Fr, 11:21 Uhr
09.05.2025
Demographische Entwicklung im Landkreis
Die Tyrannei des Faktischen
Das Drama welches sich in den letzten Wochen rund um die Grundschule in Klettenberg abgespielt hat ist noch einmal glücklich ausgegangen, aber eigentlich nur ein Vorspiel von dem, was da noch kommen wird. Der Region fehlt es an Nachwuchs…
Die Zahl der Neugeborenen sinkt weiter, damit stehen in einigen Orten unangenehme Fragen im Raum (Foto: agl)
Acht Kinder für die erste Klasse - das ist im Thüringer Schulsystem eigentlich zu wenig, um eine Grundschule zu unterhalten. In Klettenberg hat man über die Zusammenlegung mit der zweiten Klasse für den Moment eine Lösung gefunden und in die Debatte um die Zukunft der Schule ist erst einmal Ruhe eingekehrt.
Was nicht heißt, das am Horizont nicht weiter dunkle Wolken aufziehen und das deutlich sichtbar schon seit Jahren. Was die Demoskopen vorgebetet haben, wird nun spürbare Realität: dem Landkreis fehlt es an Nachwuchs.
Wo es eng wird
Beispiel Görsbach: der Einzugsbereich der dortigen Grundschule umfasst neben dem Ort selbst auch Auleben und Urbach. Im Jahr 2022 zählte man hier sechs Geburten. Ein Jahr später waren es 11, im vergangenen Jahr erblickten nur drei Kinder das Licht der Welt.
Die Grundschule in Werther besuchen auch Kinder aus den Orten Großwechsungen, Günzerode, Haferungen, Immenrode, Kleinwechsungen und Pützlingen. Über alle Gemeinden verteilt zählte man acht Geburten in 2024. Zwischen Wipperdorf, Etzelsrode, Friedrichsthal und Kehmstedt waren es zehn. Die Nohraer Grundschule kann sich für den Geburtenjahrgang 2024 auf eine Klassenstärke von 18 Kindern einrichten, dafür waren es aber 2023 nur fünf Kinder, die zwischen Nohra und Straußberg zur Welt kamen.
Gesetzt den Fall, das alle Kinder bis zu ihrer Einschulung auch weiterhin hier leben. Gesetzt den Fall, dass die Eltern nicht von ihrem Wahlrecht gebraucht machen und ihre Sprösslinge anderswo unterbringen. Und dort hören die Sorgen nicht auf. Heringen unterhält auch eine Realschule. Von den 14 Kindern, die 2024 im Einzugsbereich geboren wurden, werden vielleicht noch alle die gleiche Grundschule besuchen, aber am Übergang zur weiterführenden Bildung wird sich diese Zahl weiter aufspalten.
Prognose bis 2040
Das die Entwicklung genau in diese Richtung gehen würde, die sich jetzt niederschlägt, wurde in der demographischen Vorausberechnung seit Jahren mitgeteilt, nur so richtig hören wollte das keiner. Wer weiß schon was die Zukunft bringt, es gibt solche und solche Jahre, wird schon werden, wird schon werden. Man hat sich in die Hoffnung geflüchtet. Oder den Kopf in den Sand gesteckt.
Nun sind wir an einem Punkt angekommen, an dem man über die Schließung von Schulen und Kindergärten reden muss und das eintritt, was keiner hören wollte. Im Jahr 2020 gab die voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung des Landesamtes für Statistik für die Gemeinde Hohenstein, zu der auch Klettenberg gehört, die Zahl von 1920 Einwohnern an. Was die Statistiker in Erfurt von fünf Jahren berechnet haben, wird zur emotionsgeladenen Einwohnerversammlung Ende April bestätigt - die Gemeinde ist unter 2000 Einwohner gefallen und dürfte im Moment um 1950 Seelen stark sein.
Für die kommenden 15 Jahre ist laut Berechnung keine Besserung in Sicht. Bis 2040 soll der Landkreis etwa 16 Prozent seiner Einwohner einbüßen, ein Minus von rund 13.500 Personen. Die Stadt Nordhausen dürfte noch in diesem Jahr unter die Marke von 40.000 Einwohnern fallen, bis 2040 geht die Statistik von einem Schwund um fast 6.000 Personen aus. Die Gemeinden um Heringen verlieren 1.000 Einwohner, in Bleicherode und Umgebung rechnet man mit einem Minus von fast 3000 Menschen. Im Plus ist niemand, mancher Gemeinde wird es lediglich weniger hart treffen als andere.
