Mi, 08:34 Uhr
07.05.2025
Am 16. April wäre Sarah Kirsch 90 Jahre geworden
Zum 90. Geburtstag
In unserer Region, wo die große Dichterin deutscher Sprache des 20. zum 21. Jahrhunderts hin in Limlingerode in der ehemaligen Pfarre als Ingrid Bernstein geboren wurde, will Heidelore Kneffel gleichfalls an ihren Tod am 5. Mai im Jahr 2013 erinnern...
Denn die Jahre von Juni 1997 bis zum 20. Juni 2023, als von der politischen Gemeinde Hohenstein und der evangelischen Kirchengemeinde das Domizil des Fördervereins Dichterstätte Sarah Kirsch im zum Kulturhaus umgewidmeten Geburtshaus, das seit Jahren zur Ruine verfallen war, Knall und Fall aufgekündigt wurde, waren gelebte und gestaltete Jahre voller Ereignisse auch für sie.
Nun war auch sie plötzlich wieder Geschichte im Ort. Aber die Worte der von ihr verehrten Sprache sind dauerhafter, also bedienen wir uns ihrer, denn den Förderverein mit ihrem Namen gibt es noch immer, aber ohne beschirmende Unterkunft.
Eingangs einigen biographischen Angaben zu der Dichterin. Sie wurde 1935 in Limlingerode am Südharz geboren, starb 2013 in Heide, Kreis Dithmarschen. Von 1954-1958 Studium der Biologie in Halle. 1958-1968 mit dem Lyriker Rainer Kirsch verheiratet. Mit ihm 1963-1965 Studium am Literaturinstitut in Leipzig. Erster gemeinsamer Lyrikband Gespräch mit dem Saurier erscheint. 1968 nach der Scheidung Umzug nach Ostberlin.
1969 Geburt des Sohnes Moritz, Vater der Dichter Karl Mickel. Gedichtbände erscheinen; 1976 Ausschluss aus der SED und dem Schriftstellerverband der DDR nach der Unterzeichnung des Protestbriefes gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. 1977 Übersiedlung nach West-Berlin, lebte dann mit Sohn in Rom - Stipendium der Villa Massimo. Seit 1983 in Tielenhemme, Eiderdeich 22, im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein mit dem Komponisten Wolfgang von Schwanitz. Starb am 5. Mai 2013. Ihre Urne ist in ihrem nordischen Garten beigesetzt.
Akwareller von Sarah Kirsch an den Förderverein, ein erdachtes künstlerisches Farbenspiel im Garten der Langen Reihe 11 in Limlingerode (Foto: Heidelore Kneffel)
Lassen wir Sarah Kirsch zu Wort kommen, was sie über Limlingerode wusste. Im Band ‚Katzenleben‘ gibt es ein Gedicht, welches innerlich in Limlingerode angesiedelt ist, dort war die 'Blaue Kugel' im Rosenbeet, wie man mir erzählte, hatte sie in einem der Brief an uns mitgeteilt.
Wenn ich mir jetzt einen Pfarrherrn/Meines Vaters Vater betrachte/Wie er vor Jahren den Garten betrat/Die Sonne schoß durch die Zweige/Die Ranken Jelängerjelieber/Streiften sein Predigermaul/
Er sah in der kopfgroßen gläsernen/Kugel die gebogene Welt/Zuvörderst sich selbst im glänzenden/
Schwarz einen alten Hut/Auch aufm Kopf wie er atmete wie die/Derbe polnische Landluft/In ihn strömte der Nase entwich/Er blies einen Falter/Nach Krotoszyn hin und die Sonne/Wärmte den Leib ihm gehörte/Der Tag hier er ging/Ohne an jemand zu denken/In die runden gewölbten Wälder/Es ist ein merkwürdiges Gefühl/Ihn so aufrecht zu sehen in seiner/Gegenwärtigen Zeit die auch in Zukunft/Vergangenheit heißt wie die meine. Am Gedicht merkt man, dass ihre Zeilenumbrüche ungewöhnlich sind. (Zitiert aus: Katzenleben, Gedichte, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1984)
Mit drei Jahren zog sie mit der Familie von Limlingerode (Winzigerode), wo der Großvater väterlicherseits, Paul Bernstein, Pfarrherr gewesen war, nach Halberstadt, wo der Großvater mütterlicherseits ein Haus besaß. Aus dem bibliophilen Bändchen Kuckuckslichtnelken, im Steidl Verlag erschienen, einer autobiographischen Skizze der Jahre 1935 bis 1953, - das wunderbare Spiegeldatum - erfährt man, dass es im Pfarrhaus Schränke voller Bücher gab, die mit nach Halberstadt kamen. Musikinstumente erklangen, ein großer Garten hinterm Haus lockte, wo man Sonnenbäder nahm, fotografiert wurde mit modernsten Apparaten, Schallplatten erklangen. Diese wurden dann von Ingrid in Halberstadt eifrig gehört.
