Mo, 15:00 Uhr
16.06.2025
nnz nachgehakt
Warum nimmt man Unruhestifter nicht einfach mit?
Am Wochenende gab es wieder Ärger in Görsbach. Der inzwischen über die Dorfgrenzen hinaus bekannte Störenfried beschädigte mindestens ein Fahrzeug, pöbelte Passanten an und sorgt weiter für Unruhe im Dorf. Natürlich kam die Polizei, doch was können und dürfen die Beamten tun? Wir haben nachgefragt…
Was darf die Polizei? - für "freiheitseinschränkende Maßnahmen" gibt es hohe Hürden; Symbolbild (Foto: LPI)
Die Polizei fährt mit Blaulicht vor, wenige Momente später klicken die Handschellen, dem Festgenommenen werden seine Rechte vorgelesen und ab geht es in die Zelle - so oder so ähnlich zeigt es das Fernsehen gerne. Klar im Ablauf, nachvollziehbar, dramatisch, gute Unterhaltung.
Freitagnachmittagsfantasie nennt Matthias Bollenbach die Law & Order Dramen, die so oft über deutsche Bildschirme flimmern, mit der Realität haben die wenig zu tun. Es gibt Leute die denken Polizeiarbeit sei Alarm für Cobra 11. Tatsächlich sind unsere Arbeitsgrundlagen Staatsrecht, Polizeirecht, Strafrecht und Strafprozessrecht. Auch wir haben uns an Recht und Gesetz zu halten und können nicht nach Gutdünken handeln, sagt der Leiter der Landespolizeiinspektion vergangene Woche im Gespräch mit der nnz.
Wenige Tage zuvor sorgt ein Mann in der Nordhäuser Bahnhofstraße für Ärger, schlägt mit einer Axt um sich. Die Polizei kommt, setzt alle Verdächtigen fest derer sie vor Ort habhaft werden kann, nimmt Personalien auf und sucht die Tatwaffe. Die Beteiligten können alsbald wieder von dannen ziehen, bei den Augenzeugen herrscht Unverständnis. Warum nimmt man die Unruhestifter nicht einfach mit?
Weil es so einfach nicht ist. Die Freiheit ist ein hohes Gut, Maßnahmen, die die Freiheit beschneiden, sind ein enormer Eingriff in die Grundrechte und entsprechend hoch sind die Hürden im deutschen Rechtsstaat, erklärt Polizeioberrat Thomas Gubert, der als Leiter des Inspektionsdienstes direkt für den Nordhäuser Kreis verantwortlich ist. Wir schöpfen all unsere Möglichkeiten aus. Wie die ausfallen, ist im Einzelfall zu prüfen. Wenn wir rechtlich dazu in der Lage sind, können wir Personen in der Regel 12 bis 24 Stunden in Gewahrsam nehmen, im Maximum bis zu 10 Tage. Die Hürden dafür sind hoch und es braucht in jedem Fall eine richterliche Bestätigung., erklärt Gubert.
Der "Irre von Görsbach" wird der Unruhestifter im Ort inzwischen genannt, am Wochenende sorgte der Mann wieder für Ärger
Was tut die Polizei?
Was kann und darf die Polizei also tun, wenn sie gerufen wird? Verdächtige Personen werden festgehalten, ihre Personalien werden überprüft und man beginnt zu ermitteln, was sich genau zugetragen hat. Im Zuge dessen sind auch Haftgründe zu prüfen, wann jemand in Deutschland festgenommen werden darf, regelt unter anderem der Paragraph 112 der Strafprozessordnung.
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Was ein Polizist darf und wo die Grenzen liegen spielt gerade in der gehobenen Laufbahn eine große Rolle in der Ausbildung, auch Polizeioberrat Thomas Gubert, Polizeidirektor Matthias Bollenbach und Kriminalhauptkommissarin Monique Telemann müssen die Grundlagen auf dem ff kennen (Foto: agl)
Die Untersuchungshaft ist im Polizeialltag eher die Ausnahme als die Regel und kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn die Gefahr von Verdunkelung besteht - also anzunehmen ist, dass ein Verdächtiger Beweise vernichten könnte - oder Fluchtgefahr besteht. Hat etwa jemand einen festen Wohnsitz und sind längerfristige Haftgründe nicht gegeben, dann ist die Person wieder zu entlassen.