Nun ließe sich argumentieren das ein Schrumpfen der Bevölkerung an sich nichts schlechtes sein muss und im allgemeinen Trend liegt. Wir müssen nicht stetig mehr werden. Dem Argument lässt sich philosophisch etwas abgewinnen, für die Kommunen und die Organisation des Alltags vor Ort hat der schleichende Bevölkerungsrückgang aber spürbare und praktische Folgen. Wo weniger Menschen sind, fließen weniger Mittel hin. Die Gesetzeslage in Thüringen sieht zum Stand 2024 für Schlüsselzuweisungen wie folgt aus:
Den ohnehin klammen Kassen der Gemeinden drohen finanzielle Einbußen bei aller Wahrscheinlichkeit nach steigenden Kosten. Hinzu kommt, dass weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, was sich Wiederrum auf die Wirtschaftsleistung auswirkt, die ihrerseits auf die Kassenlage der Gemeinden einzahlt.
Blicken wir noch einmal in die Statistik und in das Jahr 2040, fünfzehn Jahre ist das noch hin, keine lange Zeit, würden wir zurückblicken wären wir in 2010. Für den Landkreis Nordhausen gibt die Prognose eine Zahl von rund 69.300 Einwohnern an. Der Anteil derer, die dann 65 Jahre und älter sind, soll 2040 bei 24 300 Personen liegen, über ein Drittel der Kreisbevölkerung. Ein Drittel, das nach der aktuellen Rechtslage keine Klassen unterrichtet, keine Straßen in Stand hält, an keiner Werkbank steht, keine Autos repariert, die Post zustellt oder den Müll abholt.
Die Aussichten für die Region sind nicht eben erfreulich und über Unerfreuliches reden die, die sich wählen lassen müssen um in Amt und Würden zu kommen, nur ungern. Mit dem nüchternen Blick auf die Realität, so scheint es, gewinnt man dieser Tage schwerlich Wahlen und wer unpopuläre Entscheidungen treffen muss, gibt den politischen Gegnern Munition. Die lässt sich Dank Social Media flächendeckend streuen, das Faktische ist optional. Wenn wir nur alle miteinander erst einmal wieder gelernt haben recht Stolz zu sein, dann wird das wieder. Das wird schon, das wird schon, sprach der Vogel Strauß und steckte den Kopf in den Sand.
Eine andere Realität kann man sich erträumen, Kinder die nicht geboren wurden kann man aber nicht herbeizaubern. Die Tyrannei des Faktischen muss am Ende siegen und wird uns dazu zwingen, uns mit dem Unangenehmen zu befassen.
Einen Überblick über die Geburtenentwicklung der letzten Jahre mit Blick auf die Schulnetzplanung hat der Landkreis in Vorbereitung auf den nächsten Kreistag hier zusammengetragen. Die Übersichten zur Statistik finden sich beim Landesamt unter anderem hier und hier.
Angelo Glashagel
Autor: red
Acht Kinder für die erste Klasse - das ist im Thüringer Schulsystem eigentlich zu wenig, um eine Grundschule zu unterhalten. In Klettenberg hat man über die Zusammenlegung mit der zweiten Klasse für den Moment eine Lösung gefunden und in die Debatte um die Zukunft der Schule ist erst einmal Ruhe eingekehrt.
Was nicht heißt, das am Horizont nicht weiter dunkle Wolken aufziehen und das deutlich sichtbar schon seit Jahren. Was die Demoskopen vorgebetet haben, wird nun spürbare Realität: dem Landkreis fehlt es an Nachwuchs.
Wo es eng wird
Beispiel Görsbach: der Einzugsbereich der dortigen Grundschule umfasst neben dem Ort selbst auch Auleben und Urbach. Im Jahr 2022 zählte man hier sechs Geburten. Ein Jahr später waren es 11, im vergangenen Jahr erblickten nur drei Kinder das Licht der Welt.
Die Grundschule in Werther besuchen auch Kinder aus den Orten Großwechsungen, Günzerode, Haferungen, Immenrode, Kleinwechsungen und Pützlingen. Über alle Gemeinden verteilt zählte man acht Geburten in 2024. Zwischen Wipperdorf, Etzelsrode, Friedrichsthal und Kehmstedt waren es zehn. Die Nohraer Grundschule kann sich für den Geburtenjahrgang 2024 auf eine Klassenstärke von 18 Kindern einrichten, dafür waren es aber 2023 nur fünf Kinder, die zwischen Nohra und Straußberg zur Welt kamen.
Gesetzt den Fall, das alle Kinder bis zu ihrer Einschulung auch weiterhin hier leben. Gesetzt den Fall, dass die Eltern nicht von ihrem Wahlrecht gebraucht machen und ihre Sprösslinge anderswo unterbringen. Und dort hören die Sorgen nicht auf. Heringen unterhält auch eine Realschule. Von den 14 Kindern, die 2024 im Einzugsbereich geboren wurden, werden vielleicht noch alle die gleiche Grundschule besuchen, aber am Übergang zur weiterführenden Bildung wird sich diese Zahl weiter aufspalten.
