Mi, 09:57 Uhr
01.01.2025
Aufgeschrieben
24 Stunden Berlin
Am 28. Dezember steigen wir ins Auto und fahren in Richtung Berlin. Meine Stimmung ist auf dem Hochpunkt und ich freue mich auf die große Stadt mit den tausend Möglichkeiten etwas zu erleben. Mal raus aus dem tristen Alltag und rein ins Vergnügen...
Das ist die deutsche Hauptstadt (Foto: C. Wilhelm)
Berlin, Berlin… singe ich und denke darüber nach, wie wir wohl den Verkehrsfluss in Berlin gut und unfallfrei überwinden können. Ich war vor einigen Jahren bereits dienstlich dort und kenne die Stadt in kleinen Teilen. Bisher hatte ich noch nicht viel Gelegenheit, sie mir im Detail anzuschauen. Das sollte sich mit dieser Reise ändern.
Sonntag, 29.12./17.00 Uhr
Das Navi hat uns im Kreis geführt, aber auf einigen kleinen Umwegen finden wir das Hotel mit dem Zimmer im achten Stock, das ich für diese Reise gebucht habe. Die Mitarbeiter am Empfang haben einen Migrationshintergrund. Ich denke, einen französischen und einen italienischen Dialekt
zu hören. Nette Menschen mit guten Umgangsformen. Leider verfügt das Hotel über keinen Parkplatz, also müssen wir in ein etwa 200 Meter Luftlinie entferntes Parkhaus ausweichen. Es kommt wie es kommen muss und wir finden uns nicht mehr zurück ins Hotel.
Es herrscht ein großes Gedränge rund um die Friedrichstraße und auch das Handy führt uns immer im Kreis. Wir fragen einen jungen Mann, der einen Dönerimbiss betreibt, nach dem Weg. Im Berlin gibt es gefühlt 1000 dieser kleinen Läden. Umrandet von Cafés, kleinen Bars und weiteren Etablisements. Die Friedrichstraße riecht nach Multikulti. In einer Nebenstraße geraten ein Obdachloser und drei weitere Männer in einen Streit: Das ist der! sagt einer von ihnen zu seinen Kompagnons. Ich gehe auf die Straße, um nicht in eine Schlägerei hinein zu geraten.
Hinter mir klappern die Räder meines kleinen Reisekoffers über das Katzenkopfpflaster, das sicher schon bessere Zeiten gesehen hat. Es ist windig und kalt in der Bundeshauptstadt. Die Menschen sind in warme Mäntel gepackt, tragen Mützen und Schals. Beim Überqueren einer Straße fahre ich mit
meinem Koffer beinah durch einen Haufen einstigen Mageninhalts, kann gerade noch ausweichen. Es liegt überall Müll umher. Achtlos weggeworfenes Papier und Plastik. Niemand achtet auf den anderen.
Ich sehe einen Mann, der sich eine dünne Decke mit seinem Labrador teilt. Neben ihm steht eine kleine Schale mit Keksen und er hat einen Becher Kaffee in der Hand. Ich fühle mich schlecht, weil ich so getan habe, als würde ich ihn nicht sehen und ihm kein Geld gegeben habe. An der nächsten Ecke liegt der nächste Mann, eingehüllt in einen Schlafsack in einem Hauseingang. Das scheint hier alles normal zu sein. Niemand achtet darauf und niemand interessiert sich dafür. Es ist schlichtweg Normalität in Berlin.
19.30 Uhr
Am Abend geht es ins Musical. Großartiges Bühnenbild und ein toller Klang im schillernden Friedrichstadtpalast. Elegante Menschen und viel Champagner und Longdrings für die Pausenzeit. Das Ambiente ist toll und ich treffe einen Politiker aus Texas, der schräg vor uns sitzt. Ted fragt mich, wie ich zur Präsidentschaftswahl in den USA stehe und wie es nun mit dem Ukrainekonflikt wohl weitergeht. Ich sage ihm meine Meinung und der Demokrat ist zufrieden, dass er endlich einmal eine klare Aussage aus Deutschland erhalten hat. Alle seine Fragen sind beantwortet. Wir wünschen uns eine schöne Zeit und verabschieden uns wieder voneinander.