Das passt sicher nicht immer zu dem, was man sich denkt oder wünscht aber der Kreis schließt sich bei Recht und Gesetz. Der Herr in Görsbach ist ohne Frage verhaltensauffällig und hat seit etwa einem halben Jahr eine Vielzahl an Straftaten im niedrigschwelligen Bereich begangen. Das beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl und die soziale Situation im Ort erheblich, das ist uns bekannt und bewusst. Aber die rechtlichen Gründe für eine längere Ingewahrsamnahme sind nicht gegeben., sagt Gubert.
Was nicht heißt, dass man vom Haken kommt, wenn man nicht direkt in der Zelle landet. Die Bestrafung von Vergehen ist nicht Aufgabe der Polizei, sondern der Justiz. Die Polizei hat alle relevanten Tatsachen zusammenzutragen, sind diese Ermittlungen abgeschlossen, entscheidet die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens, wie es weiter geht, erläutert Kriminalhauptkommissarin Monique Telemann, die unter anderem für die Ausbildung neuer Polizeibeamter zuständig ist. Auf die juristische Einschätzung hat die Polizei nur insofern Einfluss, als das sie die Anzeigen und relevanten Fakten zusammenträgt.
Legislative, Exekutive, Judikative
Vom alltäglichen Geschehen im kleinen Görsbach gelangt man so recht schnell zu den Grundlagen des Rechtsstaates. Die Polizei als exekutive Gewalt hat die Einhaltung der Gesetze zu überwachen, die die Legislative, also der Gesetzgeber, aufstellt. Werden diese gebrochen, hat die Judikative, also die Gerichte, darüber zu befinden, wie Recht und Gesetz im Einzelfall auszulegen sind und welche Strafen verhängt werden können. Am Ende steht die Frage, was man will. Die rechtsstaatliche Prüfung im Einzelfall oder einen Polizeistaat? An jeder Ecke einen Polizisten stehen zu haben ist nicht das, was ich mir als Bürger wünsche. Die Polizei soll und darf nicht allmächtig sein. Sie soll auf dem Boden der Gewaltenteilung schützen und für ein geordnetes Miteinander sorgen., sagt Polizeichef Bollenbach.
Verbesserungsbedarf sieht man beim Personal. Die Zahl der aktiven Beamten in den Nordthüringer Dienststellen ist seit den 90er Jahren gesunken, die Fallzahlen aber steigen. Die Einsatzfähigkeit der Polizeiinspektionen vor Ort sei ein entscheidender Faktor, nicht nur für das subjektive Sicherheitsempfinden, so Bollenbach weiter.
Licht ins Dunkel bringen
Wo und wie die verfügbaren Kräfte eingesetzt werden, entscheidet man nicht nach Bauchgefühl, die Lageauswertung gehört zum täglichen Prozedere in den Dienststellen. Wir können aber nur das bewerten, was wir auch wissen und dafür braucht es die Anzeigen der Bürgerinnen und Bürger. Der Irrglaube, es passiere sowieso nichts, wenn die Polizei anrückt, sei fatal. Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter., sagt Bollenbach, über die Statistik erhalte man ein klares Lagebild und könne die personellen und zeitlichen Ressourcen besser einsetzen. Zudem arbeitet man mit den Gemeinden und Behörden vor Ort zusammen, sei es etwa die Nordhäuser Stadtverwaltung um auf dem Rolandsfest Präsenz zu zeigen, auf gemeinsamer Streife mit dem Jugendamt in Sachen Jugendschutzkontrolle oder mit dem Ordnungsamt, wenn im Sommer auf dem Petersberg oder vor der Marktpassage wieder arbeitsintensive Tage und Wochen bevorstehen.
Wir lehnen uns niemals zurück. Was wir tun können, mag für das subjektive Verständnis von Sicherheit nicht immer zufriedenstellend sein, steht aber auf dem Boden des Rechtsstaates. Wichtig ist, dass wir angerufen werden, damit wir tätig werden können, unterstreicht Polizeioberrat Gubert. Für mehr Verständnis unter der Bevölkerung muss geworben werden, auch Abseits der Nachwuchsgewinnung. Präsent ist die Nordthüringer Polizei unter anderem bei öffentlichen Veranstaltungen wie zuletzt bei der Blaulichtmeile zum Sondershäuser Stadtjubiläum. Um die Dienststellen für den Bürger Abseits der Einsätze greifbar zu machen, hat man in Mühlhausen und Heilbad Heiligenstadt zuletzt zum Coffee with a Cop eingeladen, ein öffentliches Kaffeekränzchen um ins Gespräch zu kommen. Das will man in diesem Jahr auch in Nordhausen erproben, ein genaues Datum gibt dafür allerdings noch nicht.