Der weite Blick: Das wiedererstandene Haus auf dem Hügel am Rande des Dorfes oberhalb der Kirche (Foto: Heidelore Kneffel)
In dem Prosabändchen Kommt der Schnee im Sturm geflogen, bei der Deutschen Verlags-Anstalt München erschienen, steht ihr literarische Brief Lieber Donny, den sie uns nach der Hauseröffnung schickte, den wir in Briefe von Lange Reihe 11 zuerst veröffentlichten, in dem die Dichterin über die dreitägige Eröffnung sog. Dichterstätte schreibt. Dieser Text ist auch in einem ihrer Bände in die Welt gelangt. Sie sinniert, dass sie bald drei Nächte allein in meinem Geburtshaus sein würde. Der Großvater schlurft durch das Haus in die Kirche, gefolgt von der polnischen Katze. In das Fachwerkhaus war Ende November 2002 auch ein Hund gekommen. Ich hab gesagt, er dürfe selbstverständlich mit rin, und nun ist das ein für alle Male für sämtliche Dichter und armen Hunde geregelt. Im Text erfährt man auch: Hat also hingehauen, dass ich for es mein Pseudonym dargebracht habe... ohne das wär es ganz hin und weg.
Sie beschreibt das aus der Ruine erstandene Haus so: Die Treppe ne Freitreppe fast, neun große Fenster allein die Vorderfront, mit ville Flügel, jedes Fenster zwanzig zierliche Scheiben. Die Fachwerkbalken ein südliches Gelb mit einem Touch Zitscheringreen…Das ist ne Art Kulturhaus und basta. Sie dank für die geduldige Durchsetzungskraft von Heidelerche, Eva, Karin, dem ganzen Verein…Eines Tages bin ich in meinem Geburtshaus drei Nächte allein, sitze stundenlang auf der Treppe. Der Großvater schlurft durch den Flur, strebt in die Kirche. Gefolgt von der polnischen Katze…so isses gewesen in der frühen Zeit
Die Sammelstuhlreihen sind gut gefüllt, hier mit Eva Müller, Sarah Kirsch, der Künstlerin Petra Albrecht und ihrem Mann Wolfgang (Foto: Heidelore Kneffel)
So sah Rolf-Bernhard Essig, Autor, Literaturkritiker, Dozent, Ausstellungsmacher u. a. m. am 5.12.02 in der Stuttgarter Zeitung unter dem Titel Rostiger Nagel mit Folgen die Hauseröffnung ab dem 29.11.2002 … Limlingerode hat seit dem Wochenende einen Platz auf der poetischen Landkarte, etwa zwischen Husum und Montagnola gefunden.
Am 30. November kamen der Landesvater Bernhard Vogel und gut hundert weitere Lyrik-Interessierte, um die Dichterstätte zu eröffnen. Trotz des Dauerregens wirkte die Stimmung heiter, gelassen, neugierig, als die Besucher hinter Sarah Kirsch, die sich zufrieden im Hintergrund zu halten suchte,… die Bibliothek begutachteten, das Lesekabinett mit einem Stuhlsammelsurium… Die Frauen vom Förderverein prägt eine ganz besonders Form von Lyrikliebe, die von prätentiösem Bildungsbürgertum und Literaturwissenschaftsdünkel genausoweit entfernt ist wie von unreflektierter Schwärmerei. Sarah Kirsch imponiert der Geist der Initiative: ‚Das ist ein Ding, das ist von unten gewachsen. Das ist reine Demokratie. Trotzdem habe sie sich gefragt, ob sie, zumal sie den Trubel gar nicht liebt, ihren Namen so herausstellen sollte… aber ich habe mir gesagt, ich verneige mich vor dem Haus. Wie sich andere vor Dichtung verneigen, so verneige ich mich vor diesem alten alten Holz. Wenn ich damals gesagt hätte, das interessiert mich nicht, dann gäb`s das Haus nicht mehr.
Eintrag in das Gästebuch des Vereins von der Künstlerin Petra Albrecht, Weimar, und der Dichterin (Foto: Heidelore Kneffel)
Für die Initiatorinnen wirkte die Zustimmung der Dichterin zu ihren Plänen als ein Energieschub. Wie Heidelore Kneffel sagt: ‚Das uns so eine welterfahrene Frau das zutraut, das hat uns große Kraft gegeben: bei Sarah Kirsch, die weiß, dass Lyrik in der Limlingeröder Dichterstätte einen Platz im Leben findet, beim Förderverein, der endlich eine geist-reiche Stätte hat, um die Künste unters Volk zu bringen, und bei den Besuchern der vielen Inszenierungen, Lesungen, Vorträge, die zur Eröffnung stattfanden und es weiterhin geben wird.
