neueintritten zu lesen, passiert das auch hier in den Region?
Vogtschmidt: Bei uns im Kreisverband Kyffhäuser konnten wir seit Oktober vergangenen Jahres 18 neue Mitglieder begrüßen, in ganz Thüringen waren es seit Jahresbeginn um die 500.
nnz: Woher rührt der plötzliche Zulauf ihrer Meinung nach?
Vogtschmidt: Zum einen spürt man in der Gesellschaft eine gewisse Perspektivlosigkeit und zum anderen haben wir die allgemeine Diskursverschiebung im Migrationsthema und dabei auch noch den jüngsten Umgang der CDU mit der AfD. Das sind Themen, bei denen allein die Linke stabil ist. Man hat den Eindruck, dass sich die ganze Welt verschiebt, der Ton harscherund deutlicher wird und die Gewaltbereitschaft von rechts zu nimmt. Ich glaube viele Menschen sind inzwischen bereit, dieser Entwicklung nicht mehr nur vom Rand aus zuzuschauen. Das Land braucht eine klare Opposition, die der Regierung kritisch auf die Finger schaut, das Land braucht Kompromisse und die Linke wird an der Stelle das Zünglein an der Waage sein.
nnz: Das heißt Regierungsverantwortung wird direkt ausgeschlossen?
Vogtschmidt: Wir wollen verändern, aber nicht um jeden Preis regieren. In der Opposition können wir unsere Werte klar vertreten, unsere Anliegen einbringen und um Mehrheiten kämpfen, auch wenn das im nächsten Bundestag für keinen einfach wird.
nnz: Die Partei ist das eine, warum wollen Sie persönlich in den Bundestag?
Vogtschmidt: Auf meinem Zeitplan stand das eigentlich nicht aber parlamentarische Arbeit hat mich schon immer interessiert, also habe ich zugesagt als unsere Kreisverbände gefragt haben. Politik ist Teil des Lebens und da bin ich gerne vorne mit dabei. Der nächste Bundestag wird kleiner, männlicher und älter. Wenn wir die Zukunft gemeinsam Hand in Hand wuppen wollen, muss auch meine Generation Zukunft mit gestalten können, diesen Pluralismus braucht es.
nnz: Deutschland steckt im Moment in einer ernsten wirtschaftlichen Flaute. Wie soll das Land da wieder hinaus geführt werden?
Vogtschmidt: Der Hauptansatz muss eine Reform des Steuersystems und der Schuldenbremse sein. Es kann nicht sein, dass wir nur den Status Quo gerade so halten. Wir müssen in der Lage sein, Investitionen zu tätigen um die Dinge besser zu machen, allen voran in der Bildung und der Infrastruktur. Außerdem werben wir für eine Erhöhung des Mindestlohns, damit den Menschen am Ende des Monats mehr im Portemonnaie bleibt. Wir werden zumindest für die größeren Städte einen Mietendeckel brauchen und sollten bei den großen Wohnkonzernen auch nicht vor Enteignungen Halt machen. Da ist der Staat gefragt, Wohnraum sollte kein Spekulationsobjekt sein. Die nötigen Mittel bekommen wir aus einer fairen und sozial gerechten Steuerreform, die den Spitzensteuersatz auf 53 Prozent anhebt. Das ist übrigens keine rein Linke Idee, wir bedienen uns da bei dem bekannten Altkommunisten Helmut Kohl. Da müssen wir wieder hin zurück, Milliardäre können wir uns nicht mehr leisten. Wer mehr als eine Million Euro verdient, muss einen gerechten Beitrag leisten, alles was darunter liegt wird nicht angefasst und auch die Freibeträge bleiben wie sie sind. Unsere Marktwirtschaft muss sozialer werden. Das ist der Kernpunkt.
nnz: Nächstes Großthema ist die Zukunft der Energieversorgung. Wohin sollte die Reise ihrer Meinung nach gehen?
Vogtschmidt: Es ist schon mal gut, das wir wieder auf dem Preisniveau von vor ein paar Jahren liegen, die hohen Energiekosten, von denen mitunter schwadroniert wird, sind einfach nicht mehr Realität. Unbestritten ist das der Preissprung viele gerade auch kleinere Unternehmen die Existenz gekostet hat. Wir setzen uns deswegen für eine Preisbremse sowohl für private Verbraucher wie auch für die Industrie ein.
nnz: Und woher die Energie nehmen?