Montag, 30.12.
Auf dem Programm steht heute ein Ausflug in die Berliner Unterwelten. Hier hat sich ein Verein als besonders qualifiziert herausgestellt. Der Verein Berliner Unterwelten. Die Gruppierung zählt 750 Mitglieder, zum größten Teil ehrenamtlich beschäftigt, aber auch mit Festanstellung, wie mir unser Gruppenführer Antoni erklärt. Anschaulich und mit zahlreichen Beispielen erläutert er die Schicksale vieler Familien, die quasi über Nacht auseinandergerissen wurden.
Bei den oft verhängnisvollen Versuchen, Familienmitglieder oder auch Mitstudenten aus dem Ostblock herauszuholen mussten viele ihr Leben lassen. Verraten und verkauft. Viele schafften es aber auch. Über drei Wege. Die Kanalisation, die U-Bahn-Station und unter der Erde in einem selbstgebauten Tunnel. Oft gruben sie sich Wochen und Monate lang in die Freiheit.
Und auch wenn die Wege immer schwerer zugänglich gemacht wurden und es fast unmöglich wurde, haben es Menschen geschafft, dem Regime der DDR zu entfliehen. Würde man die Männer, die Fluchten organisiert haben, heute fragen, warum sie es getan haben, würde immer wieder die gleiche Antwort zu hören sein, sagt Antonie am Ende der Führung. Er zeigt mit seiner kleinen Taschenlampe auf ein schwarz-weißes Bild an der Wand. Darauf zu sehen ist eine Frau, die ein kleines Baby in ihren Armen hält. Ergreifend war es sicher auch für den Vater, als er das Kleine endlich sah.
Aber auch ehemalige Grenzer nutzten die Gelegenheit um rüber zu machen. Insgesamt 300 Soldaten der ehemaligen DDR sollen im Rahmen ihrer Tätigkeit in den Westen geflohen sein. Bei der Tour konnte man auch Leihgaben anschauen. Zum Beispiel eine Matte, die mit Spitzen übersäht war.
Diese Matten lagen an U-Bahnhöfen, die eine zeitlang noch für Jedermann als Schleuse von Ost nach West dienen konnten. Wenn die U-Bahn mit 15 Kilometer pro Stunde durch den Bahnhof fuhr, musste man die Tür öffnen (das ging damals noch) und konnte hinausspringen. Nachdem das einige Male erfolgreich geklappt hatte, wurde die Geschwindigkeit auf 25 Kilometer pro Stunde erhöht. Diese und
viele weitere Schikanen haben sich die Menschen der ehemaligen DDR 40 Jahre lang gefallen lassen müssen. Eine sehr sehenswerte Ausstellung und Führung.
14.00 Uhr
Wir schlendern noch ein wenig die Badstraße rauf und runter und gehen vorbei an den vielen kleinen Ladengeschäften. Deutsche sehen wir nur zwei oder drei Stück. Sonst wimmelt es von Arabern. Auch die Schrift an den Geschäften ist arabisch. Die kleinen Cafés sind alle randvoll mit Besuchern und sogar an der Currywurstbude bilden sich lange Schlangen. Menschen über Menschen.
Mitten im Gedränge sehe ich einen Stand mit frischem Obst. Der Laden gehört einer türkischen Familie. Der Mann sortiert das Obst in die Stiegen ein und die Äpfel sind schön poliert. Ein wirklich sehr sauberer und ordentlicher Anblick. Um die Ecke sieht es anders aus. Hier liegt wieder Müll auf der Straße und es scheint so, als sei das normal. Eine Anwältin für Ausländerrecht hat ihre Kanzlei genau hier. Ich muss ein bisschen schmunzeln und denke, du bist schlau. Das ist eben Integration. Nur kommt diese Integration von unserer Seite. Eigentlich sollte es umgekehrt sein. Aber in Berlin ist das normal. Es riecht nach Multikulti
17.00 Uhr
Wir treten langsam die Heimreise an und sind erschöpft von den vielen Eindrücken. Es war schön, aber auch grausam und erschreckend. Dennoch muss man es einmal gesehen haben, das Berlin der schönen neuen Zeit. Silvester verbringen wir lieber zu Hause.