Am 3. Juni 2025 wird in der Galerie der Kreissparkasse in Nordhausen eine umfängliche Ausstellung über die Geschichte des Geburtshauses seit 1997 bis 2023 eröffnet, die bis zum 8.8. zu sehen sein wird, zusammengefügt von zahlreichen Exponaten des Fördervereins. Schauen Sie getrost herein!
Autor: redDenn die Jahre von Juni 1997 bis zum 20. Juni 2023, als von der politischen Gemeinde Hohenstein und der evangelischen Kirchengemeinde das Domizil des Fördervereins Dichterstätte Sarah Kirsch im zum Kulturhaus umgewidmeten Geburtshaus, das seit Jahren zur Ruine verfallen war, Knall und Fall aufgekündigt wurde, waren gelebte und gestaltete Jahre voller Ereignisse auch für sie.
Nun war auch sie plötzlich wieder Geschichte im Ort. Aber die Worte der von ihr verehrten Sprache sind dauerhafter, also bedienen wir uns ihrer, denn den Förderverein mit ihrem Namen gibt es noch immer, aber ohne beschirmende Unterkunft.
Eingangs einigen biographischen Angaben zu der Dichterin. Sie wurde 1935 in Limlingerode am Südharz geboren, starb 2013 in Heide, Kreis Dithmarschen. Von 1954-1958 Studium der Biologie in Halle. 1958-1968 mit dem Lyriker Rainer Kirsch verheiratet. Mit ihm 1963-1965 Studium am Literaturinstitut in Leipzig. Erster gemeinsamer Lyrikband Gespräch mit dem Saurier erscheint. 1968 nach der Scheidung Umzug nach Ostberlin.
1969 Geburt des Sohnes Moritz, Vater der Dichter Karl Mickel. Gedichtbände erscheinen; 1976 Ausschluss aus der SED und dem Schriftstellerverband der DDR nach der Unterzeichnung des Protestbriefes gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. 1977 Übersiedlung nach West-Berlin, lebte dann mit Sohn in Rom - Stipendium der Villa Massimo. Seit 1983 in Tielenhemme, Eiderdeich 22, im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein mit dem Komponisten Wolfgang von Schwanitz. Starb am 5. Mai 2013. Ihre Urne ist in ihrem nordischen Garten beigesetzt.

Lassen wir Sarah Kirsch zu Wort kommen, was sie über Limlingerode wusste. Im Band ‚Katzenleben‘ gibt es ein Gedicht, welches innerlich in Limlingerode angesiedelt ist, dort war die 'Blaue Kugel' im Rosenbeet, wie man mir erzählte, hatte sie in einem der Brief an uns mitgeteilt.
Wenn ich mir jetzt einen Pfarrherrn/Meines Vaters Vater betrachte/Wie er vor Jahren den Garten betrat/Die Sonne schoß durch die Zweige/Die Ranken Jelängerjelieber/Streiften sein Predigermaul/
Er sah in der kopfgroßen gläsernen/Kugel die gebogene Welt/Zuvörderst sich selbst im glänzenden/
Schwarz einen alten Hut/Auch aufm Kopf wie er atmete wie die/Derbe polnische Landluft/In ihn strömte der Nase entwich/Er blies einen Falter/Nach Krotoszyn hin und die Sonne/Wärmte den Leib ihm gehörte/Der Tag hier er ging/Ohne an jemand zu denken/In die runden gewölbten Wälder/Es ist ein merkwürdiges Gefühl/Ihn so aufrecht zu sehen in seiner/Gegenwärtigen Zeit die auch in Zukunft/Vergangenheit heißt wie die meine. Am Gedicht merkt man, dass ihre Zeilenumbrüche ungewöhnlich sind. (Zitiert aus: Katzenleben, Gedichte, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1984)
Mit drei Jahren zog sie mit der Familie von Limlingerode (Winzigerode), wo der Großvater väterlicherseits, Paul Bernstein, Pfarrherr gewesen war, nach Halberstadt, wo der Großvater mütterlicherseits ein Haus besaß. Aus dem bibliophilen Bändchen Kuckuckslichtnelken, im Steidl Verlag erschienen, einer autobiographischen Skizze der Jahre 1935 bis 1953, - das wunderbare Spiegeldatum - erfährt man, dass es im Pfarrhaus Schränke voller Bücher gab, die mit nach Halberstadt kamen. Musikinstumente erklangen, ein großer Garten hinterm Haus lockte, wo man Sonnenbäder nahm, fotografiert wurde mit modernsten Apparaten, Schallplatten erklangen. Diese wurden dann von Ingrid in Halberstadt eifrig gehört.