Vogtschmidt: Der Atomausstieg war richtig und die fossilen Brennstoffe haben keine Zukunft, schon gar nicht wenn wir mehr Unabhängigkeit anstreben und unsere Preise selber bestimmen wollen. Bleiben die regenerativen Energien und um die effektiv zu nutzen, brauchen wir bessere Speicher mit höheren Kapazitäten. Das Wiederrum bedeutet, dass man mehr Geld für Forschung in die Hand nehmen muss und der eigenen Innovationskraft vertraut.
nnz: Knappe Kassen machen es den Kommunen in Nordthüringen zunehmend schwerer, ihre Aufgaben zu erfüllen. Was kann bzw. sollte man von Berlin aus dagegen unternehmen?
Vogtschmidt: Das ist eine Frage der Autonomie der Länder und die sollte man nicht eingreifen. Was man tun kann, ist mehr Mittel vom Bund auf die Länder zu verteilen, allerdings nicht mit der Gießkanne. Man braucht Zweckbindungen, damit die Mittel auch da ankommen, wo sie hin sollen.
nnz: Kurz nach der Kassenlage kommt die Sorge vor der demographischen Entwicklung. Wie sollte man sinkenden Einwohnerzahlen im ländlichen Raum begegnen?
Vogtschmidt: Dem demographischen Wandel begegnet man, indem man gleichwertige Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land schafft und eine bedarfsgerechte Daseinsvorsorge aufbaut. Dazu gehört die Anbindung an den ÖPNV oder auch der Bau neuer Kindergärten. Wenn wir Leute nach Nordthüringen locken wollen, muss die Region attraktiv gemacht werden und das heißt: Investition in den ländlichen Raum und Anreize schaffen, sich hier nieder zu lassen.
nnz: Investitionen sind schön und gut, aber Daseinsvorsorge braucht auch Personal. Woher die Leute nehmen, wenn wir stetig weniger werden?
Vogtschmidt: Die Demographie ist ein ernstes, gesamtdeutsches Thema und wir dürfen den Kopf da nicht einfach den Kopf in den Sand stecken und fabulieren. Dem akuten Fachkräftemangel begegnet man nicht mit einer Stärkung der deutschen Familie, kurzfristig greift sowas überhaupt nicht. Wir können alle rechnen, wir sehen wie viele Kinder geboren werden und wer die Last der Renten tragen muss. Wir werden nicht umhin kommen, ein Land zu sein, das sich um Fachkräfte und Personal aus dem Ausland bemüht. Und da reden wir nicht nur von der EU, wir werden weiter über den Tellerrand hinausblicken müssen. Es gibt schon jetzt tolle Partnerschaften, zum Beispiel mit Ländern wie Vietnam. Wenn wir hier tolerant, vielfältig und offen sind, ist das eine Win-win Situation. Das Umfragehoch für die sogenannte Alternative ist da ein kritischer Faktor, gerade für unsere Region. Wer möchte den bitte zu uns kommen, wenn Hass und Hetze regieren?
nnz: Und doch sieht es so aus als würde die AfD zweitstärkste Kraft im nächsten Bundestag werden…
Vogtschmidt: Der ganze Zeitgeist driftet gerade nach rechts, nicht nur bei der CDU, selbst bei der SPD und den Grünen. Man versucht da Wähler abzugreifen. Das geht soweit, dass die Parteien da eigentlich kaum noch voneinander zu unterscheiden sind, was denke ich auch zur Politikverdrossenheit beiträgt und das verständlicherweise. Am Ende wird es nicht funktionieren, das hat die Vergangenheit schon gezeigt. Die Leute wählen das blaue Original. Wer noch klare und eigene Positionen bezieht, das ist die Linke.
nnz: Nun haben Sie schon gesagt, dass sie ihre Partei in der Opposition sehen. Was will man da groß verändern? Keine Revolution mehr in der Linken?
Vogtschmidt: Wir haben eine Zukunftsutopie, die steht schwarz auf weiß. Aber wir müssen anerkennen, das wir uns in einem festgefahrenen System bewegen. Veränderungen müssen wir da suchen, wo sie in diesem System möglich sind, in etablierter Politik. Wir sind keine anarchistische Partei, die sich anschickt den Weltkapitalismus zu kippen. Was zählt ist Realpolitik und da werden wir das Beste draus machen.
nnz: Mit dem BSW hat sich ein Teil der Partei abgespalten, man wirft der Linken vor, ihre traditionelles Klientel vergessen zu haben und Großstadtpolitik zu machen.
