Mi, 14:30 Uhr
12.03.2025
Jüdische Kultur in Bleicherode
Leben zeigen, das es nicht mehr gibt
An vielen Orten in Nordthüringen existierten einst auch jüdische Gemeinden. Ihre Spuren findet man bis heute an meist vergessenen und verwaisten Orten. Das hier einmal das blühende Leben getobt hat, wollen ein paar Engagierte demnächst in Bleicherode zeigen und haben sich den jüdischen Fasching, das Purim Fest zum Anlass genommen. Den Anfang wird man aber auf dem Friedhof machen…
Dr. Marie-Luis Zahradnik beschäftigt sich seit langem mit den Orten jüdischen Lebens in Nordthüringen, allen voran den oft noch erhaltenen Friedhöfen. Ein solcher findet sich in Nordhausen, gut versteckt am Ammerberg, ein weiterer in Ellrich und auch in Bleicherode bestattete die dortige Gemeinde ihre Toten auf einem eigenen Gräberfeld. Am kommenden Samstag will man von hier aus in das Purim Fest starten. Eine fröhliche Veranstaltung, wie die Historikerin erklärt, ein Fest für Kinder, bunte Kostüme, Spaß und Feierlaune, ein jüdischer Fasching. Aber warum auf dem Gottesacker starten, wo Tod und Trauer allgegenwärtig sind?
Wir wollen ein Leben zeigen, dass es heute in Bleicherode nicht mehr gibt. Die Spuren dieses Lebens finden sich zumeist an Orten, die verwaist oder vergessen sind, an ehemaligen Synagogen, alten Wohnhäusern und Fabriken oder eben auch am Friedhof. Wo ein Grabstein steht, war vorher Leben, war Kultur und ein Alltag inmitten der Gesellschaft. Mit dem Programm zum Purim-Fest wollen wir genau daran erinnern, an eine lebendige Zeit vor dem Schrecken der Shoa, in der jüdisches Leben und Kultur fester Bestandteil Bleicherodes war., erklärt Zahradnik.
Stumme Steine die Geschichte erzählen: Dr. Zahradnik befasst sich seit über einem Jahrzehnt intensiv mit der jüdischen Geschichte, speziell in Nordthüringen (Foto: nnz-Archiv)
Der jüdische Friedhof in Bleicherode wurde 1728 errichtet und manch alter Stein ist als stummer Zeuge stehen geblieben. Für Zahradnik, die sich seit 14 Jahren mit der jüdischen Geschichte auseinandersetzt, gehört er zu den schönsten seiner Art. Das ist ein authentischer, historischer Ort mit ganz eigenem Flair. Und er hat seine Besonderheiten. So blicken etwa alle Gräber in Richtung Stadt, zum Gebetshaus und zur Synagoge, was ungewöhnlich ist und so nur noch einmal aus Österreich bekannt ist. Die Bleicheröder Gemeinde war eng mit ihrer Heimatstadt verbunden und ihre Mitglieder waren mitunter wichtige Stützen der Gesellschaft. Man war im Schützenverein, hat den Bau von Krankenhaus und Freibad unterstützt, gemeinsam Silvester gefeiert und später auch im ersten Weltkrieg gekämpft. Worüber wir allerdings recht wenig wissen, ist das Leben der Kinder innerhalb der Gemeinde und der Stadt., erläutert Dr. Zahradnik.
Den stummen, steinernen Zeugen Geschichte zu entlocken braucht Zeit und Aufwand. Bei der Recherche konnte die Historikerin unter anderem feststellen, dass man im Sterberegister im 19. Jahrhundert zwar 69 Todesfälle unter Kindern und Jugendlichen verzeichnete, aber nur noch neun Gräber erhalten sind. Erklärungen dafür bieten sich in verschiedener Form an, etwa durch den Umstand, dass die Grabsteine für Kindergräber oft kleiner waren und auch schneller verwitterten. Einen weiteren Trend zeichnet sich über die Jahrzehnte in der Art und Weise der Bestattungen ab. Pflegte man zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch mit viel Text verzierte Einzelgräber anzulegen, wurden spätestens ab den 1860er Jahren vermehrt Doppelgräber eingerichtet, die abweichend von der Tradition zunehmend minimalistischer beschriftet worden. Die frühen Gräber sind wie kleine Tagebücher, die man in Stein gemeißelt hat und oft sind es sehr herzliche Texte. Ihre eigenen Geschichte konnten diese Kinder nicht mehr schreiben, deswegen wollen wir ihre Geschichten erzählen, auch wenn sie mitunter sehr tragisch sind., so Zahradnik weiter.
Wer nicht vom Fach ist oder sich von Haus aus für regionale Geschichte interessiert, für den ist eine Geschichte, deren Spuren bewusst getilgt worden, nur schwer nachzuvollziehen. Auch das möchte die kleine Bleicheröder Aktionsgruppe Jüdisches Leben - jüdisches Erbe gerne ändern. Denn wer um die Geschichte seiner Heimat weiß, der kann sich auch mit ihr identifizieren, ihr Wertschätzung entgegenbringen und wird im ihre Spuren im besten Falle mit Respekt behandeln und erhalten.