Cornelia Wilhelm
Autor: psg
Berlin, Berlin… singe ich und denke darüber nach, wie wir wohl den Verkehrsfluss in Berlin gut und unfallfrei überwinden können. Ich war vor einigen Jahren bereits dienstlich dort und kenne die Stadt in kleinen Teilen. Bisher hatte ich noch nicht viel Gelegenheit, sie mir im Detail anzuschauen. Das sollte sich mit dieser Reise ändern.
Sonntag, 29.12./17.00 Uhr
Das Navi hat uns im Kreis geführt, aber auf einigen kleinen Umwegen finden wir das Hotel mit dem Zimmer im achten Stock, das ich für diese Reise gebucht habe. Die Mitarbeiter am Empfang haben einen Migrationshintergrund. Ich denke, einen französischen und einen italienischen Dialekt
zu hören. Nette Menschen mit guten Umgangsformen. Leider verfügt das Hotel über keinen Parkplatz, also müssen wir in ein etwa 200 Meter Luftlinie entferntes Parkhaus ausweichen. Es kommt wie es kommen muss und wir finden uns nicht mehr zurück ins Hotel.
Es herrscht ein großes Gedränge rund um die Friedrichstraße und auch das Handy führt uns immer im Kreis. Wir fragen einen jungen Mann, der einen Dönerimbiss betreibt, nach dem Weg. Im Berlin gibt es gefühlt 1000 dieser kleinen Läden. Umrandet von Cafés, kleinen Bars und weiteren Etablisements. Die Friedrichstraße riecht nach Multikulti. In einer Nebenstraße geraten ein Obdachloser und drei weitere Männer in einen Streit: Das ist der! sagt einer von ihnen zu seinen Kompagnons. Ich gehe auf die Straße, um nicht in eine Schlägerei hinein zu geraten.
Hinter mir klappern die Räder meines kleinen Reisekoffers über das Katzenkopfpflaster, das sicher schon bessere Zeiten gesehen hat. Es ist windig und kalt in der Bundeshauptstadt. Die Menschen sind in warme Mäntel gepackt, tragen Mützen und Schals. Beim Überqueren einer Straße fahre ich mit
meinem Koffer beinah durch einen Haufen einstigen Mageninhalts, kann gerade noch ausweichen. Es liegt überall Müll umher. Achtlos weggeworfenes Papier und Plastik. Niemand achtet auf den anderen.
Ich sehe einen Mann, der sich eine dünne Decke mit seinem Labrador teilt. Neben ihm steht eine kleine Schale mit Keksen und er hat einen Becher Kaffee in der Hand. Ich fühle mich schlecht, weil ich so getan habe, als würde ich ihn nicht sehen und ihm kein Geld gegeben habe. An der nächsten Ecke liegt der nächste Mann, eingehüllt in einen Schlafsack in einem Hauseingang. Das scheint hier alles normal zu sein. Niemand achtet darauf und niemand interessiert sich dafür. Es ist schlichtweg Normalität in Berlin.
19.30 Uhr
Am Abend geht es ins Musical. Großartiges Bühnenbild und ein toller Klang im schillernden Friedrichstadtpalast. Elegante Menschen und viel Champagner und Longdrings für die Pausenzeit. Das Ambiente ist toll und ich treffe einen Politiker aus Texas, der schräg vor uns sitzt. Ted fragt mich, wie ich zur Präsidentschaftswahl in den USA stehe und wie es nun mit dem Ukrainekonflikt wohl weitergeht. Ich sage ihm meine Meinung und der Demokrat ist zufrieden, dass er endlich einmal eine klare Aussage aus Deutschland erhalten hat. Alle seine Fragen sind beantwortet. Wir wünschen uns eine schöne Zeit und verabschieden uns wieder voneinander.
Montag, 30.12.