Vogtschmidt: Das ist Blödsinn, wir sind immer noch eine Arbeiter*innen Partei und gerade in Thüringen stark mit dem ländlichen Raum befasst. Was man sagen kann ist, dass wir nach 10 Jahren Rot-Rot-Grün zumindest in Thüringen auch ein Stück weit eine Partei des Establishments geworden sind. Aber Bodo Ramelow war ein guter Ministerpräsident und die Abspaltung des BSW hat uns am Ende gut getan, wir haben mehr Ein- als Austritte gehabt.
nnz: Wo verlaufen denn die Trennlinien zwischen der Linken und dem BSW?
Vogtschmidt: Da gibt es viele. In der Friedenspolitik gehen wir nicht mit, da ist das BSW zu russlandfreundlich. Hauptthema ist aber die Migrationsfrage. Es muss andere Wege geben, als es den Leuten schwerer zu machen nach Deutschland zu kommen und mehr abzuschieben und das ist die Entbürokratisierung des Systems und ein leichterer Zugang zum Arbeitsmarkt.
nnz: Wie geht man mit Vorfällen wie dem jüngsten Attentat in München um?
Vogtschmidt: Schlechte Menschen gibt es auch unter migrantischen Personen. Vergehen müssen strafrechtlich verfolgt werden, der Rechtsstaat macht keine Unterschiede bei der Herkunft oder Hautfarbe und das ist richtig so.
nnz: Der Einfluss der sozialen Medien wird zunehmend als Problem wahrgenommen. Sollte der Staat hier regulierend eingreifen?
Vogtschmidt: Ja, da muss man eingreifen. Wir haben zentrale Trends total verschlafen, siehe KI. Gerade unter den Jüngeren wird vieles gar nicht mehr hinterfragt, von deep fakes bis fake news. Die Gefahren sind hoch und es braucht dringend mehr Kompetenzbildung und auch staatliche Regulation im Sinne des Daten- und Verbraucherschutzes.
nnz: Wie sollte die Bundesrepublik mit dem Ukrainekonflikt umgehen?
Vogtschmidt: Waffen schaffen keinen Frieden und Waffenlieferungen lösen keine Probleme, aber die Ukraine muss sich auch selbst verteidigen können. Nur müssen es eben nicht deutsche Waffen sein, das können andere Länder übernehmen. Ein umdenken in der Militarisierung ist nicht über Nacht zu machen, das heißt wir müssen weiter auf Diplomatie setzen. Als Land sollten wir wehrhaft sein, aber nicht angriffsfähig.
nnz: Haben wir nicht Verpflichtungen gegenüber unseren Bündnispartnern?
Vogtschmidt: Die NATO muss überarbeitet werden, auf den Säulen, auf denen sie im Moment steht, ist das kein fähiges Konstrukt mehr. Unsere Hauptaufgabe muss der Zivilschutz sein.
nnz: Braucht Deutschland die EU?
Vogtschmidt: Die EU ist reformbedürftig, aber wir brauchen sie definitiv. Wir brauchen ein europäisches Denken, über die Landesgrenzen hinaus. Meine Traumvorstellung wäre ja immer noch der Weltenbürger mit der Nation Mensch, aber das ist realistisch nicht umsetzbar. Unsere Gemeinschaft muss in Europa anfangen. Wir müssen einander vertrauen können. Nationales Klein-Klein bringt nichts, schadet dem Land und der Wirtschaft. Gemeinsam zu leben, ist einfacher.
nnz: Wie sehen Sie ihre persönlichen Chancen, in den Bundestag einzuziehen?
Vogtschmidt: Unsere Umfragewerte sind gut und mit Listenplatz zwei hinter Bodo Ramelow und mindestens drei Direkmandaten sehe ich gute Chancen.
nnz: Frau Vogtschmidt, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Angelo Glashagel
Autor: rednnz: Frau Vogtschmidt, Die Linke hat lange an der fünf Prozenthürde geknabbert, inzwischen sagen ihnen die Umfragen um die sechs Prozent voraus. Schafft die Linke den Einzug in den Bundestag?