In Görsbach liegt die Zahl der Verfahren inzwischen im oberen zweistelligen Bereich. Einige davon befinden sich noch im Ermittlungsgang der Polizei, eine Reihe wurde bereits an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Es liegt nun also weitestgehend an Justizia, für Recht zu sorgen.
Angelo Glashagel
Anm. d. Red.: In einer früheren Version des Textes hatten wir die Staatsanwaltschaft der Judikative zugeschlagen, tatsächlich gehört diese zur Exekutive. Wir haben diesen Fehler korrigiert.
Autor: red
Die Polizei fährt mit Blaulicht vor, wenige Momente später klicken die Handschellen, dem Festgenommenen werden seine Rechte vorgelesen und ab geht es in die Zelle - so oder so ähnlich zeigt es das Fernsehen gerne. Klar im Ablauf, nachvollziehbar, dramatisch, gute Unterhaltung.
Freitagnachmittagsfantasie nennt Matthias Bollenbach die Law & Order Dramen, die so oft über deutsche Bildschirme flimmern, mit der Realität haben die wenig zu tun. Es gibt Leute die denken Polizeiarbeit sei Alarm für Cobra 11. Tatsächlich sind unsere Arbeitsgrundlagen Staatsrecht, Polizeirecht, Strafrecht und Strafprozessrecht. Auch wir haben uns an Recht und Gesetz zu halten und können nicht nach Gutdünken handeln, sagt der Leiter der Landespolizeiinspektion vergangene Woche im Gespräch mit der nnz.
Wenige Tage zuvor sorgt ein Mann in der Nordhäuser Bahnhofstraße für Ärger, schlägt mit einer Axt um sich. Die Polizei kommt, setzt alle Verdächtigen fest derer sie vor Ort habhaft werden kann, nimmt Personalien auf und sucht die Tatwaffe. Die Beteiligten können alsbald wieder von dannen ziehen, bei den Augenzeugen herrscht Unverständnis. Warum nimmt man die Unruhestifter nicht einfach mit?
Weil es so einfach nicht ist. Die Freiheit ist ein hohes Gut, Maßnahmen, die die Freiheit beschneiden, sind ein enormer Eingriff in die Grundrechte und entsprechend hoch sind die Hürden im deutschen Rechtsstaat, erklärt Polizeioberrat Thomas Gubert, der als Leiter des Inspektionsdienstes direkt für den Nordhäuser Kreis verantwortlich ist. Wir schöpfen all unsere Möglichkeiten aus. Wie die ausfallen, ist im Einzelfall zu prüfen. Wenn wir rechtlich dazu in der Lage sind, können wir Personen in der Regel 12 bis 24 Stunden in Gewahrsam nehmen, im Maximum bis zu 10 Tage. Die Hürden dafür sind hoch und es braucht in jedem Fall eine richterliche Bestätigung., erklärt Gubert.
Der "Irre von Görsbach" wird der Unruhestifter im Ort inzwischen genannt, am Wochenende sorgte der Mann wieder für Ärger
Was kann und darf die Polizei also tun, wenn sie gerufen wird? Verdächtige Personen werden festgehalten, ihre Personalien werden überprüft und man beginnt zu ermitteln, was sich genau zugetragen hat. Im Zuge dessen sind auch Haftgründe zu prüfen, wann jemand in Deutschland festgenommen werden darf, regelt unter anderem der Paragraph 112 der Strafprozessordnung.
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Die Untersuchungshaft ist im Polizeialltag eher die Ausnahme als die Regel und kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn die Gefahr von Verdunkelung besteht - also anzunehmen ist, dass ein Verdächtiger Beweise vernichten könnte - oder Fluchtgefahr besteht. Hat etwa jemand einen festen Wohnsitz und sind längerfristige Haftgründe nicht gegeben, dann ist die Person wieder zu entlassen.
Das passt sicher nicht immer zu dem, was man sich denkt oder wünscht aber der Kreis schließt sich bei Recht und Gesetz. Der Herr in Görsbach ist ohne Frage verhaltensauffällig und hat seit etwa einem halben Jahr eine Vielzahl an Straftaten im niedrigschwelligen Bereich begangen. Das beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl und die soziale Situation im Ort erheblich, das ist uns bekannt und bewusst. Aber die rechtlichen Gründe für eine längere Ingewahrsamnahme sind nicht gegeben., sagt Gubert.
