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Fr, 11:00 Uhr
15.11.2019
Campus Leben zwischen Studium und Politik

Eine Stadt in der Stadt

Nordhausen ist eine Hochschulstadt doch von dem, was die rund 2.500 Studierenden so treiben, davon bekommt man in der Stadt nicht viel mit. Wie es um das kulturelles und politisches Leben und die Diskussionskultur auf dem Campus bestellt ist, darüber hat die nnz mit der Vorsitzenden des Studierendenrates, Ann-Sophie Groß gesprochen…

Immatrikulationsfeier an der Nordhäuser Hochschule 2019 (Foto: nnz-Archiv) Immatrikulationsfeier an der Nordhäuser Hochschule 2019 (Foto: nnz-Archiv)

Was auf dem Weinberg passiert, das bleibt auf dem Weinberg. Meistens zumindest. Das Nordhausen tatsächlich eine Hochschulstadt ist, davon bekommt der gemeine Bürger zumeist wenig mit, im Stadtbild ist das „studentische Leben“ kaum präsent.

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Der Campus sei eine Art „Stadt in der Stadt“, sagt Ann-Sophie Groß, die Vorsitzende des „StuRa“, des Studierendenrates, das Leben an der Hochschule sei in gewisser Weise an den Campus gebunden. Zum einen weil es hier vom Wohnheim bis zu Bibliothek, Mensa und Studentenclub vieles gibt, zum anderen weil die Stadt den Studierenden nicht mehr viel zu bieten habe. Das „außen“ dringt kaum auf den Campus, das „innen“ kommt nicht hinaus sondern fährt am Wochenende heim. Beispiel Wahlkampf: der kam am Weinberg so gut wie gar nicht an, erzählt Groß, erst zwei Wochen vor dem Urnengang gelang es dem StuRa noch eine Podiumsdiskussion auf die Beine zu stellen. Ein Austausch zu zentralen Fragen des politischen Zeitgeschehens? Eher schwierig.

Die erste Pflicht einer Universtität sei es, Weisheit und Charakter zu lehren, nicht Gewerbe und technische Details, soll Winston Churchill einmal gesagt haben. Die Institution Universität hängt bis heute der Nimbus des gesellschaftlichen Experimentierfeldes an, der Ort, an dem die Gegenwart analysiert und die Zukunft verhandelt wird. Wo wenn nicht hier sollten die drängenden Zeitfragen offen diskutiert werden? Universität, das ist heute aber auch ein bürokratisches System, das mit Bachelor- und Master-Abschluss den akademischen Nachwuchs möglichst schnell und reibungsfrei dem Arbeitsmarkt zuführen soll. Das Spannungsfeld zwischen „Gewerbe und technischem Wissen“ und „Weisheit und Charakter“ scheint anno domini 2019 in der Außenansicht eher größer geworden zu sein.

Die Hochschule sei natürlich ein Bildungsort, müsse aber auch ein Raum für Diskurs und Diskussionskultur sein, meint Groß, daran arbeite der StuRa. Neben ganz praktischen Fragen, wie Verhandlungen zum Semesterticket mit den Stadtwerken oder der Deutschen Bahn, will der auf je ein Jahr gewählte Rat das sozio-kulturelle Leben auf dem Campus stützen. Man organisiert Veranstaltungen, Konzerte, Lesungen und Vorträge oder finanziert Projekte von Studierenden und Fachschaftsräten. Außerdem soll das gesetzlich fest verankerte Gremium als Sprachrohr der Studierenden dienen. Ein StuRa habe dafür sorge zu tragen, dass die Studenten nicht nur als „eine graue Masse“ oder eine reine „Nummer im System“ wahrgenommen werden.

Das gilt für alle Studierenden, ob frisches Erstsemester, Langzeitstudi oder Neuzugang aus der weiten Welt. Im Fokus des Rates stehen in jüngster Zeit verstärkt Letztere. Seit dem vergangenen Jahr trägt der Nordhäuser Campus den Titel „Weltoffene Hochschule“, an der praktischen Umsetzung der hehren Auszeichnung müsse aber noch gearbeitet werden, meint Groß. Rassismus ist ein Problem, immer wieder höre man von Anfeindungen gegen internationale Studierende, sowohl in der Stadt als auch auf dem Campus. Auf einer sozialen Plattform endeten Anfeindungen vor kurzem mit einem „Heil Hitler“, auf dem letzten Campusfest kam es sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen.

Das neunköpfige Gremium hat einen „Antirassismusrat“ ins Leben gerufen und will demnächst mit einer Filmreihe am Campus auf die Problematik aufmerksam machen. Gerne würde man auch „antifaschistische Bildungsarbeit“ leisten, doch da bewegt man sich schnell im trüben Gewässer moderner Befindlichkeiten. „Da ist der Begriff „Antifa“ mit drin, was sofort negativ besetzt wird. An dem negativen hält man sich heutzutage lieber fest, als den eigentlichen Inhalt des Begriffes wieder positiv zu besetzen. Wir brauchen diese Auseinandersetzung aber es ist schwer, sie zu führen“, sagt Groß.

Gänzlich unpolitisch ist der Alltag auf dem Campus also nicht, auch wenn viele „nur so vor sich hinstudieren“. Die „Extinction Rebellion“ zeigt sich rege und behandelt Umwelt- und Klimathemen in diversen Veranstaltungen. Eine AfD-Hochschulgruppe existiert derweil nur Gerüchteweise. Ann-Sophie Groß selbst ist zur Wahl des Studierendenrates mit zwei Kollegen als „Linke-SDS“, als „Sozialisitisch-Demokratische Studierende“ mit dem Ziel angetreten, die Diskussionskultur auf dem Campus in Gang zu bringen. Die erste praktische Folge waren abgerissene Plakate, die durch „anti-bolschewistischen“ Karikaturen der 30er Jahre ersetzt wurden. Man hätte sich da gerne ein Zeichen von Seiten der Hochschulleitung gewünscht, das aber nicht kam. Die Vorfälle wurden nicht diskutiert. „Intern, unter den Studierenden, da gibt es Meinungen die sich finden, aber nach außen, auf dem Campus, werden Dilemmafragen zu wenig diskutiert“, findet die StuRa-Vorsitzende. Insgesamt werde die Arbeit des Rates positiv aufgenommen, die Weiterführung durch Studierende oder Dozenten gelinge aber nur bedingt.

Fazit: viele, die einfach nur weiterkommen wollen, ein paar engagierte Zeitgenossen und dazwischen gesellschaftliche, kulturelle und politische Minenfelder - auch wenn die Hochschule dem Leben in der Stadt zumeist entrückt erscheint, so ist sie doch ein Spiegel der weiteren Gesellschaft. Ein Spiegel, in den man öfter einmal hineinschauen sollte und dessen Reflektion im Idealfall dann nicht stumm bleibt.
Angelo Glashagel
Autor: red

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