In dem Prosabändchen Kommt der Schnee im Sturm geflogen, bei der Deutschen Verlags-Anstalt München erschienen, steht ihr literarische Brief Lieber Donny, den sie uns nach der Hauseröffnung schickte, den wir in Briefe von Lange Reihe 11 zuerst veröffentlichten, in dem die Dichterin über die dreitägige Eröffnung sog. Dichterstätte schreibt. Dieser Text ist auch in einem ihrer Bände in die Welt gelangt. Sie sinniert, dass sie bald drei Nächte allein in meinem Geburtshaus sein würde. Der Großvater schlurft durch das Haus in die Kirche, gefolgt von der polnischen Katze. In das Fachwerkhaus war Ende November 2002 auch ein Hund gekommen. Ich hab gesagt, er dürfe selbstverständlich mit rin, und nun ist das ein für alle Male für sämtliche Dichter und armen Hunde geregelt. Im Text erfährt man auch: Hat also hingehauen, dass ich for es mein Pseudonym dargebracht habe... ohne das wär es ganz hin und weg.
Sie beschreibt das aus der Ruine erstandene Haus so: Die Treppe ne Freitreppe fast, neun große Fenster allein die Vorderfront, mit ville Flügel, jedes Fenster zwanzig zierliche Scheiben. Die Fachwerkbalken ein südliches Gelb mit einem Touch Zitscheringreen…Das ist ne Art Kulturhaus und basta. Sie dank für die geduldige Durchsetzungskraft von Heidelerche, Eva, Karin, dem ganzen Verein…Eines Tages bin ich in meinem Geburtshaus drei Nächte allein, sitze stundenlang auf der Treppe. Der Großvater schlurft durch den Flur, strebt in die Kirche. Gefolgt von der polnischen Katze…so isses gewesen in der frühen Zeit

So sah Rolf-Bernhard Essig, Autor, Literaturkritiker, Dozent, Ausstellungsmacher u. a. m. am 5.12.02 in der Stuttgarter Zeitung unter dem Titel Rostiger Nagel mit Folgen die Hauseröffnung ab dem 29.11.2002 … Limlingerode hat seit dem Wochenende einen Platz auf der poetischen Landkarte, etwa zwischen Husum und Montagnola gefunden.
Am 30. November kamen der Landesvater Bernhard Vogel und gut hundert weitere Lyrik-Interessierte, um die Dichterstätte zu eröffnen. Trotz des Dauerregens wirkte die Stimmung heiter, gelassen, neugierig, als die Besucher hinter Sarah Kirsch, die sich zufrieden im Hintergrund zu halten suchte,… die Bibliothek begutachteten, das Lesekabinett mit einem Stuhlsammelsurium… Die Frauen vom Förderverein prägt eine ganz besonders Form von Lyrikliebe, die von prätentiösem Bildungsbürgertum und Literaturwissenschaftsdünkel genausoweit entfernt ist wie von unreflektierter Schwärmerei. Sarah Kirsch imponiert der Geist der Initiative: ‚Das ist ein Ding, das ist von unten gewachsen. Das ist reine Demokratie. Trotzdem habe sie sich gefragt, ob sie, zumal sie den Trubel gar nicht liebt, ihren Namen so herausstellen sollte… aber ich habe mir gesagt, ich verneige mich vor dem Haus. Wie sich andere vor Dichtung verneigen, so verneige ich mich vor diesem alten alten Holz. Wenn ich damals gesagt hätte, das interessiert mich nicht, dann gäb`s das Haus nicht mehr.

Für die Initiatorinnen wirkte die Zustimmung der Dichterin zu ihren Plänen als ein Energieschub. Wie Heidelore Kneffel sagt: ‚Das uns so eine welterfahrene Frau das zutraut, das hat uns große Kraft gegeben: bei Sarah Kirsch, die weiß, dass Lyrik in der Limlingeröder Dichterstätte einen Platz im Leben findet, beim Förderverein, der endlich eine geist-reiche Stätte hat, um die Künste unters Volk zu bringen, und bei den Besuchern der vielen Inszenierungen, Lesungen, Vorträge, die zur Eröffnung stattfanden und es weiterhin geben wird.
Am 3. Juni 2025 wird in der Galerie der Kreissparkasse in Nordhausen eine umfängliche Ausstellung über die Geschichte des Geburtshauses seit 1997 bis 2023 eröffnet, die bis zum 8.8. zu sehen sein wird, zusammengefügt von zahlreichen Exponaten des Fördervereins. Schauen Sie getrost herein!