Was nicht heißt, dass man vom Haken kommt, wenn man nicht direkt in der Zelle landet. Die Bestrafung von Vergehen ist nicht Aufgabe der Polizei, sondern der Justiz. Die Polizei hat alle relevanten Tatsachen zusammenzutragen, sind diese Ermittlungen abgeschlossen, entscheidet die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens, wie es weiter geht, erläutert Kriminalhauptkommissarin Monique Telemann, die unter anderem für die Ausbildung neuer Polizeibeamter zuständig ist. Auf die juristische Einschätzung hat die Polizei nur insofern Einfluss, als das sie die Anzeigen und relevanten Fakten zusammenträgt.
Legislative, Exekutive, Judikative
Vom alltäglichen Geschehen im kleinen Görsbach gelangt man so recht schnell zu den Grundlagen des Rechtsstaates. Die Polizei als exekutive Gewalt hat die Einhaltung der Gesetze zu überwachen, die die Legislative, also der Gesetzgeber, aufstellt. Werden diese gebrochen, hat die Judikative, also die Gerichte, darüber zu befinden, wie Recht und Gesetz im Einzelfall auszulegen sind und welche Strafen verhängt werden können. Am Ende steht die Frage, was man will. Die rechtsstaatliche Prüfung im Einzelfall oder einen Polizeistaat? An jeder Ecke einen Polizisten stehen zu haben ist nicht das, was ich mir als Bürger wünsche. Die Polizei soll und darf nicht allmächtig sein. Sie soll auf dem Boden der Gewaltenteilung schützen und für ein geordnetes Miteinander sorgen., sagt Polizeichef Bollenbach.
Verbesserungsbedarf sieht man beim Personal. Die Zahl der aktiven Beamten in den Nordthüringer Dienststellen ist seit den 90er Jahren gesunken, die Fallzahlen aber steigen. Die Einsatzfähigkeit der Polizeiinspektionen vor Ort sei ein entscheidender Faktor, nicht nur für das subjektive Sicherheitsempfinden, so Bollenbach weiter.
Licht ins Dunkel bringen
Wo und wie die verfügbaren Kräfte eingesetzt werden, entscheidet man nicht nach Bauchgefühl, die Lageauswertung gehört zum täglichen Prozedere in den Dienststellen. Wir können aber nur das bewerten, was wir auch wissen und dafür braucht es die Anzeigen der Bürgerinnen und Bürger. Der Irrglaube, es passiere sowieso nichts, wenn die Polizei anrückt, sei fatal. Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter., sagt Bollenbach, über die Statistik erhalte man ein klares Lagebild und könne die personellen und zeitlichen Ressourcen besser einsetzen. Zudem arbeitet man mit den Gemeinden und Behörden vor Ort zusammen, sei es etwa die Nordhäuser Stadtverwaltung um auf dem Rolandsfest Präsenz zu zeigen, auf gemeinsamer Streife mit dem Jugendamt in Sachen Jugendschutzkontrolle oder mit dem Ordnungsamt, wenn im Sommer auf dem Petersberg oder vor der Marktpassage wieder arbeitsintensive Tage und Wochen bevorstehen.
Wir lehnen uns niemals zurück. Was wir tun können, mag für das subjektive Verständnis von Sicherheit nicht immer zufriedenstellend sein, steht aber auf dem Boden des Rechtsstaates. Wichtig ist, dass wir angerufen werden, damit wir tätig werden können, unterstreicht Polizeioberrat Gubert. Für mehr Verständnis unter der Bevölkerung muss geworben werden, auch Abseits der Nachwuchsgewinnung. Präsent ist die Nordthüringer Polizei unter anderem bei öffentlichen Veranstaltungen wie zuletzt bei der Blaulichtmeile zum Sondershäuser Stadtjubiläum. Um die Dienststellen für den Bürger Abseits der Einsätze greifbar zu machen, hat man in Mühlhausen und Heilbad Heiligenstadt zuletzt zum Coffee with a Cop eingeladen, ein öffentliches Kaffeekränzchen um ins Gespräch zu kommen. Das will man in diesem Jahr auch in Nordhausen erproben, ein genaues Datum gibt dafür allerdings noch nicht.
In Görsbach liegt die Zahl der Verfahren inzwischen im oberen zweistelligen Bereich. Einige davon befinden sich noch im Ermittlungsgang der Polizei, eine Reihe wurde bereits an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Es liegt nun also weitestgehend an Justizia, für Recht zu sorgen.
Angelo Glashagel
Anm. d. Red.: In einer früheren Version des Textes hatten wir die Staatsanwaltschaft der Judikative zugeschlagen, tatsächlich gehört diese zur Exekutive. Wir haben diesen Fehler korrigiert.