Di, 11:50 Uhr
03.12.2024
Melancholische Gedanken in der Vorweihnachtszeit
Die Letzte Sau
Der Umzug einer Buchhandlung sollte eigentlich keine große Sache sein, bei unserem Redakteur hat sich ob einer solchen Meldung gestern dennoch vorweihnachtliche Melancholie eingestellt…
Als uns gestern die Nachricht ereilte, dass das Buchhaus Rose in die Marktpassage ziehen wird - übermittelt in einer mit Floskeln überladenen Unternehmenspressemitteilung aus dem Headquarter des Branchenriesen "Thalia" - da drang mir eine alte Melodie aus Jugendtagen an die Ohren.
Die Letzte Sau ist ein kurzer Song der Band WIZO, eigentlich eine derbhumorige Punkcombo, das Lied selber ist aber ein eher melancholisches Stück. Wir beginnen damit, dass sich Willi eine Träne aus den Augen wischt, weil keiner mitbekommen soll, das er traurig ist. Ursache der Trübsal ist der Abriss des alten Schlachthofes. Denn mit der letzten Sau…stirbt auch ein kleines Stück Geschichte unsrer Stadt. Der Sau ist es egal, doch wir wissen es genau, der Bagger macht viel mehr als nur den alten Schlachthof platt.
Nun ist ein Buchhaus kein Schlachthof und ein Umzug kein Abriss. Dennoch komme ich nicht um den Gedanken umhin, dass hier ein Stück Stadtgeschichte zu Grabe getragen wird. Seit ich meine eigene Liebe zum geschriebenen Wort in jungen Jahren entdeckt habe, war Rose die erste Anlaufstelle. Im Kulturleben der Stadt war das Haus und sein Herr eine feste Größe und im Berufsalltag hatte ich die Freude, öfters mit Dietrich Rose selber zu tun zu haben. Beim Buchhändler meines Vertrauens kennt man nach Jahren und Jahrzehnten nicht nur meine Vorlieben, sondern auch die der mir lieben Menschen, die ich gerne mit Literatur beglücke (ein gutes Buch ist immer das einfachste und beste aller Geschenke).
Der Tod Dietrich Roses war ein Schlag für die Stadt, ihre Kultur und ihre Bildung und wurde auch im privaten Bekanntenkreis mit Trauer aufgenommen. Aber mein Buchhaus war ja noch da, wenn nun auch unter dem Namen Thalia. Das nicht alles beim Alten bleiben würde war klar und wohl auch, dass eine Kette wie Thalia nicht auf ewig zwei Filialen im gleichen Ort unterhalten würde. Dass sich mit der Übernahme etwas im Wesen der Bücherstube geändert hat, ist gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit offensichtlich, mit dem Umzug in die Marktpassage, so befürchte ich, wird ein weiteres Stück der Seele des Hauses verloren gehen.
Es wird nie mehr so wie bisher
Auf der anderen Seite wird ein Umzug mit den geplanten Bauarbeiten an der Rautenstraße 1 unumgänglich und ist unternehmerisch in Anbetracht der begrenzten Platzkapazitäten wahrscheinlich ein logischer und nachvollziehbarer Schritt. Warum also wisch ich mir die metaphorische Träne aus den Augen? Nun, der letzte Geburtstag war ein runder, das Haupt wird zunehmend heller und die Zeit in ihrem Lauf schreitet unerbittlich voran. Vielleicht überschreite ich nur langsam die Schwelle hin zu den alten Nordhäusern, die mir schon so oft in Erinnerungen schwelgend davon berichtet haben, wie ihre Stadt einmal war und trauere mehr um den drohenden Verlust des Gestrigen. Ich sehe mich schon selber in zwanzig, dreißig Jahren sagen: sieh mal, da auf dem Eck, da war mal das Buchhaus Rose.
Eine Stadt ist stetig im Wandel, wie die Welt an sich und daran gibt es eigentlich erst einmal nichts zu betrauern. Auf der anderen Seite führt der Wandel, der sich in den letzten Jahren abzeichnet, in eine gewisse Seelenlosigkeit der Innenstadt. Rose war der letzte Nordhäuser Buchhändler, war Vertrautheit, ein Stück Geschichte meiner Stadt. Die Ankündigung der nächsten XXL Thalia Buchhandlung steht mir eher für Kette, Franchise und Produkt, von Flensburg bis München austauschbar und gleich. Corporate legt die Richtung fest, nicht der Buchliebhaber vor Ort, der mich am morgen auf dem Weg zur Arbeit grüßt. Es ist eben diese wahrgenommene Seelenlosigkeit, die mich eigentlich melancholisch stimmt.
In der Letzten Sau heißt es am Ende:
Es wird nie mehr,
So wie bisher.
Alles vergeht,
Nur die Erinnerung besteht
Und die Erinnerung wird bleiben. An Dietrich Rose, an das Buchhaus und an manch schöne Stunde mit einem neuen Buch. Vielleicht Sorge ich mich auch ganz und gar umsonst. Am Personal soll sich nichts ändern, heißt es aus dem Buchhaus Rose und das ist es ja eigentlich, was ich an meiner Bücherstube so schätze.
