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Mi, 17:00 Uhr
27.04.2016
Fachtag zur Flüchtlingsintegration

Wir werden Geduld und Zeit brauchen

Rund eine Million Menschen kamen im vergangenen Jahr nach Deutschland. Ihre Integration wird zu den großen Aufgaben dieser Generation gehören. Erfolg verspricht langfristig vor allem die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Wie das in Nordthüringen gelingen soll, darüber tauschte man sich heute in Sondershausen aus...

Fachtag zum Integrationsnetzwerk Multipotential in Sondershausen (Foto: Angelo Glashagel) Fachtag zum Integrationsnetzwerk Multipotential in Sondershausen (Foto: Angelo Glashagel)

Die Hysterie, das atemlose Organisieren und Improvisieren der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres gehören, zumindest zur Zeit, der Vergangenheit an. In der Flüchtlingsfrage scheint der Druck vom Kessel zu sein, unabhängig davon wie umstritten die Lösungen auch sein mögen, die man in Berlin, Brüssel und Ankara dazu ersonnen hat.

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Wer sich eingehender mit dem Thema befasst, und das tun dieser Tage viele Leute, der weiß das trotz des etwas leiseren Rauschens im Blätterwald die eigentlich Arbeit gerade erst beginnt. Die vielen Menschen die ins Land gekommen sind müssen jetzt auch tatsächlich ankommen und integriert werden, sollen als Teil der Gesellschaft zum Wohl der Allgemeinheit beitragen.

Der Weg dahin führt durch (fast) alle ideologischen Grenzen hinweg vor allem über die Integration in Arbeit. Bereits im November, als die Flüchtlingsfrage noch kochte, begannen verschiedene Vereine in Nordthüringen deswegen damit sich Gedanken zu machen, wie das Potential der Neuankömmlinge erkannt, eingeschätzt und nutzbar gemacht werden kann.

Das Ergebnis ist das Netzwerk "Mulitpotential" mit Standorten in Nordhausen, Sondershausen, Mühlhausen und Leinefelde. Man will vor Ort dafür sorgen das es mit dem Weg auf den deutschen Arbeitsmarkt möglichst reibungslos klappt. "Wir wollen Hindernisse die entstehen können aus dem Weg räumen", erklärte zur Eröffnung des Fachtages im schicken Marstall des Sonderhäuser Schlosses Jürgen Rauschenbach, der das Projekt im Kyffhäuserkreis für die Fördergesellschaft Arbeit und Umwelt betreut. Die Aufgabe sei "ein Mammutprojekt", meinte Rauschenbach, 30 Plätze gebe es pro Standort für Asylbewerber, die man bei der Integration auf dem Arbeitsmarkt unterstützen will, 200 sind bereits belegt. "Das wird nicht reichen, das wissen wir schon jetzt".

Erste Maßnahmen wie etwa die Einstiegsqualifizierungen für 14 Asylbewerber in der Autohaus Peter Gruppe hatten über die Region hinaus bereits für Aufsehen gesorgt und auch das Interesse der Regierenden geweckt.

Thüringer Heike Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen (Foto: Angelo Glashagel) Thüringer Heike Werner, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen (Foto: Angelo Glashagel) Dementsprechend konnte man sich heute auch über Besuch aus Erfurt freuen: Arbeitsministerin Heike Werner sprach zu den Vertretern von Vereinen, Unternehmen und Behörden. Anders als andere Landesregierungen würde Rot-Rot-Grün in Erfurt die Neuankömmlinge nicht als Problem betrachten, sondern als "Bereicherung und Chance" für eine weltoffenere Gesellschaft und als Lösungsansatz für Herausforderungen wie den demographischen Wandel.

Diese Haltung sei keine Selbstverständlichkeit, in Berlin habe man die politischen Instrumente zur Integration von Migranten bisher bewusst nur unzureichend ausgestaltet, so die Thüringer Ministerin. Mit anderen, leicht zynischen Worten ausgedrückt: vor der Flüchtlingskrise hat man in Berlin mehr auf Abschiebung als auf Integration gesetzt, auch in Sachen Arbeitsmarkt, denn wer keine Arbeit hat, den wird man leichter wieder los.