Auf dem Programm steht heute ein Ausflug in die Berliner Unterwelten. Hier hat sich ein Verein als besonders qualifiziert herausgestellt. Der Verein Berliner Unterwelten. Die Gruppierung zählt 750 Mitglieder, zum größten Teil ehrenamtlich beschäftigt, aber auch mit Festanstellung, wie mir unser Gruppenführer Antoni erklärt. Anschaulich und mit zahlreichen Beispielen erläutert er die Schicksale vieler Familien, die quasi über Nacht auseinandergerissen wurden.
Bei den oft verhängnisvollen Versuchen, Familienmitglieder oder auch Mitstudenten aus dem Ostblock herauszuholen mussten viele ihr Leben lassen. Verraten und verkauft. Viele schafften es aber auch. Über drei Wege. Die Kanalisation, die U-Bahn-Station und unter der Erde in einem selbstgebauten Tunnel. Oft gruben sie sich Wochen und Monate lang in die Freiheit.
Und auch wenn die Wege immer schwerer zugänglich gemacht wurden und es fast unmöglich wurde, haben es Menschen geschafft, dem Regime der DDR zu entfliehen. Würde man die Männer, die Fluchten organisiert haben, heute fragen, warum sie es getan haben, würde immer wieder die gleiche Antwort zu hören sein, sagt Antonie am Ende der Führung. Er zeigt mit seiner kleinen Taschenlampe auf ein schwarz-weißes Bild an der Wand. Darauf zu sehen ist eine Frau, die ein kleines Baby in ihren Armen hält. Ergreifend war es sicher auch für den Vater, als er das Kleine endlich sah.
Aber auch ehemalige Grenzer nutzten die Gelegenheit um rüber zu machen. Insgesamt 300 Soldaten der ehemaligen DDR sollen im Rahmen ihrer Tätigkeit in den Westen geflohen sein. Bei der Tour konnte man auch Leihgaben anschauen. Zum Beispiel eine Matte, die mit Spitzen übersäht war.
Diese Matten lagen an U-Bahnhöfen, die eine zeitlang noch für Jedermann als Schleuse von Ost nach West dienen konnten. Wenn die U-Bahn mit 15 Kilometer pro Stunde durch den Bahnhof fuhr, musste man die Tür öffnen (das ging damals noch) und konnte hinausspringen. Nachdem das einige Male erfolgreich geklappt hatte, wurde die Geschwindigkeit auf 25 Kilometer pro Stunde erhöht. Diese und
viele weitere Schikanen haben sich die Menschen der ehemaligen DDR 40 Jahre lang gefallen lassen müssen. Eine sehr sehenswerte Ausstellung und Führung.
14.00 Uhr
Wir schlendern noch ein wenig die Badstraße rauf und runter und gehen vorbei an den vielen kleinen Ladengeschäften. Deutsche sehen wir nur zwei oder drei Stück. Sonst wimmelt es von Arabern. Auch die Schrift an den Geschäften ist arabisch. Die kleinen Cafés sind alle randvoll mit Besuchern und sogar an der Currywurstbude bilden sich lange Schlangen. Menschen über Menschen.
Mitten im Gedränge sehe ich einen Stand mit frischem Obst. Der Laden gehört einer türkischen Familie. Der Mann sortiert das Obst in die Stiegen ein und die Äpfel sind schön poliert. Ein wirklich sehr sauberer und ordentlicher Anblick. Um die Ecke sieht es anders aus. Hier liegt wieder Müll auf der Straße und es scheint so, als sei das normal. Eine Anwältin für Ausländerrecht hat ihre Kanzlei genau hier. Ich muss ein bisschen schmunzeln und denke, du bist schlau. Das ist eben Integration. Nur kommt diese Integration von unserer Seite. Eigentlich sollte es umgekehrt sein. Aber in Berlin ist das normal. Es riecht nach Multikulti
17.00 Uhr
Wir treten langsam die Heimreise an und sind erschöpft von den vielen Eindrücken. Es war schön, aber auch grausam und erschreckend. Dennoch muss man es einmal gesehen haben, das Berlin der schönen neuen Zeit. Silvester verbringen wir lieber zu Hause.
Cornelia Wilhelm