Angelo Glashagel
Autor: redAls uns gestern die Nachricht ereilte, dass das Buchhaus Rose in die Marktpassage ziehen wird - übermittelt in einer mit Floskeln überladenen Unternehmenspressemitteilung aus dem Headquarter des Branchenriesen "Thalia" - da drang mir eine alte Melodie aus Jugendtagen an die Ohren.
Die Letzte Sau ist ein kurzer Song der Band WIZO, eigentlich eine derbhumorige Punkcombo, das Lied selber ist aber ein eher melancholisches Stück. Wir beginnen damit, dass sich Willi eine Träne aus den Augen wischt, weil keiner mitbekommen soll, das er traurig ist. Ursache der Trübsal ist der Abriss des alten Schlachthofes. Denn mit der letzten Sau…stirbt auch ein kleines Stück Geschichte unsrer Stadt. Der Sau ist es egal, doch wir wissen es genau, der Bagger macht viel mehr als nur den alten Schlachthof platt.
Nun ist ein Buchhaus kein Schlachthof und ein Umzug kein Abriss. Dennoch komme ich nicht um den Gedanken umhin, dass hier ein Stück Stadtgeschichte zu Grabe getragen wird. Seit ich meine eigene Liebe zum geschriebenen Wort in jungen Jahren entdeckt habe, war Rose die erste Anlaufstelle. Im Kulturleben der Stadt war das Haus und sein Herr eine feste Größe und im Berufsalltag hatte ich die Freude, öfters mit Dietrich Rose selber zu tun zu haben. Beim Buchhändler meines Vertrauens kennt man nach Jahren und Jahrzehnten nicht nur meine Vorlieben, sondern auch die der mir lieben Menschen, die ich gerne mit Literatur beglücke (ein gutes Buch ist immer das einfachste und beste aller Geschenke).
Der Tod Dietrich Roses war ein Schlag für die Stadt, ihre Kultur und ihre Bildung und wurde auch im privaten Bekanntenkreis mit Trauer aufgenommen. Aber mein Buchhaus war ja noch da, wenn nun auch unter dem Namen Thalia. Das nicht alles beim Alten bleiben würde war klar und wohl auch, dass eine Kette wie Thalia nicht auf ewig zwei Filialen im gleichen Ort unterhalten würde. Dass sich mit der Übernahme etwas im Wesen der Bücherstube geändert hat, ist gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit offensichtlich, mit dem Umzug in die Marktpassage, so befürchte ich, wird ein weiteres Stück der Seele des Hauses verloren gehen.
Es wird nie mehr so wie bisher
Auf der anderen Seite wird ein Umzug mit den geplanten Bauarbeiten an der Rautenstraße 1 unumgänglich und ist unternehmerisch in Anbetracht der begrenzten Platzkapazitäten wahrscheinlich ein logischer und nachvollziehbarer Schritt. Warum also wisch ich mir die metaphorische Träne aus den Augen? Nun, der letzte Geburtstag war ein runder, das Haupt wird zunehmend heller und die Zeit in ihrem Lauf schreitet unerbittlich voran. Vielleicht überschreite ich nur langsam die Schwelle hin zu den alten Nordhäusern, die mir schon so oft in Erinnerungen schwelgend davon berichtet haben, wie ihre Stadt einmal war und trauere mehr um den drohenden Verlust des Gestrigen. Ich sehe mich schon selber in zwanzig, dreißig Jahren sagen: sieh mal, da auf dem Eck, da war mal das Buchhaus Rose.
Eine Stadt ist stetig im Wandel, wie die Welt an sich und daran gibt es eigentlich erst einmal nichts zu betrauern. Auf der anderen Seite führt der Wandel, der sich in den letzten Jahren abzeichnet, in eine gewisse Seelenlosigkeit der Innenstadt. Rose war der letzte Nordhäuser Buchhändler, war Vertrautheit, ein Stück Geschichte meiner Stadt. Die Ankündigung der nächsten XXL Thalia Buchhandlung steht mir eher für Kette, Franchise und Produkt, von Flensburg bis München austauschbar und gleich. Corporate legt die Richtung fest, nicht der Buchliebhaber vor Ort, der mich am morgen auf dem Weg zur Arbeit grüßt. Es ist eben diese wahrgenommene Seelenlosigkeit, die mich eigentlich melancholisch stimmt.
In der Letzten Sau heißt es am Ende:
Es wird nie mehr,
So wie bisher.
Alles vergeht,
Nur die Erinnerung besteht
Und die Erinnerung wird bleiben. An Dietrich Rose, an das Buchhaus und an manch schöne Stunde mit einem neuen Buch. Vielleicht Sorge ich mich auch ganz und gar umsonst. Am Personal soll sich nichts ändern, heißt es aus dem Buchhaus Rose und das ist es ja eigentlich, was ich an meiner Bücherstube so schätze.
Angelo Glashagel