Donata Vogtschmidt: Wir schaffen das definitiv und es werden eher sieben oder acht Prozent. Wir werden genug Direktmandate haben um in Fraktionsstärke im neuen Bundestag vertreten zu sein. Die Umfragewerte passen zu dem, was wir bundesweit und auch hier vor Ort sehen und das ist öffentliche Anerkennung und Zuspruch. Gerade jüngere Leute haben wir über Social Media erreicht aber auch die Mission Silberlocke mit Bodo Ramelow, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch ist gut angekommen.
nnz: In den Medien war von vielen Neueintritten zu lesen, passiert das auch hier in den Region?
Vogtschmidt: Bei uns im Kreisverband Kyffhäuser konnten wir seit Oktober vergangenen Jahres 18 neue Mitglieder begrüßen, in ganz Thüringen waren es seit Jahresbeginn um die 500.
nnz: Woher rührt der plötzliche Zulauf ihrer Meinung nach?
Vogtschmidt: Zum einen spürt man in der Gesellschaft eine gewisse Perspektivlosigkeit und zum anderen haben wir die allgemeine Diskursverschiebung im Migrationsthema und dabei auch noch den jüngsten Umgang der CDU mit der AfD. Das sind Themen, bei denen allein die Linke stabil ist. Man hat den Eindruck, dass sich die ganze Welt verschiebt, der Ton harscherund deutlicher wird und die Gewaltbereitschaft von rechts zu nimmt. Ich glaube viele Menschen sind inzwischen bereit, dieser Entwicklung nicht mehr nur vom Rand aus zuzuschauen. Das Land braucht eine klare Opposition, die der Regierung kritisch auf die Finger schaut, das Land braucht Kompromisse und die Linke wird an der Stelle das Zünglein an der Waage sein.
nnz: Das heißt Regierungsverantwortung wird direkt ausgeschlossen?
Vogtschmidt: Wir wollen verändern, aber nicht um jeden Preis regieren. In der Opposition können wir unsere Werte klar vertreten, unsere Anliegen einbringen und um Mehrheiten kämpfen, auch wenn das im nächsten Bundestag für keinen einfach wird.
nnz: Die Partei ist das eine, warum wollen Sie persönlich in den Bundestag?
Vogtschmidt: Auf meinem Zeitplan stand das eigentlich nicht aber parlamentarische Arbeit hat mich schon immer interessiert, also habe ich zugesagt als unsere Kreisverbände gefragt haben. Politik ist Teil des Lebens und da bin ich gerne vorne mit dabei. Der nächste Bundestag wird kleiner, männlicher und älter. Wenn wir die Zukunft gemeinsam Hand in Hand wuppen wollen, muss auch meine Generation Zukunft mit gestalten können, diesen Pluralismus braucht es.
nnz: Deutschland steckt im Moment in einer ernsten wirtschaftlichen Flaute. Wie soll das Land da wieder hinaus geführt werden?
Vogtschmidt: Der Hauptansatz muss eine Reform des Steuersystems und der Schuldenbremse sein. Es kann nicht sein, dass wir nur den Status Quo gerade so halten. Wir müssen in der Lage sein, Investitionen zu tätigen um die Dinge besser zu machen, allen voran in der Bildung und der Infrastruktur. Außerdem werben wir für eine Erhöhung des Mindestlohns, damit den Menschen am Ende des Monats mehr im Portemonnaie bleibt. Wir werden zumindest für die größeren Städte einen Mietendeckel brauchen und sollten bei den großen Wohnkonzernen auch nicht vor Enteignungen Halt machen. Da ist der Staat gefragt, Wohnraum sollte kein Spekulationsobjekt sein. Die nötigen Mittel bekommen wir aus einer fairen und sozial gerechten Steuerreform, die den Spitzensteuersatz auf 53 Prozent anhebt. Das ist übrigens keine rein Linke Idee, wir bedienen uns da bei dem bekannten Altkommunisten Helmut Kohl. Da müssen wir wieder hin zurück, Milliardäre können wir uns nicht mehr leisten. Wer mehr als eine Million Euro verdient, muss einen gerechten Beitrag leisten, alles was darunter liegt wird nicht angefasst und auch die Freibeträge bleiben wie sie sind. Unsere Marktwirtschaft muss sozialer werden. Das ist der Kernpunkt.
nnz: Nächstes Großthema ist die Zukunft der Energieversorgung. Wohin sollte die Reise ihrer Meinung nach gehen?