Die Führung auf dem Friedhof beginnt am Samstag um 10.30 Uhr, Treffpunkt ist an der Wendeschleife am Vogelberg. Auch jüngere Gäste sind gerne gesehen, sagt die Historikerin, bittet aber auch darum, dass man mit den Kindern möglichst im Vorfeld über das Thema Tod sprechen sollte. Um das Leben zu feiern, wird nach dem Rundgang noch nicht Schluss sein. Ab 12:00 Uhr öffnet die Alte Kanzlei mit aktuellen Ausstellungen sowie einer Erklärung des Synagogenmodells um 13:00 Uhr durch Dr. Zahradnik. Der Förderverein der Alten Kanzlei sorgt für das leibliche Wohl. Ein besonderer Spaß für Kinder bietet Purim dank einer lauten Tradition: man pflegt mit Ratschen die Freude über die Errettung des Volkes lautstark zum Ausdruck zu bringen und das soll auch in Bleicherode nicht fehlen.
Von 15:00 - 17:00 Uhr laden die Musiker von KlangArt um Klaus Hagedorn zu stimmungs- und temperamentvoller Musik anlässlich des PURIM-Festes in den ehemaligen Nähsaal des Gebäudeensembles ein. Alle ehrenamtlich Engagierten der Interessengruppe laden herzlich ein. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.
Angelo Glashagel
Autor: redDr. Marie-Luis Zahradnik beschäftigt sich seit langem mit den Orten jüdischen Lebens in Nordthüringen, allen voran den oft noch erhaltenen Friedhöfen. Ein solcher findet sich in Nordhausen, gut versteckt am Ammerberg, ein weiterer in Ellrich und auch in Bleicherode bestattete die dortige Gemeinde ihre Toten auf einem eigenen Gräberfeld. Am kommenden Samstag will man von hier aus in das Purim Fest starten. Eine fröhliche Veranstaltung, wie die Historikerin erklärt, ein Fest für Kinder, bunte Kostüme, Spaß und Feierlaune, ein jüdischer Fasching. Aber warum auf dem Gottesacker starten, wo Tod und Trauer allgegenwärtig sind?
Wir wollen ein Leben zeigen, dass es heute in Bleicherode nicht mehr gibt. Die Spuren dieses Lebens finden sich zumeist an Orten, die verwaist oder vergessen sind, an ehemaligen Synagogen, alten Wohnhäusern und Fabriken oder eben auch am Friedhof. Wo ein Grabstein steht, war vorher Leben, war Kultur und ein Alltag inmitten der Gesellschaft. Mit dem Programm zum Purim-Fest wollen wir genau daran erinnern, an eine lebendige Zeit vor dem Schrecken der Shoa, in der jüdisches Leben und Kultur fester Bestandteil Bleicherodes war., erklärt Zahradnik.

Den stummen, steinernen Zeugen Geschichte zu entlocken braucht Zeit und Aufwand. Bei der Recherche konnte die Historikerin unter anderem feststellen, dass man im Sterberegister im 19. Jahrhundert zwar 69 Todesfälle unter Kindern und Jugendlichen verzeichnete, aber nur noch neun Gräber erhalten sind. Erklärungen dafür bieten sich in verschiedener Form an, etwa durch den Umstand, dass die Grabsteine für Kindergräber oft kleiner waren und auch schneller verwitterten. Einen weiteren Trend zeichnet sich über die Jahrzehnte in der Art und Weise der Bestattungen ab. Pflegte man zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch mit viel Text verzierte Einzelgräber anzulegen, wurden spätestens ab den 1860er Jahren vermehrt Doppelgräber eingerichtet, die abweichend von der Tradition zunehmend minimalistischer beschriftet worden. Die frühen Gräber sind wie kleine Tagebücher, die man in Stein gemeißelt hat und oft sind es sehr herzliche Texte. Ihre eigenen Geschichte konnten diese Kinder nicht mehr schreiben, deswegen wollen wir ihre Geschichten erzählen, auch wenn sie mitunter sehr tragisch sind., so Zahradnik weiter.
Wer nicht vom Fach ist oder sich von Haus aus für regionale Geschichte interessiert, für den ist eine Geschichte, deren Spuren bewusst getilgt worden, nur schwer nachzuvollziehen. Auch das möchte die kleine Bleicheröder Aktionsgruppe Jüdisches Leben - jüdisches Erbe gerne ändern. Denn wer um die Geschichte seiner Heimat weiß, der kann sich auch mit ihr identifizieren, ihr Wertschätzung entgegenbringen und wird im ihre Spuren im besten Falle mit Respekt behandeln und erhalten.
Die Führung auf dem Friedhof beginnt am Samstag um 10.30 Uhr, Treffpunkt ist an der Wendeschleife am Vogelberg. Auch jüngere Gäste sind gerne gesehen, sagt die Historikerin, bittet aber auch darum, dass man mit den Kindern möglichst im Vorfeld über das Thema Tod sprechen sollte. Um das Leben zu feiern, wird nach dem Rundgang noch nicht Schluss sein. Ab 12:00 Uhr öffnet die Alte Kanzlei mit aktuellen Ausstellungen sowie einer Erklärung des Synagogenmodells um 13:00 Uhr durch Dr. Zahradnik. Der Förderverein der Alten Kanzlei sorgt für das leibliche Wohl. Ein besonderer Spaß für Kinder bietet Purim dank einer lauten Tradition: man pflegt mit Ratschen die Freude über die Errettung des Volkes lautstark zum Ausdruck zu bringen und das soll auch in Bleicherode nicht fehlen.
Von 15:00 - 17:00 Uhr laden die Musiker von KlangArt um Klaus Hagedorn zu stimmungs- und temperamentvoller Musik anlässlich des PURIM-Festes in den ehemaligen Nähsaal des Gebäudeensembles ein. Alle ehrenamtlich Engagierten der Interessengruppe laden herzlich ein. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.
Angelo Glashagel