Inzwischen habe man erste Schritte hin zu einer "echten Integrations- und Willkommenskultur" genommen, so Ministerin Werner, es brauche aber noch mehr Maßnahmen wie etwa die Aussetzung der Vorrangprüfung.

Fachtag zum Integrationsnetzwerk Multipotential in Sondershausen (Foto: Angelo Glashagel) Fachtag zum Integrationsnetzwerk Multipotential in Sondershausen (Foto: Angelo Glashagel)

Thüringen befinde sich derzeit in einer guten wirtschaftlichen Situation, die Arbeitslosenzahlen sind seit 2009 deutlich gesunken, das Arbeitskräftepotential werde ausgeschöpft, erklärte die Ministerin. Bisher habe man einen flächendeckenden Arbeitskräftemangel vermeiden können, in den kommenden Jahren würden der Thüringer Wirtschaft aber gut 29% ihrer Erwerbstätigen verloren gehen und der Bedarf an Arbeitskräften im Gegenzug weiter steigen.

Ohne eine Zuwanderung von außen sei das Beschäftigungsniveau nicht zu halten, unterstrich denn auch Karsten Froböse, Leiter der Nordhäuser Arbeitsagentur, die neben Nordhausen auch für die Landkreise Kyffhäuser und Eichsfeld zuständig ist. "Wer keine neuen Kollegen aus dem Ausland will, der sägt an dem Ast auf dem er selber sitzt", meinte Froböse, ohne ausreichend Beschäftigte könnten Betriebe ihre Aufträge nicht erfüllen was letztlich dazu führe das die Auftraggeber abwandern würden und die gesamte Wirtschaft der Region leide.

Eine Lösung soll nun also die Ertüchtigung der Flüchtlinge sein, nur ist das eben keine leichte Aufgabe. In den viel zitierten sprachlichen Hürden sieht Froböse dabei gar kein so großes Problem. Spracherwerb könne auch parallel zu Qualifizierungen und Ausbildung im Betrieb stattfinden, meinte der Nordhäuser Agenturchef. Den zum Teil rigiden Hürden und Anforderungen für einen Eintritt in die Ausbildungslaufbahn müsse man deswegen mit mehr Flexibilität begegnen.

Wie die Hürden aussehen können, denen sich auch tatsächlich gut ausgebildete Flüchtlinge gegenübersehen, erläuterte Syed Wajeeh-ud-Hassan. Der gebürtige Pakistani ist Maschinenbauingenieur, beherrscht zehn Sprachen und arbeitet inzwischen in Mühlhausen als Integrationsbegleiter für das Bildungswerk der Thüringer Wirtschaft. Nur wohnen darf er hier nicht. Theoretisch müsste er jeden Tag acht Stunden bis nach Brandenburg fahren, wo er eigentlich untergebracht ist. Während sein Antrag auf "Umverteilung" noch bei den Behörden liegt, behilft er sich mit einem Zimmer in einer Pension. Und dies ist nur die letzte Etappe in einer langen Odyssee auf dem Weg zu einer gut bezahlten Anstellung.

Der Ingenieur kann allerdings nicht als repräsentativ für "die Flüchtlinge" gelten, das wissen alle Beteiligten, auch die Politik. Ministerin Werner zitiert Studien nachdem kurzfristig nur ein zehntel der Asylbewerber des vergangenen Jahres in Arbeit gebracht werden können. In fünf Jahren geht man von einer Beschäftigungsquote von 50%, in zehn Jahren von 60% aus, so die Ministerin die Angesichts der hohen Motivation vieler Einwanderern persönlich auf bessere Zahlen hofft. "Wir dürfen uns keine falschen Vorstellungen machen", sagte Werner, "aber wir dürfen auch nicht in Pessimismus verfallen. Wenn wir die von uns gewünschten Effekte erzielen wollen, werden wir Zeit und Geduld brauchen".

Wie die Entwicklung weiter geht und ob Projekte wie "Multipotential" dabei helfen können, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und zur erfolgreichen Integration beitragen können, dass muss die Zukunft zeigen. Der erste Schritt ist längst getan, jetzt müssen der zweite, dritte, vierte und viele weitere Folgen. Und das möglichst ohne Stolperfallen der großen Politik.
Angelo Glashagel
Autor: red

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