Vogtschmidt: Es ist schon mal gut, das wir wieder auf dem Preisniveau von vor ein paar Jahren liegen, die hohen Energiekosten, von denen mitunter schwadroniert wird, sind einfach nicht mehr Realität. Unbestritten ist das der Preissprung viele gerade auch kleinere Unternehmen die Existenz gekostet hat. Wir setzen uns deswegen für eine Preisbremse sowohl für private Verbraucher wie auch für die Industrie ein.
nnz: Und woher die Energie nehmen?
Vogtschmidt: Der Atomausstieg war richtig und die fossilen Brennstoffe haben keine Zukunft, schon gar nicht wenn wir mehr Unabhängigkeit anstreben und unsere Preise selber bestimmen wollen. Bleiben die regenerativen Energien und um die effektiv zu nutzen, brauchen wir bessere Speicher mit höheren Kapazitäten. Das Wiederrum bedeutet, dass man mehr Geld für Forschung in die Hand nehmen muss und der eigenen Innovationskraft vertraut.
nnz: Knappe Kassen machen es den Kommunen in Nordthüringen zunehmend schwerer, ihre Aufgaben zu erfüllen. Was kann bzw. sollte man von Berlin aus dagegen unternehmen?
Vogtschmidt: Das ist eine Frage der Autonomie der Länder und die sollte man nicht eingreifen. Was man tun kann, ist mehr Mittel vom Bund auf die Länder zu verteilen, allerdings nicht mit der Gießkanne. Man braucht Zweckbindungen, damit die Mittel auch da ankommen, wo sie hin sollen.
nnz: Kurz nach der Kassenlage kommt die Sorge vor der demographischen Entwicklung. Wie sollte man sinkenden Einwohnerzahlen im ländlichen Raum begegnen?
Vogtschmidt: Dem demographischen Wandel begegnet man, indem man gleichwertige Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land schafft und eine bedarfsgerechte Daseinsvorsorge aufbaut. Dazu gehört die Anbindung an den ÖPNV oder auch der Bau neuer Kindergärten. Wenn wir Leute nach Nordthüringen locken wollen, muss die Region attraktiv gemacht werden und das heißt: Investition in den ländlichen Raum und Anreize schaffen, sich hier nieder zu lassen.
nnz: Investitionen sind schön und gut, aber Daseinsvorsorge braucht auch Personal. Woher die Leute nehmen, wenn wir stetig weniger werden?
Vogtschmidt: Die Demographie ist ein ernstes, gesamtdeutsches Thema und wir dürfen den Kopf da nicht einfach den Kopf in den Sand stecken und fabulieren. Dem akuten Fachkräftemangel begegnet man nicht mit einer Stärkung der deutschen Familie, kurzfristig greift sowas überhaupt nicht. Wir können alle rechnen, wir sehen wie viele Kinder geboren werden und wer die Last der Renten tragen muss. Wir werden nicht umhin kommen, ein Land zu sein, das sich um Fachkräfte und Personal aus dem Ausland bemüht. Und da reden wir nicht nur von der EU, wir werden weiter über den Tellerrand hinausblicken müssen. Es gibt schon jetzt tolle Partnerschaften, zum Beispiel mit Ländern wie Vietnam. Wenn wir hier tolerant, vielfältig und offen sind, ist das eine Win-win Situation. Das Umfragehoch für die sogenannte Alternative ist da ein kritischer Faktor, gerade für unsere Region. Wer möchte den bitte zu uns kommen, wenn Hass und Hetze regieren?
nnz: Und doch sieht es so aus als würde die AfD zweitstärkste Kraft im nächsten Bundestag werden…
Vogtschmidt: Der ganze Zeitgeist driftet gerade nach rechts, nicht nur bei der CDU, selbst bei der SPD und den Grünen. Man versucht da Wähler abzugreifen. Das geht soweit, dass die Parteien da eigentlich kaum noch voneinander zu unterscheiden sind, was denke ich auch zur Politikverdrossenheit beiträgt und das verständlicherweise. Am Ende wird es nicht funktionieren, das hat die Vergangenheit schon gezeigt. Die Leute wählen das blaue Original. Wer noch klare und eigene Positionen bezieht, das ist die Linke.
nnz: Nun haben Sie schon gesagt, dass sie ihre Partei in der Opposition sehen. Was will man da groß verändern? Keine Revolution mehr in der Linken?