Prognose bis 2040
Das die Entwicklung genau in diese Richtung gehen würde, die sich jetzt niederschlägt, wurde in der demographischen Vorausberechnung seit Jahren mitgeteilt, nur so richtig hören wollte das keiner. Wer weiß schon was die Zukunft bringt, es gibt solche und solche Jahre, wird schon werden, wird schon werden. Man hat sich in die Hoffnung geflüchtet. Oder den Kopf in den Sand gesteckt.
Nun sind wir an einem Punkt angekommen, an dem man über die Schließung von Schulen und Kindergärten reden muss und das eintritt, was keiner hören wollte. Im Jahr 2020 gab die voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung des Landesamtes für Statistik für die Gemeinde Hohenstein, zu der auch Klettenberg gehört, die Zahl von 1920 Einwohnern an. Was die Statistiker in Erfurt von fünf Jahren berechnet haben, wird zur emotionsgeladenen Einwohnerversammlung Ende April bestätigt - die Gemeinde ist unter 2000 Einwohner gefallen und dürfte im Moment um 1950 Seelen stark sein.
Für die kommenden 15 Jahre ist laut Berechnung keine Besserung in Sicht. Bis 2040 soll der Landkreis etwa 16 Prozent seiner Einwohner einbüßen, ein Minus von rund 13.500 Personen. Die Stadt Nordhausen dürfte noch in diesem Jahr unter die Marke von 40.000 Einwohnern fallen, bis 2040 geht die Statistik von einem Schwund um fast 6.000 Personen aus. Die Gemeinden um Heringen verlieren 1.000 Einwohner, in Bleicherode und Umgebung rechnet man mit einem Minus von fast 3000 Menschen. Im Plus ist niemand, mancher Gemeinde wird es lediglich weniger hart treffen als andere.
Nun ließe sich argumentieren das ein Schrumpfen der Bevölkerung an sich nichts schlechtes sein muss und im allgemeinen Trend liegt. Wir müssen nicht stetig mehr werden. Dem Argument lässt sich philosophisch etwas abgewinnen, für die Kommunen und die Organisation des Alltags vor Ort hat der schleichende Bevölkerungsrückgang aber spürbare und praktische Folgen. Wo weniger Menschen sind, fließen weniger Mittel hin. Die Gesetzeslage in Thüringen sieht zum Stand 2024 für Schlüsselzuweisungen wie folgt aus:
- einheitlicher Grundbetrag für Gemeindeaufgaben 825, 48 Euro je Einwohner
- einheitlicher Grundbetrag für soziale Kreisaufgaben 1.934, 67 Euro je Bedarfsträger
- einheitlicher Grundbetrag für allgemeine Kreisaufgaben 425, 81 Euro je Einwohner
Den ohnehin klammen Kassen der Gemeinden drohen finanzielle Einbußen bei aller Wahrscheinlichkeit nach steigenden Kosten. Hinzu kommt, dass weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, was sich Wiederrum auf die Wirtschaftsleistung auswirkt, die ihrerseits auf die Kassenlage der Gemeinden einzahlt.
Blicken wir noch einmal in die Statistik und in das Jahr 2040, fünfzehn Jahre ist das noch hin, keine lange Zeit, würden wir zurückblicken wären wir in 2010. Für den Landkreis Nordhausen gibt die Prognose eine Zahl von rund 69.300 Einwohnern an. Der Anteil derer, die dann 65 Jahre und älter sind, soll 2040 bei 24 300 Personen liegen, über ein Drittel der Kreisbevölkerung. Ein Drittel, das nach der aktuellen Rechtslage keine Klassen unterrichtet, keine Straßen in Stand hält, an keiner Werkbank steht, keine Autos repariert, die Post zustellt oder den Müll abholt.
Die Aussichten für die Region sind nicht eben erfreulich und über Unerfreuliches reden die, die sich wählen lassen müssen um in Amt und Würden zu kommen, nur ungern. Mit dem nüchternen Blick auf die Realität, so scheint es, gewinnt man dieser Tage schwerlich Wahlen und wer unpopuläre Entscheidungen treffen muss, gibt den politischen Gegnern Munition. Die lässt sich Dank Social Media flächendeckend streuen, das Faktische ist optional. Wenn wir nur alle miteinander erst einmal wieder gelernt haben recht Stolz zu sein, dann wird das wieder. Das wird schon, das wird schon, sprach der Vogel Strauß und steckte den Kopf in den Sand.
Eine andere Realität kann man sich erträumen, Kinder die nicht geboren wurden kann man aber nicht herbeizaubern. Die Tyrannei des Faktischen muss am Ende siegen und wird uns dazu zwingen, uns mit dem Unangenehmen zu befassen.
Einen Überblick über die Geburtenentwicklung der letzten Jahre mit Blick auf die Schulnetzplanung hat der Landkreis in Vorbereitung auf den nächsten Kreistag hier zusammengetragen. Die Übersichten zur Statistik finden sich beim Landesamt unter anderem hier und hier.
Angelo Glashagel