Vogtschmidt: Wir haben eine Zukunftsutopie, die steht schwarz auf weiß. Aber wir müssen anerkennen, das wir uns in einem festgefahrenen System bewegen. Veränderungen müssen wir da suchen, wo sie in diesem System möglich sind, in etablierter Politik. Wir sind keine anarchistische Partei, die sich anschickt den Weltkapitalismus zu kippen. Was zählt ist Realpolitik und da werden wir das Beste draus machen.
nnz: Mit dem BSW hat sich ein Teil der Partei abgespalten, man wirft der Linken vor, ihre traditionelles Klientel vergessen zu haben und Großstadtpolitik zu machen.
Vogtschmidt: Das ist Blödsinn, wir sind immer noch eine Arbeiter*innen Partei und gerade in Thüringen stark mit dem ländlichen Raum befasst. Was man sagen kann ist, dass wir nach 10 Jahren Rot-Rot-Grün zumindest in Thüringen auch ein Stück weit eine Partei des Establishments geworden sind. Aber Bodo Ramelow war ein guter Ministerpräsident und die Abspaltung des BSW hat uns am Ende gut getan, wir haben mehr Ein- als Austritte gehabt.
nnz: Wo verlaufen denn die Trennlinien zwischen der Linken und dem BSW?
Vogtschmidt: Da gibt es viele. In der Friedenspolitik gehen wir nicht mit, da ist das BSW zu russlandfreundlich. Hauptthema ist aber die Migrationsfrage. Es muss andere Wege geben, als es den Leuten schwerer zu machen nach Deutschland zu kommen und mehr abzuschieben und das ist die Entbürokratisierung des Systems und ein leichterer Zugang zum Arbeitsmarkt.
nnz: Wie geht man mit Vorfällen wie dem jüngsten Attentat in München um?
Vogtschmidt: Schlechte Menschen gibt es auch unter migrantischen Personen. Vergehen müssen strafrechtlich verfolgt werden, der Rechtsstaat macht keine Unterschiede bei der Herkunft oder Hautfarbe und das ist richtig so.
nnz: Der Einfluss der sozialen Medien wird zunehmend als Problem wahrgenommen. Sollte der Staat hier regulierend eingreifen?
Vogtschmidt: Ja, da muss man eingreifen. Wir haben zentrale Trends total verschlafen, siehe KI. Gerade unter den Jüngeren wird vieles gar nicht mehr hinterfragt, von deep fakes bis fake news. Die Gefahren sind hoch und es braucht dringend mehr Kompetenzbildung und auch staatliche Regulation im Sinne des Daten- und Verbraucherschutzes.
nnz: Wie sollte die Bundesrepublik mit dem Ukrainekonflikt umgehen?
Vogtschmidt: Waffen schaffen keinen Frieden und Waffenlieferungen lösen keine Probleme, aber die Ukraine muss sich auch selbst verteidigen können. Nur müssen es eben nicht deutsche Waffen sein, das können andere Länder übernehmen. Ein umdenken in der Militarisierung ist nicht über Nacht zu machen, das heißt wir müssen weiter auf Diplomatie setzen. Als Land sollten wir wehrhaft sein, aber nicht angriffsfähig.
nnz: Haben wir nicht Verpflichtungen gegenüber unseren Bündnispartnern?
Vogtschmidt: Die NATO muss überarbeitet werden, auf den Säulen, auf denen sie im Moment steht, ist das kein fähiges Konstrukt mehr. Unsere Hauptaufgabe muss der Zivilschutz sein.
nnz: Braucht Deutschland die EU?
Vogtschmidt: Die EU ist reformbedürftig, aber wir brauchen sie definitiv. Wir brauchen ein europäisches Denken, über die Landesgrenzen hinaus. Meine Traumvorstellung wäre ja immer noch der Weltenbürger mit der Nation Mensch, aber das ist realistisch nicht umsetzbar. Unsere Gemeinschaft muss in Europa anfangen. Wir müssen einander vertrauen können. Nationales Klein-Klein bringt nichts, schadet dem Land und der Wirtschaft. Gemeinsam zu leben, ist einfacher.
nnz: Wie sehen Sie ihre persönlichen Chancen, in den Bundestag einzuziehen?
Vogtschmidt: Unsere Umfragewerte sind gut und mit Listenplatz zwei hinter Bodo Ramelow und mindestens drei Direkmandaten sehe ich gute Chancen.
nnz: Frau Vogtschmidt, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Angelo Glashagel